Mikhailis streckte sich, stöhnte, als er sich im Bett aufsetzte, und wuschelte sich durch sein schon zerzaustes Haar. Der Morgennebel kroch durch die Fensterritzen und schlängelte sich wie faule Finger um das schwache Licht der Laterne, die die ganze Nacht gebrannt hatte. Seine goldenen Augen huschten zum Schreibtisch, wo das geklaute Technomancer-Gerät leise pulsierte und sein rhythmisches Summen die ansonsten stille Stube erfüllte.
Seine Finger trommelten träge gegen die Bettlaken, während er die letzten Reste des Schlafes wegblinzelte. Er war eingeschlafen, während er an dieses verdammte Ding gedacht hatte, und jetzt war es das Erste, was er sah, als er aufwachte. Das Gerät sah täuschend einfach aus – glatt, metallisch, ohne sichtbare Nähte oder Markierungen –, aber das schwache Leuchten im Inneren verriet es. Irgendetwas an ihm war lebendig. Nicht im wörtlichen Sinne, aber in der Art, wie es pulsierte, als würde es warten.
Rodions Stimme durchdrang seine Gedanken wie ein scharfer Messerstich.
„Analyse abgeschlossen. Das gestohlene Gerät ist mit dem Nebelkontrollnetzwerk von Luthadel verbunden. Hauptfunktion: Nebelregulierung. Sekundäre Funktionen sind noch unklar. Energiesignale deuten auf Modifikationen hin, die nicht mit der Standardtechnik der Technomanten übereinstimmen. Möglicherweise wurde das Gerät von außen manipuliert.“
Mikhailis rieb sich das Kinn und gähnte. „Manipuliert?“ Er blinzelte auf das Gerät. „Interessant. Wer sonst hätte den Mut gehabt, sich an so etwas zu vergreifen?“
Ein Technomant? Unwahrscheinlich. Hätten sie es selbst modifiziert, gäbe es keine Unstimmigkeiten. Das bedeutete, dass jemand außerhalb ihrer Reihen vor ihm an das Gerät gelangt war.
Seine Finger schwebten einen Moment lang über dem Gerät, bevor er es sich anders überlegte. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war, versehentlich eine versteckte Funktion auszulösen.
Rodion war noch nicht fertig.
<Außerdem enthält das Gerät ein passives Relais-Signal. Aktueller Status: inaktiv. Es hat seit dem Erwerb keine Übertragung gesendet, was darauf hindeutet, dass es möglicherweise extern aktiviert werden muss.>
Mikhailis atmete tief aus und rieb sich die Schläfen. „Übersetzung: Wir wissen nicht, was es sonst noch kann, aber es wartet wahrscheinlich darauf, dass etwas es auslöst.“
<Richtig. Es kann durch Umgebungsbedingungen, einen bestimmten externen Befehl oder beim Erreichen eines bestimmten Ortes aktiviert werden.>
„Na toll“, murmelte er und schwang seine Beine über die Bettkante. „Genau das, was ich brauche, eine möglicherweise explosive Geheimwaffe.“
Sein Blick fiel auf das Abzeichen, das daneben lag. Auch das barg Geheimnisse. Die schwache Reaktion, die es letzte Nacht gezeigt hatte, als es in die Nähe des Geräts gebracht wurde, deutete darauf hin, dass es nicht nur ein Abzeichen war – es war ein Schlüssel.
Und Schlüssel hatten immer Schlösser.
„Vielleicht hat jemand da draußen den richtigen Schlüssel, um dieses Ding einzuschalten“, überlegte er laut und griff nach dem Gerät und dem Abzeichen. „Ich würde gerne wissen, wer.“
Rodion antwortete mit trockener Belustigung in der Stimme.
„Ich vermute, du wirst es bald herausfinden, ob du willst oder nicht.“
Mikhailis grinste. „Das macht es ja gerade so spannend.“
Er stand auf und streckte seine Glieder, während die kalte Morgenluft seine Haut umschmeichelte. Der Raum war noch dunkel, das Licht der Laterne flackerte schwach und kämpfte gegen den hereinziehenden Nebel draußen. Die Schutzzauber von Luthadel hielten die unteren Stadtteile nur unzureichend frei, und seine derzeitige Unterkunft war nicht hoch genug in der sozialen Hierarchie, um von stärkeren Barrieren zu profitieren.
Er ging auf Zehenspitzen über den Holzboden zum Waschbecken am Fenster, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und fuhr sich mit der Hand durch sein zerzaustes Haar. Das half aber nicht viel. Er sah immer noch aus wie jemand, der die halbe Nacht damit verbracht hatte, etwas Unbekanntes zu analysieren.
