Lies neue Abenteuer in „My Virtual Library Empire“
Mikhailis atmete tief aus, als der Nebel um ihn herum dichter wurde und sich wie gespenstische Ranken um seine Gliedmaßen zu winden schien. Er und Vyrelda bewegten sich schnell durch die Gassen, ihre Stiefel machten kaum Geräusche auf dem feuchten Kopfsteinpflaster. Der Nebel in der Stadt war noch nie so dicht gewesen – unnatürlich dicht, als hätte er eine eigene Absicht.
Selbst im üblichen Dunst von Luthadel war die Sicht nie so stark eingeschränkt gewesen, und jeder Atemzug schmeckte auf seiner Zunge wie statische Elektrizität, ein Zeichen dafür, dass etwas mit der Luft der Stadt nicht stimmte.
Das Geräusch entfernter Schritte hallte wider, gespenstische Echos, die mal zu nah, mal zu weit weg schienen. Mikhailis verspürte ein beklemmendes Gefühl in der Brust. Es fühlt sich an, als würden wir durch den Bauch einer Bestie laufen, die darauf wartet, uns zu verschlingen.
<Die Verteilung des Nebels weist unregelmäßige Muster auf. Berechne Dichteabweichung … Fazit: externe Störung erkannt. Das Phänomen ist auf deine Umgebung beschränkt.>
Rodions Stimme war ruhig, aber zwischen den klaren Worten schwang ein Hauch von Sarkasmus mit. Mikhailis unterdrückte ein Grinsen. Typisch, dass du das lustig findest.
Er kniff die Augen zusammen und bemerkte, wie der Nebel in einigen Gassen dichter wurde, während er in den schmalen Gängen vor ihnen dünner wurde. Wie ein Labyrinth. Gänge, die von unsichtbaren Händen geformt worden waren, fast so, als wollte jemand sie irgendwohin leiten. Vielleicht die Technomanten oder eine dritte Partei. Das war egal. Sie mussten hier raus, bevor sie in eine Falle liefen.
„Das ist nicht normal“, murmelte er leise, während er sich hinter Vyrelda einreihte. Sie war besser als er darin, die Lage auf einem Schlachtfeld einzuschätzen, besonders auf engem Raum. Ihre Haltung war angespannt, ihre Augen suchten jede Ecke ab. Im Moment war Mikhailis mehr als bereit, sich von ihrem Instinkt leiten zu lassen.
Vyrelda warf einen Blick über ihre Schulter, ihr rotes Haar war zu einem ordentlichen Pferdeschwanz zusammengebunden, der bei jeder schnellen Bewegung hin und her schwang. „Glaubst du, das sind die Technomanten?“
Mikhailis schnippte mit den Fingern durch den Nebel, sah zu, wie er sich um seine Knöchel wickelte, bevor er sich in der feuchten Luft auflöste. „Nicht nur die. Da ist noch jemand, der die Spielregeln durcheinanderbringt.“
Vyrelda spottete. „Du hast ein Talent dafür, Ärger anzuziehen.“
Trotz der angespannten Stimmung grinste er sie an. „Das ist eine Gabe. Du solltest mal sehen, wie gut das bei einem Dinner-Date funktioniert.“
Sie verdrehte die Augen und unterdrückte ein leises Schnauben. „Du bist unmöglich.“
Ein plötzliches, fernes Klappern gepanzerter Stiefel und mechanisches Surren lenkte ihre Aufmerksamkeit auf die Hauptstraße vor ihnen. Aus dem wirbelnden Grau tauchten schemenhafte Gestalten auf, deren Silhouetten sich scharf gegen das schwache Licht der Straßenlaternen abzeichneten – Technomanten-Vollstrecker, begleitet von zwei mechanischen Wachen, die mit unheimlichen, pulsierenden roten Lichtern die Gegend absuchten. Die Gelenke der Wachen zischten, ihre Metallglieder bewegten sich mit mechanischer Präzision, jede Bewegung war zu geschmeidig und zu zielstrebig.
Rodions Stimme unterbrach sie.
