Als Lenny durch den Himmel raste, schwirrten ihm alle möglichen Gedanken und Gefühle durch den Kopf. Die Enthüllung über Lady Vinegar machte ihn total fertig. Der Gedanke, dass sie vielleicht leidet, gefangen in ihrem eigenen untoten Körper, war eine Qual, die er nicht ignorieren konnte. Seine Gefühle für sie waren schon immer kompliziert gewesen, eine Mischung aus Dankbarkeit, Schuld und einer unbestreitbaren Verbindung, die sie hatten.
Als er an Victors Koordinaten ankam, fand sich Lenny inmitten eines Schlachtfeldes voller Chaos und Zerstörung wieder. Die Luft war schwer vom Gestank der Verwesung und den Geräuschen der Schlacht. Victor, in seiner Werwolfgestalt, bot einen furchterregenden Anblick, als er sich in einen tödlichen Tanz mit Gouverneur Momoa verwickelte, der nun ein grotesker Untoter war.
Lenny verschwendete keine Zeit. Er stürzte sich in den Kampf, seine Kraft manifestierte sich in gleißend weißen Flammen, die alle Untoten verbrannten, die es wagten, sich ihm zu nähern. Seine Augen suchten jedoch ununterbrochen nach Lady Vinegar inmitten des Chaos.
Endlich sah er sie – nur noch ein Schatten ihrer selbst, doch ihre Anwesenheit war unverkennbar. Sie war in einen Kampf mit Luca verwickelt, der verzweifelt versuchte, sie abzuwehren.
Luca setzte immer wieder seine Netherkreaturen, Schlangen, ein. Aber Lady Vinegar war eine beeindruckende Kraft, mit der man rechnen musste. Leuchtend rote Flammen umhüllten ihren nackten Körper und fielen wie tanzende Wächter um sie herum herab.
Die Tränen, die über ihr untotes Gesicht liefen, waren ein herzzerreißender Anblick. Während sie gegen Luca kämpfte, konnte Lenny sehen, wie sich ihr Mund bewegte. Es waren Flüstern. Sie waren fast unhörbar, aber er hörte sie laut und deutlich.
„Warum? Warum hast du mich verlassen … warum hast du sie sterben lassen?“
Diese Worte waren eine andere Art von Schmerz, die ihm ins Herz stachen.
Mit einem schnellen Sprung stellte sich Lenny zwischen Luca und Lady Vinegar.
Mit einer Handbewegung schob er Luca beiseite. „Ich kümmere mich um diesen Jungen!“
Luca war über diese Unterbrechung sichtlich verärgert, aber er entschied sich, sich zurückzuziehen.
Schließlich stellte sich Lady Vinegar als weitaus größeres Problem heraus als die anderen Untoten.
Sie konnte tatsächlich denken und entsprechend handeln und sich an die Bewegungen ihrer Gegner anpassen.
Lenny sah sie an. Ihre einst schönen Augen, jetzt von der Trübung des Untodes verschleiert, trafen seine, und für einen Moment gab es ein Flackern der Erkenntnis, einen Schimmer der Frau, die sie einmal gewesen war.
„Lady Vinegar, ich bin es, Lenny“, sagte er leise und streckte ihr mit einer Sanftheit die Hand entgegen, die das Chaos um sie herum Lügen strafte.
Zur Überraschung aller hörte Lady Vinegar mit ihren unerbittlichen Angriffen auf. Ihre Hände, die zum Schlag erhoben waren, zitterten, als würden sie einen inneren Kampf austragen. Die Tränen flossen jetzt ungehindert, und ein leises, kehliges Stöhnen entrang sich ihren Lippen – ein Laut voller Schmerz und Sehnsucht.
Victor, der aus der Ferne zusah, unterbrach seinen Kampf mit Momoa, seine Aufmerksamkeit gefesselt von der Szene, die sich vor ihm abspielte. Auch Luca stand wie erstarrt da, eine Mischung aus Verwirrung und Ehrfurcht in seinem Gesicht.
