Die Leere erstreckte sich unendlich in alle Richtungen, ein endloser Abgrund der Nichtigkeit. Mikhailis schwebte schwerelos, als hätte die Schwerkraft aufgehört zu existieren. Zuerst war nur Stille – eine tiefe, erdrückende Stille, die auf seine Sinne drückte. Dann, aus der Dunkelheit, entzündete sich ein Funke.
Ein winziger Lichtpunkt, unglaublich klein und doch blendend hell, dehnte sich langsam und bedächtig aus. Plötzlich brach er hervor, und strahlende Energiebögen zerschnitten die Leere wie Adern aus geschmolzenem Feuer. Mikhailis schirmte instinktiv seine Augen ab, doch es half nichts. Das Licht verschlang alles.
Fühlt sich so der Tod an?
Aber nein – es war nicht der Tod. Es war die Schöpfung.
Farben, die Mikhailis nicht benennen konnte, explodierten nach außen und wirbelten zu Strömen lebhafter Mana zusammen. Flüsse aus Energie flossen durch den leeren Raum, sich windend und kräuselnd wie Lebewesen. Sie flossen ins Nichts und schufen etwas. Er konnte es sehen – Sterne entstanden, ihre Flammen hauchten der kalten Leere Leben ein. Planetenmassen nahmen in Spiralen aus Staub und Mana Gestalt an, die Energie verflochten sich wie Fäden in einem himmlischen Wandteppich.
Die Magie war nicht chaotisch. Sie war nicht zufällig. Sie war lebendig.
Mikhailis schwebte darin, leicht wie eine Feder in einem Hurrikan. Die schiere Größe des Ganzen ließ seine Brust zusammenziehen. Er war hier nichts – ein Staubkorn, das die Geburt der Ewigkeit beobachtete. Und doch konnte er es spüren: eine Kraft, die sanft und überwältigend zugleich war und ihn umhüllte. Die Mana strömte um ihn herum, durch ihn hindurch und flüsterte Worte, die er nicht verstehen konnte, aber irgendwie fühlte.
Erschaffung und Zerstörung. Leben und Verfall.
Die Ströme der Magie bewegten sich wie Wellen, brachen an unsichtbaren Ufern und schossen vorwärts, um erneut etwas zu erschaffen. Mikhailis streckte instinktiv eine Hand aus, und für einen Moment war es, als würde er den Stoff der Existenz selbst berühren. Die Energie kribbelte an seinen Fingerspitzen, voller Leben und Potenzial, endlos wiedergeboren in Zyklen von Wachstum und Tod.
Das ist also Magie?
Es war Ausgewogenheit. Eine schöpferische Kraft, die Sterne zum Leben erweckte, sie aber auch wieder zerreißen konnte. Mikhailis‘ Herz pochte, überwältigt von ihrer Schönheit und ihrer stillen Grausamkeit. Je länger er darin schwebte, desto besser verstand er: Magie war nichts, was man einsetzen konnte. Sie war etwas, das man respektieren musste. Ein Fluss, der Leben schenkte, aber auch diejenigen ertränken konnte, die sich seinem Lauf widersetzten.
„…Mikhailis…“
Die Stimme war leise und drang wie ein Echo zu ihm. Seine Verbindung zu dem kosmischen Anblick begann zu schwanken. Die lebhaften Ströme aus Mana verschwammen, zerbrachen in Lichtbänder, die sich in der dunklen Leere auflösten. Er spürte, wie er abrutschte, wie sein Körper von etwas Kälterem, Schwererem zurückgezogen wurde.
„…Mikhailis!“
Rodions Stimme drang durch, jetzt schärfer, schneidend wie ein Seil, das ihn zurück in die Realität zog.
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Mikhailis wachte mit einem Keuchen auf, seine Brust hob und senkte sich, als hätte er unter Wasser gelegen. Die Höhlendecke ragte über ihm auf, düster und rissig, durch die Spalten drangen schwache Lichtstrahlen. Sein ganzer Körper schmerzte, ein pochender Schmerz setzte sich tief in seinen Muskeln fest.