Sein Mantel hing ordentlich über dem Stuhl neben seinem Schreibtisch, der dunkle Stoff verschmolz fast mit den Schatten. Als er danach griff, streiften seine Finger den Rand eines gefalteten Pergaments.
Der Brief des Prinzen.
Mikhailis seufzte und rieb sich den Nacken. Noch drei Tage bis zu Laethors Ankunft. Drei Tage, um herauszufinden, was er wollte, wie viel er wusste und ob sein Vorschlag es wert war, in Betracht gezogen zu werden. Drei Tage, um zu entscheiden, ob er sich in Serewyns Chaos einmischen wollte.
Er war kein politischer Spieler und hatte auch nicht vor, einer zu werden. Aber irgendetwas an dieser ganzen Situation war zu sorgfältig ausgeheckt, als dass man es ignorieren konnte. Die Technomanten, die Manipulation des Nebels, das modifizierte Gerät und nun eine mögliche Allianz mit einem Prinzen, dessen Königreich in erzwungener Abhängigkeit versank.
Es gab zu viele lose Fäden.
Und Mikhailis mochte unvollendete Rätsel nicht.
Er zog seinen Mantel über, richtete den Kragen mit einer lässigen Bewegung seiner Finger und spürte das Gewicht des Abzeichens und des Geräts in seiner Tasche, das ihn daran erinnerte, dass heute kein einfacher Tag werden würde. Nicht, dass es in Luthadel jemals einfache Tage gegeben hätte.
Mit einem letzten Blick auf das Gerät, das immer noch leise auf dem Schreibtisch pulsierte, drehte er sich auf dem Absatz um und ging zur Tür.
Was auch immer ihn heute erwarten würde, er würde es bald herausfinden.
Er zog seinen Mantel über, steckte beides in die Taschen und ging nach unten.
____
Im Gemeinschaftsraum der Herberge war leises Gemurmel zu hören, eher wie Geheimnisse als wie Smalltalk. Die Stimmung war angespannt, nicht gerade gemütlich, in einer Stadt, wo Vertrauen so selten war wie ehrliche Händler.
Selbst die Kellner, die mit bedächtigen Schritten zwischen den Tischen hin und her gingen, hielten ihre Tabletts, als würden sie mehr als nur Essen tragen – vielleicht belauschte Flüstereien, verschlüsselte Botschaften oder stille Warnungen, die zwischen vorsichtigen Händen weitergereicht wurden.
Mikhailis nahm alles in sich auf, während er die Treppe hinunterging, und ließ seinen Blick mit der trägen Aufmerksamkeit eines Menschen, der mehr sah, als er preisgab, durch den Raum schweifen. Der Ort war voller Kaufleute, Reisender und solcher, die gerne vorgaben, weder das eine noch das andere zu sein.
Ein vermummter Mann in der hintersten Ecke nippte an seinem Drink, während er mit dem Rücken zur Wand stand, zwei Händler unterhielten sich leise über ein Pergament, das schnell zusammengerollt wurde, sobald ein Kellner zu nahe kam, und am Fenster warf eine Frau gedankenverloren eine Münze in die Luft, während ihre Augen jeden neuen Gast mit beiläufigem Interesse musterten.
Paranoia oder einfach nur Business as usual? In Luthadel war es schwer, den Unterschied zu erkennen.
Seine Begleiter hatten bereits einen Tisch in der Ecke in Beschlag genommen und wirkten in der ansonsten zurückhaltenden Atmosphäre wie Fremdkörper. Lira, wie immer gelassen, nippte an ihrem Tee mit der mühelosen Anmut einer Adligen, die es längst verstanden hatte, sich von dem Chaos um sie herum unbeeindruckt zu zeigen. Sie nahm ihn kaum wahr, obwohl er wusste, dass sie ihn in dem Moment bemerkt hatte, als er den Raum betreten hatte.
Vyrelda saß mit verschränkten Armen da und musterte den Raum mit scharfen Augen wie ein Wolf, der sein Revier absucht. Selbst an einem relativ sicheren Ort benahm sie sich wie ein Soldat, der einen Hinterhalt erwartet, und angesichts des Rufs von Luthadel war es nicht falsch, dass sie auf der Hut war.
Cerys, deren Gesichtsausdruck wie immer nicht zu deuten war, schnitt methodisch in ihr Essen, mit derselben Präzision, die sie beim Schwertkampf an den Tag legte. Keine unnötige Bewegung, kein Zögern – nur eine ruhige Effizienz, die von Jahren strenger Disziplin zeugte. Falls das Essen irgendeinen Geschmack hatte, zeigte sie keine Anzeichen, ihn zu genießen.
