Die Ruinen waren unheimlich still, nur der Wind rauschte leise durch verkohlte Balken und zerbrochene Mauern. Mikhailis stand am Rand des ehemaligen Dorfplatzes und ließ seinen Blick über die Verwüstung schweifen. Seine Brille glänzte leicht, als Rodions Stimme leise in seinem Ohr flüsterte.
Mikhailis steckte die Hände in die Taschen und behielt eine lässige Haltung bei, als würde er nur die Trümmer einer Sturmkatastrophe begutachten. In Wahrheit waren die Chimärenameisen bereits in Bewegung, ihre kleinen Körper huschten mit unheimlicher Präzision in die Ruinen. Sie krochen in jede Ritze, kletterten mit insektenhafter Leichtigkeit an verbrannten Balken empor und verschwanden im Boden, um Spuren von dem zu sammeln, was sich hier abgespielt hatte.
Ihre lautlose Effizienz vermittelte den unheimlichen Eindruck, dass dieser Ort von einer unsichtbaren Intelligenz durchkämmt wurde.
Aus dem Augenwinkel nahm Mikhailis eine winzige Bewegung wahr, eine Chimärenameise, die an einem verkohlten Balken entlang huschte. Für jeden anderen wäre es nichts weiter als ein flüchtiger Schatten gewesen, eine Täuschung des sterbenden Lichts. Sein Gesichtsausdruck blieb neutral, doch innerlich staunte er über ihre Geschicklichkeit.
Erstaunlich, was man mit so akribischen Kreaturen erreichen kann.
Während die Ameisen arbeiteten, begleitete ein leises, fast unhörbares Summen ihre Bewegungen, das nur von den Audiosensoren in seiner Brille wahrgenommen wurde. Jede Bewegung wurde in Echtzeit an Rodion weitergeleitet, wo die KI die Daten mit maschineller Präzision verarbeitete. Mikhailis tat so, als würde ihn das nicht interessieren, und wandte seinen Blick gelegentlich zum Himmel, aber jede noch so kleine Geste war darauf ausgerichtet, keinen Verdacht zu erregen.
„Sieht aus, als hätte jemand einen Grillabend veranstaltet und mich vergessen“, murmelte Mikhailis leise, sein Tonfall war locker, aber sein Gesichtsausdruck ernst.
<Die Verwüstung entspricht einem groß angelegten Angriff. Erste Analysen deuten auf die Beteiligung einer Monsterhorde hin, die wahrscheinlich aus den umliegenden Waldgebieten stammt. Unregelmäßigkeiten lassen jedoch auf zusätzliche Faktoren schließen, die diese Schlussfolgerung erschweren.>
<Die kartierten Zerstörungsbahnen zeigen keine für Monsterhorden typische Zufälligkeit. Stattdessen deuten die Schadensmuster auf gezielte Angriffe auf wichtige Infrastruktureinrichtungen des Dorfes hin, darunter Schutzsteine und Lagerbereiche.>
<Lokale Scans weisen auf Manipulationen an Schutzrunen an mehreren Stellen rund um die Dorfgrenze hin. Die Runen wurden nicht einfach mit roher Gewalt beschädigt, sondern bestimmte Symbole wurden mit Werkzeugen zerstört, die feine, absichtliche Spuren hinterlassen.
Diese Werkzeuge sind fremdartig verarbeitet, was auf Eingriffe von außen hindeutet, wahrscheinlich von Menschen.
Saboteure scheinen die Ankunft der Monsterhorde ausgenutzt zu haben, um die Schutzsteine gezielt zu entfernen und so maximale Zerstörung zu erreichen. Diese Präzision lässt vermuten, dass es sich nicht um einen Zufall handelt, sondern um Teil eines größeren Plans, der entweder darauf abzielt, Beweise zu vernichten oder in der Region weit verbreitete Angst zu schüren.