Eine sanfte Wärme streifte seine Stirn. Zarte Finger fuhren durch sein Haar, beruhigend und doch zögernd.
Der vertraute Duft von Cerys erfüllte seine Sinne – frisch, rein, mit einem Hauch von Eisen. Er blinzelte langsam und seine Sicht wurde klarer.
„Endlich bist du aufgewacht“, sagte Cerys mit leiser Stimme, die vor unterdrückter Wut bebte.
„Was hast du dir dabei gedacht, Eure Hoheit?“
Ihre Worte waren scharf, aber ihre Hand bewegte sich weiter sanft und strich mit überraschender Zärtlichkeit durch sein zerzaustes Haar.
Mikhailis neigte den Kopf leicht und blinzelte ihr mit trüben Augen entgegen. Ihr roter Pferdeschwanz fiel ihr über die Schulter, ein paar Strähnen entflohen dem Haargummi und umrahmten ihren strengen, aber erschöpften Gesichtsausdruck. Das schwache Flackern des Feuers spiegelte sich in ihrem müden Blick und milderte ihre Frustration zu etwas Sanfterem – etwas, das Mikhailis leicht in der Brust zerrte.
Er öffnete den Mund, um zu erwidern – ein halbfertiger Witz lag ihm auf der Zunge, denn das war es, was er immer tat –, aber seine Stimme versagte, als er sie wirklich sah. Die Art, wie ihre Stirn leicht gerunzelt war, die Mundwinkel nach unten gezogen waren und ihre Hand leicht zitterte, als sie durch sein Haar fuhr. Sie schimpfte nicht nur mit ihm, sie machte sich Sorgen. Große Sorgen.
Mikhailis schluckte, die Schwere des Augenblicks ließ ihm die üblichen sarkastischen Worte im Hals stecken bleiben. Er blinzelte sie erneut an, als würde er sie zum ersten Mal sehen, aber bevor er etwas sagen konnte, unterbrach ihn eine andere Stimme.
„Herzlichen Glückwunsch, dass du wieder einmal dem Tod von der Schippe gesprungen bist, Mikhailis. Deine Fähigkeit zur Leichtsinnigkeit bleibt unübertroffen.“
Rodions Stimme summte leise aus seiner Brille. Sie klang etwas angespannt, als würde eine KI Humor in ein System zwingen, das dafür nicht ausgelegt war.
Hör ich da etwa Besorgnis, Rodion?
„Ugh“, stöhnte Mikhailis und ignorierte Rodion vorerst, während sein Blick zu Cerys zurückkehrte. Er versuchte sich aufzurichten, aber ein stechender Schmerz in seiner Seite hielt ihn davon ab.
„Nicht bewegen!“, schimpfte Cerys mit leicht brüchiger Stimme, in der sich Frust und kaum unterdrückte Erleichterung vermischten. Sie drückte ihre Hand leicht gegen seine Brust, um ihn festzuhalten, und Mikhailis spürte das leichte Zittern in ihrer Berührung, das verriet, wie erschüttert sie war.
Er blinzelte benommen und sah sich um, bevor sein Blick auf ihr ruhte. Zum ersten Mal bemerkte er die sorgfältige Arbeit der frischen Verbände, die fest um seinen Oberkörper gewickelt waren. Das saubere Leinen stand im Kontrast zu dem Schmutz und den schwachen Blutstreifen, die noch auf seiner Haut klebten, ein stiller Beweis für ihre Fürsorge.
„Hast du das alles gemacht?“, krächzte er mit rauer, unregelmäßiger Stimme.
Cerys warf ihm einen Blick zu, der halb vorwurfsvoll, halb verzweifelt war.
„Natürlich habe ich das“, schnauzte sie ihn an.
„Du warst halbtot, als ich dich gefunden habe! Was hätte ich denn tun sollen – einfach nur dasitzen und zusehen?“
Mikhailis versuchte, sich leicht zu bewegen, aber der Schmerz in seiner Seite flammte auf, sodass er scharf zischte und sich wieder zurücklehnte. Cerys drückte ihre Hand etwas fester auf seine Brust, ihre Berührung war sanft, aber bestimmt.