Im krassen Gegensatz dazu war Estella völlig vertieft in etwas, das man nur als Liebesaffäre mit ihrem Teller geräuchertem Wild bezeichnen konnte. Sie studierte jeden Bissen, bevor sie ihn nahm, ihre goldenen Augen glänzten vor Neugier, und gelegentlich hielt sie inne, um nachzudenken. Ihr gegenüber sah Rhea aus, als würde sie eine persönliche Geduldsprobe bestehen.
„Du musst nicht jeden Bissen untersuchen, bevor du ihn isst“, seufzte Rhea und beobachtete, wie Estella ein Stück Fleisch ins Licht hielt, als ob es den Sinn des Lebens enthielte.
Estella ignorierte sie völlig und drehte das Stück in ihren Fingern. „Siehst du, wie sich der Nebel beim Räuchern auf dem Fleisch abgelagert hat? Der Geschmack muss unglaublich vielschichtig sein.“
Mikhailis grinste, als er herüber schlenderte, einen Stuhl hervorzog und sich theatralisch darauf fallen ließ. „Vorsichtig, Estella. Wenn du so weitermachst, halten dich die Leute noch für eine Gourmetkritikerin statt für eine überdrehte Unruhestifterin.“
Estella grinste, nahm endlich einen Bissen und genoss ihn, als wolle sie ihren Standpunkt unterstreichen. „Du machst dich über mich lustig, aber du wirst es bereuen, wenn ich das Geheimnis der legendären Würztechniken von Luthadel entdecke.“
Rhea verdrehte die Augen. „Es ist Salz und ein bisschen Magie.“
„Und Geheimnis“, fügte Estella unbeeindruckt hinzu.
Mikhailis lachte leise und trommelte mit den Fingern auf den Tisch, bevor er Liras Blick auffing. Sie stellte ihre Teetasse ab und sah ihn mit einem vielsagenden Blick an, der ihm sofort klar machte, dass sie keine Lust auf Unsinn hatte. Nicht, dass ihn das jemals davon abgehalten hätte.
„Du hast länger gebraucht als sonst“, sagte sie sanft, aber mit einer unterschwelligen Erwartung einer Erklärung.
„Ich brauchte meinen Schönheitsschlaf“, antwortete er und streckte sich. „Es ist harte Arbeit, so charmant zu sein.“
Lira warf ihm einen unbeeindruckten Blick zu, aber Vyrelda schnaubte und schüttelte den Kopf.
„Aber noch wichtiger“, fuhr er fort und tippte mit einem lockeren Grinsen auf seine Tasche, „ich habe die Analyse unseres kleinen Spielzeugs abgeschlossen.“
Das weckte ihr Interesse. Am Tisch wurde es still, alle Blicke richteten sich mit einer subtilen Spannung auf ihn.
„Es ist mit dem Nebelnetzwerk verbunden“, sagte er mit leiser Stimme, obwohl er sich ganz lässig gab. „Jemand hat es modifiziert, aber wir wissen noch nicht, warum.“
Vyrelda runzelte die Stirn. „Wenn es verändert wurde, dann hatte derjenige Zugang zu hochentwickelter Technomantenausrüstung.“
„Oder er hat sie gestohlen“, fügte Cerys schlicht hinzu und schob ihren leeren Teller beiseite. „Was bedeutet, dass jemand danach sucht.“
Lira, wie immer ganz gelassen, neigte leicht den Kopf. „Die eigentliche Frage ist: Haben die Technomanten bemerkt, dass es fehlt?“
Mikhailis stützte sein Kinn auf seine Handfläche und dachte nach. Er hatte das Gerät unter nicht gerade subtilen Umständen an sich genommen, aber Technomanten waren nicht der Typ, der wegen eines einzigen fehlenden Schmuckstücks in Panik geriet. Sie würden erst einmal beobachten. Sehen, wer sich anders verhielt. Sehen, wer nervös wurde.
„Wenn sie es noch nicht bemerkt haben“, fuhr Lira mit ruhiger, aber eindringlicher Stimme fort, „werden sie es bald tun. Du solltest davon ausgehen, dass wir bereits beobachtet werden.“
„Oh, wir werden definitiv beobachtet“, sinnierte Mikhailis und blickte mit seinen goldenen Augen zum Fenster, wo auf dem Marktplatz bereits reges Treiben herrschte. „Und nicht nur von den Technomanten.“