Cai Yin hob eine Augenbraue, weil sie etwas Wichtigeres erwartet hatte.
„Mein Wohlergehen?“
„Ja, in deinem momentanen Zustand würde es kaum ein Problem sein, dich mit einer stressigen Situation zum Zusammenbruch zu bringen, und das müssen wir verhindern.“
Wu Long lächelte, ohne seine aufrichtige Freundlichkeit zu verbergen.
„Aber …“
„Eure Hoheit, bitte lass uns dir helfen. Wir sind die Einzigen, die das können. Und … auch wenn es dir im Moment schwerfällt, jemandem zu vertrauen, können wir dir nur helfen, wenn du uns vertraust.“
Shen Min hob besorgt die Stimme und sah die schwache Prinzessin an.
Cai Yin sah sie einen Moment lang schweigend an, holte dann tief Luft und atmete mit entschlossenem Blick aus.
„Ich habe euch bereits das Schicksal meines Landes anvertraut, da ist es nur fair gegenüber meinen Bürgern, wenn ich auch mein Schicksal in eure Hände lege“,
sagte sie, und Wu Long nickte lächelnd, während Shen Min erleichtert aufatmete.
„Als erste Sofortmaßnahme werde ich euch einige Pillen geben, die euch helfen werden, aber diese allein können die größeren Probleme nicht lösen …“
Während er sprach, holte er ein paar Porzellanfläschchen hervor und setzte das Gespräch fort, während die Prinzessin aufmerksam zuhörte.
Die Audienz dauerte einige Stunden, dann klopfte es an der Tür.
„Eure Hoheit …“
Cai Yin ließ die Person eintreten, zögerte jedoch zu sprechen, bevor sie nickte.
„… der kaiserliche Botschafter wird morgen früh den Königspalast in der Hauptstadt besuchen. Wenn wir vor Einbruch der Nacht zurück in der Hauptstadt sein wollen …“
Der Mann sprach den Satz nicht zu Ende, um die Gäste nicht zu brüskieren, aber Wu Long lächelte nur.
„Perfektes Timing.“
Er lachte leise, und Prinzessin Cai Yin nickte zustimmend.
„Dann lass uns gehen.“
Die vier Personen im Raum standen auf, und als Cai Yin leicht ins Straucheln geriet, hielt Wu Long sie sanft, aber fest am Ellbogen fest, um ihr Halt zu geben. Das ging so schnell, dass sie gar nicht bemerkte, wie er neben ihr aufgetaucht war, während ihre Wachen vor der Tür wie erstarrt stehen blieben.
„Es ist in Ordnung, er ist vertrauenswürdig … Danke, Herr Wu.“
„Haha, ich habe dir doch gesagt, du sollst mich Wu Long nennen, Eure Hoheit.“
—
Am nächsten Morgen waren alle im Königspalast des Königreichs Tingren, der sich seit Wu Longs letztem Besuch kaum verändert hatte. Da es ungefähr dieselbe Jahreszeit war, hatte sich auch das Stadtbild überhaupt nicht verändert, als wäre das vergangene Jahr nur ein Traum gewesen und er wäre erst gestern mit Shen Min durch diese Straßen gelaufen.
Aber die Atmosphäre und das Gefühl sowohl in der Stadt als auch im Palast waren irgendwie unmerklich anders. Es lag eine schwere, düstere Stimmung in der Luft, als ob jeder Teil dieser Stadt plötzlich von einem unsichtbaren, aber bedrückenden Nebel bedeckt wäre.
Wu Long konnte auch ein paar Leute in grauen Kleidern mit unscheinbarem Aussehen sehen, die an weniger auffälligen Stellen in der Entourage des Königshauses und in der Nähe des Königs standen.
Die Zeremonie, bei der der Botschafter den Kaiser besuchte und offiziell das kaiserliche Edikt verlas, war langwierig und ziemlich langweilig, mit Formalitäten wie der Vorstellung beider Seiten der königlichen Familie, angeführt vom König und Prinzessin Cai Yin, die nun als eigenständiges politisches Organ anerkannt war, und der Überreichung von Geschenken.
Cai Yins Geschenk waren ein Paar luxuriöse und leicht erkennbare einzigartige Ohrringe, die sie sofort als Zeichen der Segnung durch das Azur-Adler-Reich trug. Sie waren nun ein Symbol für ihren Schutz und ihre Autorität.
