Der Einsatz von Anguis war wahrscheinlich nicht unbemerkt geblieben, und er musste auf alles vorbereitet sein, was als Nächstes kommen würde. Aber jetzt hatte er erst mal eine wichtige Schlacht gewonnen, und das war das Wichtigste.
Lenny flog zu Victor hinunter. Der Anblick von Victor überraschte ihn. Zum einen blutete Victor aus den Ohren.
„Mach dir keine Sorgen, Bruder. Es ist nur eine kleine Verletzung. Das wird bald verheilen. Es gibt ein viel größeres Problem.“
Während er das sagte, zeigte Victor auf Luca.
Der junge Mann lag auf dem Boden. Seine Augen waren komplett weiß geworden. Lenny hatte in der Sprache der Engel gesprochen, als er den Zauber gesprochen hatte. Das war die enochische Sprache. Eine Sprache, die kein sterbliches Ohr hören sollte.
Luca war nicht wie Lenny, der den Segen von Luzifer Morgenstern geerbt hatte, und war nun in eine Art Trance gefallen.
Lennys Augen verengten sich, als er Lucas Zustand beobachtete. Die Verwendung der enochischen Sprache, der heiligen Sprache der Engel, hatte bekanntermaßen tiefgreifende Auswirkungen auf Sterbliche, insbesondere auf diejenigen mit einem bedeutenden Erbe.
Luca, der Sohn eines mächtigen Hexers wie Glenn, war besonders anfällig dafür. Vor allem wegen Glenns besonderer Blutlinie, die von den Rittern der Unterwelt gesegnet war.
„Victor, halte Ausschau nach weiteren Bedrohungen“, wies Lenny an und konzentrierte sich ganz auf den jungen Mann vor ihm. Er kniete sich neben Luca und legte ihm eine Hand auf die Stirn. Die Energie des jungen Mannes schwankte wild, als würde er einen heftigen inneren Kampf austragen.
Lenny schloss die Augen und kanalisierte einen kleinen Teil seiner immensen Kraft, um eine Verbindung zu Lucas Geist herzustellen.
Er war ein mächtiger Dämon. Wie die Urbestie war auch das in seiner Macht.
Die Welt um ihn herum verblasste, als er in das Bewusstsein des jungen Mannes eintauchte und durch den chaotischen Sturm navigierte, der darin tobte.
In Lucas Gedanken fand sich Lenny in einer turbulenten Landschaft wieder, einer Manifestation von Lucas Psyche, die auf den Kontakt mit der enochischen Sprache reagierte. Der Himmel war von Lichtstreifen und dunklen Wolken zerrissen, die die Unruhe widerspiegelten, die die heiligen Worte ausgelöst hatten.
Aber inmitten all dessen lag eine ganz besondere Rune, die im Himmel schlummerte.
Das einzige Mal, dass Lenny diese Rune gesehen hatte, war, als er mit dem Satan-System interagierte. Diese Rune, die er jetzt sah, vermittelte ihm das gleiche Gefühl wie das Satan-System. Aber es war, als wäre sie tot. Als würde sie Lebenskraft brauchen.
Lenny hielt einen Moment inne, überrascht von dieser Entdeckung.
Es war jedoch noch keine Zeit, über diese Möglichkeit nachzudenken.
Jetzt musste er erst mal Luca retten. Als er sich umdrehte und tiefer tauchte, bemerkte Lenny nicht, dass die Rune plötzlich von einem Teil des verdorbenen Lichts beeinflusst zu sein schien, von Flüchen von Anguis, die die Seele des jungen Mannes befleckt hatten.
Lenny bewegte sich durch die Gedankenwelt und rief nach Luca. „Luca, hör auf meine Stimme. Du musst den Sturm beruhigen. Konzentrier dich auf meine Stimme“, sagte er mit fester, aber beruhigender Stimme.
Allmählich nahm inmitten des Chaos eine Gestalt Gestalt an – Luca, verloren und überwältigt. Lenny näherte sich ihm, seine Anwesenheit eine stabilisierende Kraft in dieser turbulenten Welt.