<Feinde entdeckt. Sofortiges Eingreifen nicht ratsam. Wahrscheinlichkeit der Flucht bei direkter Konfrontation: 27,4 %.>
Vyreldas Hand wanderte zum Griff ihres Schwertes. Ihre Augen verengten sich, und für einen Herzschlag fragte sich Mikhailis, ob sie vielleicht trotzdem angreifen würde.
Sie hatte das schon einmal getan, einen furchtlosen Angriff, der ihre Feinde ins Wanken brachte, aber sie war nicht leichtsinnig. Nicht ganz. Sie schätzte die Chancen wie eine erfahrene Kriegerin, und die standen nicht gut.
„Wir können sie besiegen“, murmelte sie, aber die Unsicherheit in ihrer Stimme verriet ihre Vorsicht.
Mikhailis schüttelte den Kopf und sprach leise. „So gerne ich dich auch durch Metall schneiden sehen würde, wir sind nicht hier, um eine Straßenschlägerei anzuzetteln.“ Er sah sich um und musterte das Labyrinth aus Gassen. Die Hauptstraßen waren blockiert, schwere Barrikaden und Vollstrecker bildeten eine eiserne Absperrung. Die Gassen waren halb von wirbelndem Nebel verschluckt, der sich scheinbar nach Belieben verschob.
In seinem Kopf gingen ihm alle Möglichkeiten durch. Sie könnten über die Dächer fliehen, aber die mechanischen Wachen hatten vielleicht Scanner, die auch nach oben reichten. Sie könnten versuchen, eine Seitenstraße zu finden, aber dort war der Nebel am dichtesten, was darauf hindeuten könnte, dass es sich um eine Falle handelte.
„Handelstunnel“, sagte er plötzlich, als ihm die Erinnerung wie ein Blitz durch den Kopf schoss. „Es gibt Gerüchte, dass es sie unter diesem Viertel gibt. Alte Schmugglerrouten, die zu den unteren Stadtvierteln führen.“
Vyrelda runzelte die Stirn. „Welche Tunnel?“
Mikhailis ging zu einer unscheinbaren Holzverkleidung an der Seite eines Gebäudes und drückte leicht mit den Fingerspitzen gegen die Kante. Das Holz fühlte sich feucht an, fast morsch, aber bei näherer Betrachtung entdeckte er versteckte Scharniere. „Gerüchten zufolge haben die alten Handelsgilden sie benutzt, um Schmuggelware zu transportieren, als die Technomanten an die Macht kamen. Das wurde nie öffentlich zugegeben, aber die Geschichten haben sich gehalten.“
Sie warf ihm einen skeptischen Blick zu und verschränkte die Arme. „Und woher weißt du das?“
Er zwinkerte ihr zu und beugte sich vor, um die Holzplatte aufzuhebeln. „Ach, weißt du, ich hab so meine Mittel – charmante Bardamen, Gerüchte aufschnappen und dabei den Idioten spielen. Alle unterschätzen immer den gesprächigen Ausländer.“
Vyrelda verdrehte die Augen. „Du bist unverbesserlich.“
Bevor sie noch etwas sagen konnte, hallte das Echo schwerer Stiefel aus der angrenzenden Gasse. Die Vollstrecker kamen näher, ihre Schatten streckten sich über den nebelverhangenen Boden, als wollten sie nach ihnen greifen.
Keine Zeit für Streit.
Mikhailis drückte gegen die Tür und rechnete fast damit, dass sie klemmte, aber sie gab mit einem leisen Knarren nach. Der schmale Eingang dahinter war dunkel – keine Fackeln, keine Glühlampen. Nur ein klaffendes Loch, das in einen ungewissen Weg führte.
„Nach dir“, sagte er mit einem Grinsen.
Vyrelda ging voran und trat mit der stillen Zuversicht einer erfahrenen Kriegerin in den Schatten. Ihr Schwert, das das wenige verbleibende Licht reflektierte, hing locker, aber griffbereit an ihrer Seite. Mikhailis folgte ihr mit weit weniger Eile, seine goldenen Augen funkelten trotz der bedrohlichen Lage amüsiert. Hinter ihnen verschloss sich der Tunneleingang, gerade als das entfernte Echo der Rufe der Verfolger ihre Ohren erreichte.