Der letzte Teil war ebenso formell und gipfelte darin, dass der König widerwillig erklärte, dass das Königreich dem kaiserlichen Edikt offiziell Folge leisten werde.
Nachdem die Zeremonie vorbei war, kehrten sie in die Herberge zurück, wo Zhao Biren bereits angekommen war. Dort hatten sich Wu Long und seine beiden Begleiter von der Prinzessin verabschiedet.
Sie war nun durch die Autorität des Kaiserthrons vor politischer Verfolgung geschützt, sodass sie es sich leisten konnte, ihnen Hilfe zu leisten, indem sie ein Dutzend vertrauenswürdiger, erfahrener Krieger und viele Begleiter mit zahlreichen Kutschen und mehreren Trupps Soldaten schickte, die alle seit dem Vorabend vorbereitet worden waren.
Sie ging hinaus, um sich von ihnen zu verabschieden, da sie in der Hauptstadt bleiben würde, anstatt in die königliche Winterresidenz zurückzukehren.
„Dann bleiben wir in Kontakt, Eure Hoheit. Wir werden die Truppen zurückschicken, sobald wir im Königreich Fantian angekommen sind. Und ich werde die Krieger zurückschicken, sobald sie ihre Ausbildung abgeschlossen haben, und erwarte dann eine neue Gruppe als Ersatz.“
„Verstanden. Ich werde die Krieger eine Woche vorher schicken, damit die Zeit zwischen den Gruppen nicht verschwendet wird. Natürlich werde ich mich jederzeit bei dir melden. Gute Reise euch allen!“
Sie sprach mit sanfter Stimme, immer noch schwach, aber insgesamt in einem gesünderen Zustand.
Die Gruppe, bewaffnet mit einem Konvoi und Begleitschutz, reiste zu der nicht weit von der Hauptstadt entfernten Siedlung, die nur aus Frauen bestand.
Als die weiblichen Wachen die sich nähernde große Gruppe sahen, warfen sie scharfe und vorsichtige Blicke auf sie, aber als sie das Gesicht eines besonders gut aussehenden Mannes erkannten, wich ihre Vorsicht Überraschung und dann Dankbarkeit und Erinnerung.
Sie wurden in der Siedlung herzlich empfangen, wo der Konvoi die Nacht verbrachte. Wu Long verbrachte den Abend im Gespräch mit der Frau, die die Anführerin war, und dann mit der Gemeinde in einer allgemeinen Versammlung, die bis tief in die Nacht dauerte.
„Min’er, erinnerst du dich, was ich dir über die Suche nach deinen eigenen Untergebenen gesagt habe? Das ist deine Chance, denn du solltest sie jetzt sehen können.“
Irgendwann beugte sich Wu Long zu Shen Min hinüber, um ihr etwas ins Ohr zu flüstern, und sie riss die Augen auf und warf ihm einen Blick zu. Nachdem sie ein leichtes Nicken erhalten hatte, wandte sie sich den Frauen zu, die inmitten der chaotischen Versammlung standen und sich unterhielten.
Ihre verschiedenfarbigen Augen suchten aufmerksam die Umgebung ab, bis sie auf eine etwas jüngere Frau als die anderen fiel, die relativ isoliert dasaß und mit vorsichtigen Blicken die Menschen um sich herum beobachtete.
Sie ging auf sie zu, blieb vor ihr stehen und sah auf die sitzende Frau herab, die ihrerseits zu ihr aufsah.
Wu Long beobachtete die Szene aus der Ferne und sah bald, wie Shen Min und die junge Frau ein paar Worte wechselten, woraufhin er leise lachte.
„Haha, wie ich dachte. Sie sieht sie“, dachte er, denn auch er konnte es sehen: eine tief sitzende, dunkle und giftige Wut, die sich hinter Schmerz und Vorsicht tief in den Augen verbarg und nur durch eine harmlose äußere Erscheinung getäuscht wurde.
—
Der Konvoi brach am nächsten Tag auf, bewacht von den Soldaten und mit der gesamten Bevölkerung der besuchten Siedlung an Bord, und machte sich auf den Weg zum Königreich Fantian.