Lenny sprach weiter zu ihr, seine Stimme wie ein beruhigender Balsam: „Ich bin jetzt hier. Es tut mir so leid, dass ich dich nicht früher retten konnte. Aber ich bin jetzt hier, um dir zu helfen, um dich von dieser Qual zu befreien.“
Doch in ihrer Trauer und Wut stürzte sie sich mit einem kosmischen Schwert aus Flammen auf ihn.
Das war eindeutig ein Angriff, den der aktuelle Lenny hätte vermeiden oder sogar abwehren können. Doch er tat es nicht.
Stattdessen schwächte er absichtlich seine Zellen und Muskeln an der Stelle des Aufpralls.
*SLUSH!*
Es war ein sauberer, tiefer Schnitt, der von seiner rechten Schulter über seine Lunge bis zu seinem Bauch verlief.
Dabei spannte Lenny jedoch seine Muskeln wieder an und klemmte ihr Schwert in seinem Körper ein.
*HUST!*
Blut spritzte aus seinem Mund. Selbst für einen Großdämon war ein Angriff ein Angriff. Dieser Angriff war sehr riskant.
Sein Blut spritzte ihr ins Gesicht, und erneut entspannten sich ihre angespannten Muskeln. Sie hatte vorgehabt, ihn zu töten, aber die Möglichkeit, dass er durch ihre Hand sterben könnte, war ein völlig fremdes Gefühl für sie.
Sie hielt inne, dann öffnete sie den Mund weit und stieß einen unglaublichen Schrei in den Himmel. Es war ein herzzerreißender Schrei, voller angespannter Schmerzen, die sich in zehn Jahren Sehnsucht, Verlust, Schmerz und Leid angestaut hatten.
Wer auch immer gesagt hatte, dass Liebe etwas Schönes sei, hatte noch nie den Schmerz ihres Verlustes und ihrer Opfer erfahren. Schließlich war sie ebenso brutal wie gütig.
„Ich bin … hier!“, hustete Lenny und spuckte noch mehr Blut. Seine Hände streckten sich langsam zu ihrem Gesicht und streichelten ihre tote, verwesende Haut.
Überraschenderweise lag dabei eine andere Art von Zuneigung darin. Eine Zuneigung, die aus geteilten Gefühlen entstanden war. Lenny zeigte keinerlei Ekel vor ihrem Aussehen. Obwohl sie viel von ihrer Schönheit verloren hatte und sogar ihr stolzes Schlangenhaar wie ausgetrocknetes Holz auf ihrem Kopf lag.
Lenny hielt sie an der Taille fest und zog sie in seine Umarmung. „Vine“, flüsterte er, „du bist es, nicht wahr?“
Langsam nickte sie und schlang ihre Finger um ihn. „Gar ist tot …“, flüsterte sie.
Als Lenny diese Worte hörte, verspürte er einen tiefen Schmerz in seinem Herzen. Lady Vinegar hatte zwei Seelen in ihrem Körper.
Die eine war Vine und die andere Gar, und zusammen bildeten sie Vinegar.
Aber er hatte gerade erfahren, dass Gar nicht mehr da war, nur noch Vine. Gar war diejenige, die ihn liebte, während Vine nur ihre Schwester lieben wollte.
„Es tut mir leid! Ich war nicht da. Ich habe keine Entschuldigung. Ich war einfach nicht stark genug!“
Ihre Tränen flossen noch stärker als zuvor, während sie sich das Herz aus der Kehle weinte.
Als Lennys Worte die Luft erfüllten, begann eine wundersame Verwandlung. Das untote Gesicht von Lady Vinegar begann sich zu verändern, ihre Züge wurden weicher, die Boshaftigkeit in ihren Augen verschwand. Es war, als würden Lennys Anwesenheit, seine aufrichtige Reue und sein Wunsch zu helfen, den Teil von ihr erreichen, der noch menschlich war, der noch fühlen konnte.
In diesem Moment wurde allen Zuschauern klar, dass die Verbindung zwischen Lenny und Lady Vinegar etwas Außergewöhnliches war, eine Verbindung, die den Gesetzen der Natur und dem Fluch der Untoten trotzte.