Rodions Tonfall war wie immer nüchtern und distanziert, doch Mikhailis konnte einen Hauch von Neugierde heraushören. Er ging vorwärts, hockte sich neben ein eingestürztes Gebäude und fuhr mit den Fingern über einen verkohlten Balken.
Das sind nicht nur Monster, die hier gewütet haben … Das war Absicht.
<An mehreren Grenzpunkten wurden manipulierte Schutzrunen entdeckt. Die verwendeten Werkzeuge stammen nicht aus der Region, was auf eine Einmischung von außen hindeutet.>
„Sabotage?“, murmelte er mit leiser Stimme.
<Sehr wahrscheinlich. Die Muster der Beschädigungen und Störungen deuten auf eine koordinierte Einmischung hin, möglicherweise alchemistischer oder magischer Natur.>
Das schwache Leuchten seiner Brille lieferte Bilder von den Chimärenameisen und zeigte Nahaufnahmen der zerstörten Schutzrunen. Als die Chimärenameisen die komplizierten Schnitzereien mit ihren Präzisionswerkzeugen untersuchten, wurden die Anzeichen einer absichtlichen Manipulation schmerzlich deutlich.
Die einst glatten Glyphen waren grob zerkratzt worden, ihr schützender Zauber an kritischen Stellen unterbrochen. Die Spuren waren nicht zufällig – die Störung war absichtlich und gezielt, wichtige Glyphen waren unwirksam gemacht worden, als hätte jemand mit großem Wissen über Schutzzauber daran gearbeitet.
Mikhailis runzelte die Stirn, während er die Bilder verarbeitete.
Das waren nicht die Kratzspuren eines tobenden Monsters. Jemand wusste genau, was er tat. Er rückte seine Brille zurecht und seine Gedanken rasten. Die Muster und die Präzision der Beschädigungen deuteten eher auf eine koordinierte Aktion hin als auf die chaotische Zerstörungswut einer Horde.
Mikhailis hockte sich neben ein Stück eines zerbrochenen Schutzsteins und wischte Ruß und Asche weg. Mit seinen behandschuhten Fingern fuhr er die schwachen Umrisse der zerstörten Glyphen nach.
Das war nicht nur Sabotage – es war eine Einladung. Jemand wollte, dass die Monster zu Ende brachten, was sie begonnen hatten. Er atmete langsam aus, während sein Verstand das Szenario zusammenfügte. Wer auch immer das getan hatte, hatte nicht nur die Verteidigungsanlagen zerstört, sondern auch dafür gesorgt, dass die Monster nach dem Angriff ins Dorf gelockt würden, was die Zerstörung noch verstärken würde.
Als die Übertragung zu einem anderen Ort wechselte, wo die Chimärenameisen über die verkohlte Erde krabbelten, fügte Rodion eine weitere Beobachtung hinzu.
„In der Nähe des Dorfes wurden Spuren magischer Verbrennungen entdeckt. Alchemistische Rückstände deuten darauf hin, dass ein Feuerzauber oder ein verzauberter Reagenz verwendet wurde, wahrscheinlich um die Ausbreitung der Zerstörung zu beschleunigen.“
Mikhailis richtete sich auf und strich sich mit den Händen über die Hose. Er drehte sich mit grimmiger Miene zu den anderen um.
„Das war nicht nur eine Monsterhorde. Jemand wollte dieses Dorf vernichten.“
„Eure Hoheit, was macht Ihr da?“ Cerys‘ Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Sie stand ein paar Schritte entfernt, angespannt, die Hand auf dem Schwertgriff. Ihre scharfen grünen Augen musterten ihn, eine Mischung aus Neugier und Besorgnis.
Er richtete sich auf und strich sich mit den Händen über die Hose.
„Ich versuche nur, mir einen Reim darauf zu machen.“
Lira näherte sich von hinten, ihre Schritte waren bedächtig und bedächtig. Ihr schwarzer Pferdeschwanz schwang sanft, als sie die Arme verschränkte.
„Und was hast du herausgefunden?“
Mikhailis schenkte ihr ein schwaches Lächeln, das seine Augen nicht ganz erreichte.