„Ich habe dir gesagt, du sollst dich nicht bewegen“, sagte sie erneut, diesmal leiser, obwohl ihre Augen etwas Unausgesprochenes widerspiegelten – etwas Zerbrechliches.
Ihr Gesicht war ganz nah an seinem, ihr roter Pferdeschwanz fiel ihr über die Schulter. Einige lose Haarsträhnen umrahmten ihr Gesicht und ließen sie fast … weicher, weniger verschlossen wirken. Ihre Stirn runzelte sich, und für einen Moment konnte Mikhailis sehen, wie müde sie wirklich war – die leichten Schatten unter ihren Augen, die Anspannung in ihrem Kiefer.
„Ich habe dich nicht gebeten, mich zu retten“, murmelte er und versuchte, unbeschwert zu klingen, aber es kam leiser heraus, fast entschuldigend.
Cerys erstarrte, ihre Lippen öffneten sich, als wollte sie widersprechen, aber dann schloss sie den Mund und schüttelte den Kopf.
„Sag nicht so etwas Dummes“, sagte sie mit leicht zitternder Stimme. Ihr Blick fiel auf seine bandagierte Brust, und ihre Hand verweilte dort einen Moment länger.
„Was hätte ich denn tun sollen? Dich einfach …“ Ihre Stimme verstummte, als wäre allein der Gedanke unerträglich.
Mikhailis‘ Herz zog sich unerwartet zusammen, die Last ihrer Sorge drückte schwerer auf ihn als seine körperlichen Verletzungen.
„Es tut mir leid“, sagte er leise, und seine Stimme klang ungewöhnlich aufrichtig.
„Ich werde versuchen, das nicht zur Gewohnheit werden zu lassen.“
„Das solltest du besser nicht“, murmelte sie, obwohl ihre Stimme weicher geworden war. Ihr Blick huschte zurück zu ihm, suchte sein Gesicht nach etwas Unausgesprochenem, bevor sie schnell wegschaute.
„Jetzt beweg dich nicht, sonst ruinierst du meine Arbeit.“
„Du … hast das gemacht?“, fragte er mit heiserer Stimme.
„Wer sonst?“, fuhr sie ihn an. Ihr Gesicht verhärtete sich, aber er übersah nicht den schwachen Glanz der Tränen, die sich in ihren Augen sammelten.
„Du hättest nicht alleine kämpfen sollen. Du hättest mich wecken sollen!“
Mikhailis erstarrte für einen Moment, ihre Worte durchdrangen den Nebel der Schmerzen, der noch immer seinen Körper bedrückte. Cerys‘ Gesicht war eine Mischung aus Wut und tiefer Sorge, ihr roter Pferdeschwanz schwankte, als sie sich etwas näher zu ihm beugte. Er konnte ihren Blick spüren, unerschütterlich und nach Antworten verlangend.
Ich kann ihr nichts von den Chimera-Ameisen erzählen. Oder von der Kristallschleier-Schlange.
Der Gedanke traf ihn wie ein Schlag. Er konnte ihr nicht erklären, was in der Schlacht passiert war, dass eine riesige Schlange ihn fast zerquetscht hätte und dass eine versteckte Armee von Chimärenameisen das Schlachtfeld gesäubert hatte. Von der Schlange war keine Spur mehr zu sehen; natürlich würde Cerys Antworten verlangen.
Er atmete zittrig aus, während sein Gehirn nach einer glaubwürdigen Erklärung suchte.
„Was ist passiert?“, fragte sie erneut, jetzt leiser, aber die Verzweiflung in ihrer Stimme war unüberhörbar.
„Ah …“, Mikhailis bewegte sich leicht und unterdrückte ein Stöhnen, als Schmerz seinen Körper durchzuckte. Er wandte den Blick für einen Moment ab und dachte nach. „Es waren … Nebelwölfe.“
„Nebelwölfe?“ Cerys kniff die Augen zusammen.