„Luca, du hast Worte gehört, die kein Mensch hören sollte. Sie haben etwas Tiefes in dir geweckt, etwas Uraltes und Mächtiges. Du musst es kontrollieren, lass dich nicht davon kontrollieren“, erklärte Lenny, seine Worte durchdrangen den Lärm in Lucas Kopf.
Lucas Augen, die vorhin noch im Sturm verloren waren, wurden jetzt klarer. „Ich … ich fühle mich, als würde ich auseinandergerissen werden“, keuchte er und hielt sich den Kopf.
„Das ist die Kraft, die sich durchsetzen will. Aber denk dran, du bist ein Teil von ihr, so wie sie ein Teil von dir ist. Du hast die Kraft, das zu meistern. Lass die Kraft durch dich fließen, aber sei ihr Meister, nicht ihr Sklave“, drängte Lenny, und seine Worte hallten mit der Autorität eines Menschen wider, der selbst unvorstellbare Kräfte gezähmt hatte.
Langsam legte sich das Chaos in Lucas Kopf, die turbulente Landschaft beruhigte sich, als er die Kontrolle zurückgewann. Die Lichtstreifen am Himmel verschmolzen zu einem ruhigen Schein, und die dunklen Wolken lösten sich auf.
Als Lenny die Augen wieder öffnete, sah er sofort die Veränderung. Lucas Augen waren wieder normal, und sein Atem hatte sich beruhigt. Der junge Mann setzte sich auf und sah sich verwirrt um, bevor sein Blick auf Lenny fiel.
„Was … was ist passiert?“, fragte Luca noch benommen.
„Du hast eine Prüfung bestanden und bist stärker daraus hervorgegangen. Merk dir dieses Gefühl, Luca. Du hast etwas Tiefes in dir entdeckt. Nutze es gut“, riet Lenny und reichte ihm die Hand, um ihm aufzuhelfen.
Luca nahm Lennys Hand und stand auf. „Danke“, sagte er mit neuem Respekt in der Stimme.
Lenny nickte und wandte sich dann an Victor. „Wir sollten los. Es gibt viel zu tun, und die Zeit drängt.“
Während sie sich zum Aufbruch bereit machten, musste Lenny über die Auswirkungen des gerade Geschehenen nachdenken.
Er winkte mit der Hand, und der verschmolzene Einladungsstein flog in seine Hand und in sein Aufbewahrungsfach.
Die Seite aus dem Buch des Todes, die er ebenfalls in seinem Besitz hatte, schickte er ebenfalls in das Aufbewahrungsfach.
Als sie sich mit den Werwölfen, die überlebt hatten, auf den Weg machten, runzelte Lenny leicht die Stirn.
Schließlich wusste es niemand, aber als er gerade versucht hatte, Luca zu retten, hatte er etwas in den Gedanken des Jungen gesehen. Und sein Verstand berechnete eine Menge Möglichkeiten.
Erstens: War es möglich, dass Luca auch die Kontrolle über das Satan-System hatte? Oder war es möglich, dass eine andere Art von System entstanden war?
Und wenn ja, würde er wirklich den Mut haben, den Jungen zu verschlingen?
Lenny war kein guter Mensch. Er hatte den Mord an seiner eigenen Familie in Auftrag gegeben, aber Luca war in vielerlei Hinsicht anders. Unter anderem hielten ihn seine Erinnerungen an Glenn davon ab, Hand an den Jungen zu legen.
Andererseits sollte der Wille seines Meisters immer an erster Stelle stehen. Oder etwa nicht?
Der Einsatz von Anguis, das Auftauchen von Lucas verborgenen Fähigkeiten, die sich verändernden kosmischen Energien – all das waren Teile eines größeren Puzzles, eines Spiels, das auf kosmischer Ebene gespielt wurde. Und er, Lenny Tales, befand sich mittendrin.
(Anmerkung des Autors: Danke für das Luxusauto, NYOLIPS. Ihr seid großartig!)