Lenny hatte ein Etikett auf der Stirn. Er war ein Verrückter oder, um es nett auszudrücken, ein Psychopath.
Aber er war kein Dummkopf. Er wusste genau, wie Machtverhältnisse funktionierten. Genauso wusste er, dass diejenigen, die sich unterwürfig verhielten, für immer in dieser Position bleiben würden.
Das war einfach die Art und Weise, wie die Welt funktionierte.
Die Schwachen würden immer den Starken dienen.
Genau wie das unglückliche Dasein, zu dem sich E701 selbst verdammt hatte. Anfangs war Lenny sehr daran interessiert gewesen, zu erfahren, mit welchen Methoden dieser alte Mann es geschafft hatte, alleine zu überleben.
Aber er hatte festgestellt, dass er den alten Mann überschätzt hatte.
Wie hätte er sonst überleben sollen? Wenn nicht, indem er sich den Mächtigen unterwarf.
Das erinnerte Lenny an seine frühere Welt.
Es war zwar nicht ganz so brutal, aber doch ziemlich ähnlich. Der einzige Unterschied war, dass die Zivilisation die Grausamkeit verdeckte, die die Menschen in ihren Herzen verbargen.
Lenny glaubte nicht, dass es Heilige gab. Selbst die Ratte unter dem Fuß würde, wenn sie die Gelegenheit dazu hätte, sich erheben und ihrem Herrn ein Stück seines Herzens entreißen.
In dieser Hinsicht hatte Lenny kein Mitleid mit E701.
Schließlich hat jeder Mensch eine Wahl im Leben. Für Lenny war es nicht gehorchen und leben. Für ihn war es wachsen oder sterben.
Es gab keine zweite Option und keinen Plan B.
Lenny stand auf. Sein Körper war noch immer angespannt von der Anstrengung des ganzen Tages. Auch wenn das System ihn automatisch heilen konnte, bedeutete das nicht, dass er nicht mehr verletzt werden konnte.
Und im Moment musste er für sich selbst einstehen.
Die vier Männer standen splitternackt vor ihm. Ihre Männlichkeit war in Erwartung ihrer Aufgabe gewachsen.
E666 genoss die Zeit mit ihren Zellengenossinnen, aber ihre Augen waren nur auf die andere Zelle gerichtet. Sie wollte sehen, was passieren würde.
Sie hatte diese Situation nur provoziert, um sich an Lenny zu rächen, weil er ihr nicht verfallen war.
Sie hatte seinen Kampf beobachtet. Sie hatte sein Potenzial erkannt und wollte ihn deshalb für sich haben. Aber er war ihr wie Wasser durch die Finger geglitten.
Sie war eine Person, die noch nie zuvor einen solchen Verlust erlitten hatte.
Schließlich gab es viele Gladiatoren, die ihr verfallen waren.
Und viele gaben viel für sie, wenn sie es brauchte. Dazu gehörte auch ihr Leben. Sie war vielleicht nicht die Herrscherin der Arena, aber in der E-Klasse war sie die Königin.
Lenny stellte sich den nackten Gladiatoren entgegen.
„Hey! Auf die Knie und bezahl deinen Eintritt!“, sagte einer von ihnen heftig.
Lenny rührte sich jedoch nicht von der Stelle. Er blieb standhaft an seinem Platz stehen. Sein Blick war auf denjenigen vor ihm gerichtet.
Er sagte kein Wort, aber seine Augen sprachen Bände.
Sie waren größer als er und sahen auf ihn herab, aber er wich nicht zurück.
Es war ein kleiner Blickduell geworden.
Die anderen in derselben Zelle beobachteten das kleine Duell.
Einige von ihnen waren schon gespannt, was passieren würde.
Unter gefährlichen Typen gab’s immer so eine unbewusste Sensibilität für Gefahr.
Jemand, der schon mal durch die Hölle gegangen war, merkte immer, wenn was im Busch war.
Diese Typen hatten schon viele Kämpfe hinter sich, genau wie Lenny. Eigentlich hätte man denken können, dass Lenny als Erster zurückweichen würde.
Egal, wie hart er gelebt hatte, er konnte sich gegen diese Typen nur bedingt behaupten.
Aber der Typ vor ihm war der Erste, der unbewusst einen halben Schritt zurücktrat.
Es war instinktiv, aber sobald er es getan hatte, konnte er es nicht mehr rückgängig machen.
Der Grund, warum er nicht anders konnte, als zurückzuweichen, war, dass Lenny etwas erlebt hatte, das alles übertraf. Und das war der Tod.
Lenny hatte den Tod selbst gekostet. Eine solche Erfahrung war etwas anderes als das flüchtige Streifen der Schulter des Todes mit einer Hand.
Lenny hatte tatsächlich den kalten Brustkorb des Sensenmanns umarmt.
Alle waren sensibel für das, was vor sich ging, und in dem Moment, als der Gladiator einen halben Schritt zurückwich, wussten sie alle unbewusst, dass er verloren hatte.
Doch plötzlich überkam den Gladiator eine überwältigende Scham. Er konnte nicht glauben, dass er gerade vor einem Neuling aus der F-Klasse zurückgewichen war.
Das war eine Schande. Eine große Schande, von der er sich nur schwer erholen würde. Sein Ruf stand auf dem Spiel.
Unbewusst schaute er zur gegenüberliegenden Zelle. Er konnte den enttäuschten Ausdruck auf E666s Gesicht sehen. Das machte ihn wütend. Und dieser Ausdruck auf ihrem Gesicht war der Auslöser, der seine Hand bewegte.
Er schlug mit voller Wucht auf Lennys Gesicht ein.
Doch in diesem Moment erkannte Lenny, was passieren würde. Schließlich hatte er die Körpersprache des Gladiators studiert und sogar seine Standposition.
Er konnte erkennen, welcher Teil des Körpers der dominante war.
In dem Moment, in dem der Gladiator sich bewegte, tat er es auch.
Seine Kampfweise war schnell. Genau wie eine Schlange, die im günstigsten Moment zuschlägt.
Das war Lenny gewohnt. Schließlich erforderte sein Beruf eine unglaubliche Präzision.
In dem Moment, als der Gladiator den Schlag ausführte, duckte sich Lenny und ging ebenfalls zum Angriff über.
Es ging schnell, und sein Ziel war es nicht, den Angriff des Gladiators zu blocken. Allerdings …
*CATCH!*
Es zischte leicht in der Luft, als ein Paar Hände den Schlag des Gladiators abfingen und Lennys Handgelenk, dessen ausgestreckte Finger nur einen Zentimeter von der Männlichkeit des Gladiators entfernt waren.
Alle hielten inne und drehten sich zu der Person um, die die beiden unterbrochen hatte.
„Jetzt! Jetzt!! Wir sind zwar Gladiatoren, aber wir können trotzdem zivilisiert bleiben.“
Lenny sah in das lächelnde Gesicht des Mannes. Es ließ ihn die Stirn runzeln …