„Ja“, hustete er leicht und versuchte, so lässig wie möglich zu wirken.
„Ein ganzes Rudel. Sie kamen aus dem Nichts – müssen wohl vom Feuer angezogen worden sein oder so. Ich hab sie abgewehrt.“ Er hielt inne und zwang sich zu einem reumütigen Grinsen. „Ich hab zwei erwischt, bevor die anderen mit ihren Toten abgehauen sind. Feiglinge, ehrlich.“
Cerys runzelte die Stirn und musterte seine bandagierten Körper skeptisch.
„Ein ganzes Rudel Nebelwölfe? Ganz allein?“
„Was hätte ich denn machen sollen? Mich von ihnen auffressen lassen?“ Mikhailis sagte das zwar schwach, aber das Lächeln reichte nicht bis zu seinen Augen.
Cerys seufzte und drückte die Nasenwurzel.
„Du bist unglaublich.“ Ihre Frustration schien etwas nachzulassen, als ihr Blick wieder auf seine Verbände fiel.
„Du hättest sterben können, Eure Hoheit. Das sind keine wilden Hunde – das sind Raubtiere.“
„Entspann dich, einsame Wölfin“, antwortete er und schenkte ihr trotz der Schmerzen sein übliches schiefes Lächeln.
„Ich bin doch noch da, oder?“
Ihr Gesichtsausdruck verdüsterte sich und sie schüttelte den Kopf.
„Du hättest dieses Risiko nicht alleine eingehen dürfen. Du hättest mich wecken sollen.“
Mikhailis versuchte mit den Schultern zu zucken, bereute es jedoch sofort, als ein weiterer Schmerz durch seine Seite schoss. „Ich wollte dich nicht stören. Du musstest dich ausruhen.“
„Du … Idiot“, murmelte sie mit leicht zitternder Stimme.
Ihre Fäuste ballten sich an ihren Seiten. „Was hätte ich getan, wenn … wenn du es nicht geschafft hättest?“
Mikhailis blinzelte sie an, die Schuld in ihrer Stimme zerrte stärker an ihm, als er erwartet hatte. Er seufzte leise, hob eine zitternde Hand, umfasste sanft ihre Wange und strich mit seinem Daumen über ihre Haut. Sie erstarrte und sah ihn mit großen Augen an.
„Hey“, sagte er leise, ohne seinen üblichen neckischen Tonfall. „Zumindest bin ich am Leben, okay? Also mach nicht so ein Gesicht.“
Einen Moment lang starrte Cerys ihn nur an, ihre Lippen zitterten leicht, als Tränen ihr in die Augen stiegen. Dann überwand sie ihre Zurückhaltung, beugte sich vor und schlang vorsichtig ihre Arme um ihn. Ihre Umarmung war sanft, fast zögerlich, als hätte sie Angst, ihn zerbrechen zu können.
„Du bist hoffnungslos“, flüsterte sie, doch ihre Stimme klang sanfter und mehr von Erleichterung als von Frustration geprägt.
Mikhailis blinzelte sie überrascht an, überrascht von der plötzlichen Intensität. Für einen Moment überkam ihn ein Gefühl der Schuld. Sie hatte sich wirklich Sorgen gemacht.
Mist. Sie meint es ernst.
„Ich wollte dich nicht beunruhigen“, antwortete er mit seinem typischen schiefen Lächeln, das jedoch verschwand, als er sah, dass ihr die Tränen kamen.
„Du … Idiot“, murmelte Cerys mit zitternder Stimme. Sie senkte den Blick und krallte ihre Hände in die Ärmel.
„Was hätte ich getan, wenn … wenn du gestorben wärst?“
Mikhailis starrte sie einen langen Moment an, bevor er eine zitternde Hand hob. Er legte sie sanft auf ihre Wange und wischte ihr mit dem Daumen die Tränen weg.
„Hey“, sagte er leise, seine Stimme ohne ihren üblichen neckischen Tonfall.
„Zumindest lebe ich noch, okay? Also mach nicht so ein Gesicht.“