„Genug, um zu wissen, dass wir es nicht mit zufälligem Chaos zu tun haben.“
„Willst du das näher ausführen?“ Liras Tonfall war ruhig, aber hinter ihren Worten schwang eine scharfe Kante mit.
Er zögerte und warf einen Blick auf die anderen. Rhea stand in einiger Entfernung und suchte den Horizont ab, während Estella neben einem verbrannten Wagen kniete und mit den Fingern die Kanten eines zerbrochenen Rades nachfühlte.
„Noch nicht“, sagte Mikhailis schließlich.
„Lasst uns hier übernachten. Wir schlagen unser Lager auf und sammeln uns morgen früh wieder.“
Lira kniff leicht die Augen zusammen, hakte aber nicht weiter nach. Stattdessen drehte sie sich um und begann, Anweisungen zu erteilen, wobei ihre gelassene Haltung in krassem Gegensatz zu der Unruhe stand, die unter der Oberfläche brodelte.
____
Die Gruppe arbeitete effizient und baute ihr königliches Zelt inmitten der Ruinen auf. Die Konstruktion war zwar tragbar, aber geräumig und komfortabel, und ihr Design zeugte von Mikhailis‘ Vorliebe für die Verbindung von Praktikabilität und Luxus. Cerys und Rhea sicherten die Umgebung und hielten wachsam Ausschau, während Estella und Lira das Innere organisierten und Bettzeug und Vorräte verteilten.
Das Feuer, das sie in der Nähe des Zeltes entfachten, brannte heller als sonst und drängte die eindringende Kälte des Nebels zurück. Estella passte die Schutzzauber um das Lager an, um sicherzustellen, dass der unheimliche Nebel nicht zu nahe kommen konnte. Das sanfte Leuchten der Schutzzauber warf ein mildes Licht und schuf eine Oase der Geborgenheit inmitten der Trostlosigkeit.
Als sich die Gruppe niederließ, setzte sich Mikhailis ans Feuer, den Blick in die Ferne gerichtet und in einer täuschend entspannten Haltung. Die flackernden Flammen zeichneten wechselnde Lichtmuster auf seine Brille und verdeckten die scharfe Intensität in seinen Augen. Er beugte sich vor, stützte die Ellbogen auf die Knie, während das vertraute Summen von Rodions Stimme wie ein Flüstern in der knisternden Stille seine Ohren erfüllte.
<Analyse abgeschlossen. Die Ergebnisse bestätigen eine Kombination aus Monsterhordenaktivität und äußeren Einflüssen. Spuren von magischer Verbrennung deuten auf alchemistisches Feuer oder die Beteiligung eines Zauberers hin.>
Mikhailis presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen und krallte seine Finger leicht in die Kante seines Oberschenkels.
Natürlich konnte es nicht nur eine Sache sein. Nichts war jemals so einfach. Er atmete tief ein und ließ die kühle Luft die Hitze in seiner Brust abkühlen, während er die Informationen verarbeitete.
<Weitere Anomalien in der Bodenbeschaffenheit entdeckt. Die Asche enthält Partikel von verbranntem Fleisch und schwache magische Rückstände. Das passt zu einer Taktik der verbrannten Erde, möglicherweise um Beweise zu vernichten.>
Sein Kiefer spannte sich an, die Muskeln zuckten im schwachen Schein des Feuers.
Jemand hatte sich viel Mühe gegeben, um diesen Ort auszulöschen. Aber warum? Die Frage nagte an ihm, ein hartnäckiges Echo, das nicht verstummen wollte. Er starrte in die Flammen, deren chaotischer Tanz ein Spiegelbild seiner eigenen unruhigen Gedanken war.