„Gute Flucht“, murmelte Mikhailis.
Vyrelda warf ihm einen Blick über die Schulter. „Wir sind noch nicht aus der Gefahr heraus.“
Der Tunnel erstreckte sich vor ihnen, lang und feucht, die Luft war schwer vom Geruch alter Steine und abgestandener Feuchtigkeit. Ihre Schritte hallten in dem schmalen Gang wider, die Stille wurde nur durch gelegentliches Tropfen von Wasser unterbrochen, das durch die rissige Decke sickerte. Im Gegensatz zu den Straßen oben war die Luft hier nicht von Nebel verunreinigt. Sie war klar und frisch – unberührt von der künstlichen Kontrolle, die über die Stadt oben ausgeübt wurde.
Rodions Stimme summte in seinem Kopf, diesmal leiser, fast gedämpft.
„Umgebungsscan abgeschlossen. Keine Spuren künstlicher Nebelregulierung entdeckt. Dieser Bereich liegt außerhalb der bekannten Kontrolle der Technomanten.“
Mikhailis rollte mit den Schultern. „Das heißt, wir sind gerade auf etwas gestoßen, das sie noch nicht angerührt haben.“
Vyreldas Blick war scharf und berechnend. „Oder etwas, das sie aufgegeben haben.“
Mikhailis fuhr mit den Fingern über die rauen Wände und streifte dabei die schwachen Rillen von Gravuren – alte serewynische Schriftzeichen, längst verblasst, aber noch erkennbar. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, als ihn die Neugier packte.
„Das ist nicht nur ein Tunnel“, murmelte er und fuhr mit den Fingern über die abgenutzten Markierungen. „Das ist ein Teil von etwas viel Größerem.“
Der Gang bog nach vorne ab und senkte sich, während der Boden abfiel.
Je weiter sie vordrangen, desto mehr veränderte sich die Architektur. Zunächst war es nichts weiter als zerbrochener Stein, doch dann tauchten Metallreste auf – alte Rohre, die sich an den Wänden entlangschlängelten, halb im Fels vergraben, ihre Oberflächen mit Staub und Alter bedeckt. Sie reichten tiefer in die Dunkelheit hinein und verschwanden in den Schatten des unterirdischen Labyrinths.
Rodion untersuchte sofort die Gravuren.
<Diese Inschriften sind älter als die aktuellen Stadtunterlagen. Wahrscheinlichkeit einer Verbindung zur Infrastruktur vor den Technomanten: 89,6 %.>
Vyrelda verschränkte die Arme und umklammerte ihr Schwert fester. „Die Stadt war also nicht immer so.“
„Nein“, antwortete Mikhailis und trat einen Schritt vor. „Bevor die Technomanten den Nebel kontrollierten – bevor sie dieses künstliche System errichteten – gab es hier etwas anderes.“
Er ging zu einer in die Wand eingelassenen Konsole. Obwohl sie mit Schmutz und Staub bedeckt war, war ihre Form unverkennbar. Im Gegensatz zu den starren, präzisen Maschinen der Relaisstationen der Technomanten war dieses Design fließender, organischer – eine Mischung aus Technologie und Magie, die so miteinander verwoben war, als hätte sie einst in Harmonie statt in Zwang zusammengearbeitet. Ein System, das weniger nach Kontrolle als nach Gleichgewicht aussah.
Aus einer Laune heraus holte er das gestohlene Technomantenabzeichen aus seinem Mantel und drückte es gegen die Oberfläche.
Nichts.
Rodion stieß etwas aus, das man nur als mechanisches Spottlachen bezeichnen konnte.
<Nicht überraschend. Dieses System erkennt keine modernen Technomanten-Ausweise. Das Netzwerk hat das Abzeichen als Einbruchsversuch markiert.>
Mikhailis schnalzte mit der Zunge. „So viel zu Abkürzungen.“
Bevor sie über ihr weiteres Vorgehen beraten konnten, durchbrach ein leises, bedächtiges Geräusch die Stille. Vyrelda reagierte sofort, ihre Klinge blitzte im schwachen Licht auf, als sie eine Verteidigungshaltung einnahm.