Auf der anderen Seite des Feuers saß Cerys und schärfte ihr Schwert mit methodischer Präzision, ihre grünen Augen konzentriert und doch abwesend, als würde sie die Last des Unbekannten spüren. Das metallische Kratzen der Klinge auf dem Schleifstein bildete einen gleichmäßigen Kontrast zum Knistern des Feuers. Lira stand am Rand des Lichtkreises, ihre Silhouette wie immer anmutig und gelassen, doch ihr Blick verriet eine Spur von Besorgnis, als er zu Mikhailis wanderte.
„Was beschäftigt dich?“, fragte sie leise, ihre Stimme übertönte das leise Murmeln der Gruppe, die mit den Vorbereitungen beschäftigt war.
Mikhailis warf ihr einen Blick zu, ein leichtes Grinsen umspielte seine Lippen.
„Ach, du weißt schon, ich denke nur über die großen Fragen des Lebens nach. Zum Beispiel, wer entschieden hat, dass ein Spukdorf der perfekte Ort für eine Übernachtungsparty ist.“
Liras Gesichtsausdruck veränderte sich nicht, ihre dunklen Augen blieben ruhig und unnachgiebig.
„Du bist so still. Das ist nie ein gutes Zeichen.“
Er lehnte sich leicht zurück und stützte sich mit den Händen auf dem kühlen Boden ab.
„Ich frage mich nur, wer davon profitiert, ein Dorf in Schutt und Asche zu legen. Das scheint mir ziemlich viel Aufwand für jemanden ohne Motiv zu sein.“
Cerys hielt inne, hob den Blick und kniff ihre smaragdgrünen Augen zusammen.
„Du glaubst, jemand hat das inszeniert?“
„Glauben? Ich bin mir fast sicher“, antwortete Mikhailis mit trockenem Humor, der die Härte in seiner Stimme nicht verbergen konnte.
„Die Frage ist nicht, wer es getan hat, sondern was sie zu verbergen hatten.“
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Bevor jemand antworten konnte, hallte ein leises Rascheln aus dem dunklen Rand der Ruinen. Es war kaum zu hören, fast übertönt von den Geräuschen der Nacht, aber dennoch laut genug, um die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. Cerys sprang blitzschnell auf und hielt ihr Schwert bereit. Rhea folgte ihr einen Herzschlag später, ihre Bewegungen fließend, während sie mit geübter Wachsamkeit die Schatten absuchte.
Lira trat näher an Mikhailis heran, die Hände leicht auf den Falten ihres Umhangs ruhend, obwohl ihre Haltung alles andere als entspannt war. Estella, die neben den Schutzzaubern stand, versteifte sich sichtlich und krallte ihre Finger in die Ränder ihres Schals.
Mikhailis blieb sitzen und starrte unerschrocken in die hereinbrechende Dunkelheit. Seine leise, bedächtige Stimme durchbrach die angespannte Stille.
„Rodion?“
<Scannen…>
Das schwache Leuchten seiner Brille wurde intensiver, als Rodion die Daten verarbeitete und stille Updates direkt in sein Sichtfeld einspeiste. Mikhailis‘ Hand wanderte zum Griff seines Dolches, doch er machte keine Anstalten, sich zu erheben. Das Feuerlicht tanzte über sein Gesicht und betonte die scharfen Züge seines Gesichtsausdrucks, während er wartete.
Das Rascheln wurde lauter, näher, verstärkt durch die bedrückende Stille der Ruinen. Die Zeit schien sich zu dehnen, jede Sekunde wurde durch die kollektive Erwartung der Gruppe schwerer. Mikhailis‘ Blick verengte sich, sein Verstand durchspielte verschiedene Szenarien, während er langsam ausatmete, um sich zu beruhigen.
<Mehrere Präsenzen entdeckt. Erste Analyse deutet auf nicht-menschliche Wesen hin. Wahrscheinlichkeit einer feindlichen Absicht: 87 %.>
„War klar“, murmelte Mikhailis leise, sodass seine Stimme kaum über das Knistern des Feuers zu hören war. Er richtete sich leicht auf und sprach mit ruhiger, aber fester Stimme zu den anderen.
„Bleibt bereit. Sieht so aus, als hätten wir Gesellschaft.“