Am anderen Ende des Raumes tauchte eine Gestalt auf.
Sie bewegte sich mit ruhiger Selbstsicherheit, in tiefes Grau gehüllt, die Kapuze ihr Gesicht verdeckend. Sie trug keine sichtbaren Waffen, doch etwas in ihrer Haltung verriet, dass sie bereit war.
Sie waren nicht überrascht, Mikhailis und Vyrelda zu sehen – sie hatten gewartet.
Der Fremde blieb in Reichweite stehen und musterte sie mit unlesbarem Gesichtsausdruck.
„Ihr solltet nicht hier sein“, sagte er mit ruhiger, abschätzender Stimme.
Das war genau derselbe Satz, den er gerade gehört hatte.
Mikhailis neigte den Kopf und lächelte faul. „Komisch, das wollte ich auch gerade sagen.“
Eine Bewegung im Schatten enthüllte einen Schimmer unter dem Umhang der Gestalt – ein subtil in den Stoff eingewebtes Abzeichen. Mikhailis erkannte es sofort.
Das Haus ohne Krone.
Vyrelda spannte sich an, ihre Knöchel um den Griff ihres Schwertes wurden weiß. „Was willst du?“
Die Gestalt atmete leise aus, als amüsiert. „Das sollte ich dich fragen.“
Mikhailis lächelte breiter. „Wir sind Touristen. Die unterirdischen Ruinen schienen uns eine reizvolle Sehenswürdigkeit zu sein.“
Die Gestalt reagierte nicht auf den Sarkasmus. Stattdessen blieb ihr Blick auf den Wänden und den Inschriften hängen, bevor er schließlich wieder auf sie zurückfiel. „Ihr mischt euch in etwas ein, das selbst wir nicht vollständig verstehen.“
Vyrelda blieb standhaft. „Und trotzdem glaubt ihr, dass ihr es besser versteht als wir.“
Eine Pause.
Dann: „Nein. Aber wir sind näher dran als alle anderen.“
Mikhailis brummte und rieb sich das Kinn. „Das klingt überhaupt nicht bedrohlich.“
Der Fremde ignorierte seine Belustigung. „Ihr habt mehr entdeckt, als ihr solltet. Aber euch fehlt das Wichtigste.“
Mikhailis hob eine Augenbraue. „Und das wäre?“
Die Gestalt zögerte.
Dann sprach sie endlich.
„Der Nebel sollte niemals von Menschenhand kontrolliert werden.“
Die Worte lagen schwer und beunruhigend in der Kammer. Die Steinwände, die staubbedeckten Mechanismen, die Luft selbst schienen nach innen zu drücken, als würden die Ruinen dieselbe Wahrheit flüstern.
Bevor er antworten konnte, durchlief ein tiefes Beben den Boden.
Ein leises Grollen, weit entfernt, aber immer lauter werdend.
Staub rieselte von der Decke, aufgewirbelt durch die plötzliche Erschütterung. Ein schwacher Impuls durchzog die Luft, fast unmerklich – etwas Uraltes, etwas, das erwachte.
Rodions Stimme wurde schärfer.
„Warnung: Strukturelle Instabilität erkannt. Unbekannte Energiefluktuation nähert sich.“
Mikhailis und Vyrelda tauschten einen Blick.
„Nun“, murmelte Mikhailis und bewegte seine Finger, „ich denke, wir sollten uns entscheiden, ob wir weglaufen oder das Ding, das das verursacht, anstupsen wollen.“
Vyrelda atmete durch die Nase aus und umklammerte ihr Schwert fester. „Du kennst meine Meinung bereits.“
Mikhailis grinste. „Gut, dass ich Ärger mag.“
Der Boden bebte unter ihren Füßen, der Nebel waberte unnatürlich in den Tunneln hinter ihnen. Es war nicht mehr die stagnierende Stille einer verlassenen Ruine – es bewegte sich. Es verschob sich. Es war lebendig.
Und irgendwo tief unter ihnen regte sich etwas.