Die Augen der Elfenkönigin verdunkelten sich, als sie sprach, ihre Stimme war leise und voller uralter Trauer. „Das Blut gefallener Engel ist ein Fluch, Enel. Es trägt die Last ihres Sündenfalls, einen Makel, der nicht getilgt werden kann. Und wenn es sich mit Dämonenblut vermischt, wird es noch schrecklicher.“ Sie hielt inne, ihr Blick war in die Ferne gerichtet, als würde sie schmerzhafte Erinnerungen wiedererleben. „Ich habe es selbst bei Lucas Kindern gesehen.
Nate, dein Halbbruder, hat ein mutiertes Jungtier gequält, als er erst fünf Jahre alt war. Die Freude in seinen Augen, als er das tat … Es war unnatürlich, ein Blick auf die Dunkelheit, die in ihm brodelte.“
Ihre Stimme wurde schwerer, als sie fortfuhr: „Ich habe meine Urenkel, die aus Lucas Blutlinie stammen, genau beobachtet.
Sie sind mächtig, aber … gefährlich. Du, Enel, bist … anders. Du kannst dich vor diesen alten Augen nicht verstecken. Du hast etwas Einzigartiges an dir.“ Sie wandte sich ihm zu, ihre Augen voller seltsamer Hoffnung. „Ich glaube, du wurdest von unseren Vorfahren geschickt, als Geschenk für uns. Ich kann es in deinen Augen sehen – du bist intelligenter, beherrschst dich besser als deine Geschwister … und du hast auch mehr Kraft …“
Die Königin trat näher an Lady Vinegar heran, ihre Bewegungen langsam und bedächtig. Sie holte ein kleines goldenes Fläschchen hervor, das in einem ätherischen Glanz schimmerte, und goss dessen Inhalt vorsichtig in Lady Vinegars Mund. Lenny sah schweigend zu, wie die goldene Flüssigkeit aus dem Fläschchen floss und in der schwebenden Gestalt verschwand.
„Dieses Fläschchen“, erklärte die Königin, „ist die wahre Essenz des Ewigen Teiches.
Nur der Herrscher der Hochelfen hat Anspruch darauf. Sie ist es, die uns erhält, uns unser langes Leben und unsere Kraft schenkt. Aber … ich habe vor Jahren aufgehört, sie zu nehmen.“
Lennys Augen weiteten sich vor Erkenntnis. Das graue Haar der Königin, ihr gealtertes Aussehen – jetzt ergab alles einen Sinn. Sie hatte ihre eigene Lebenskraft geopfert und den kostbaren Inhalt der Phiole Lady Vinegar gegeben, in dem verzweifelten Versuch, sie am Leben zu erhalten.
Die Königin drehte sich zu ihm um, ihr Gesichtsausdruck war ernst. „Ich habe es getan, um sie zu retten, Enel. Vinegar war mir immer sehr wichtig, und ich konnte es nicht ertragen, sie gehen zu lassen. Aber jetzt habe ich nicht mehr viel Zeit.“ Ihre Stimme zitterte leicht, doch ihre Entschlossenheit blieb stark. „Ich werde nicht mehr lange leben. Und wenn ich nicht mehr da bin, musst du an meiner Stelle regieren. Du musst das Volk der Elfen beschützen.“
Ihre Worte hingen schwer in der Luft. Enel spürte die Last der Verantwortung, die sie ihm auferlegte.
Seine Gedanken kreisten um die Komplexität seiner Abstammung, seine vergangenen Leben und nun die Zukunft der Elfen. Die Königin ließ ihn nicht aus den Augen, ihr Vertrauen und ihre Hoffnung ruhten ganz auf ihm.
Aber Lenny hatte andere Probleme, die er für wichtiger hielt.
Es war wahr, dass die Königin alles geopfert hatte – ihre Kraft, ihr Leben – für das Überleben ihres Volkes. Jetzt bat sie Enel, diese Last zu übernehmen, eine Nation zu führen und zu beschützen, die bereits unter dem Gewicht ihrer eigenen inneren Dunkelheit zu zerbrechen drohte.
Lennys Gesicht wurde ernst, seine Stimme leise, aber voller Dringlichkeit. Diese Dringlichkeit galt nicht ihr, sondern seiner Geliebten, Lady Vinegar. „Wie viel Zeit hast du noch?“
Die Elfenkönigin seufzte tief, bevor sie antwortete, ihr Gesichtsausdruck müde. „Nur noch drei Jahre, Enel. Nach der Sternkrönungszeremonie … wird meine Zeit abgelaufen sein.“
Ihre Worte waren ein schwerer Schlag. Drei Jahre waren nicht lang. Enels Gedanken rasten, er versuchte, die Tragweite ihrer Bitte zu begreifen, aber es blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Ohne dass sie es bemerkten, wurde ihr Gespräch belauscht.
Direkt vor der großen Kammer hatte eine Magd heimlich gelauscht und mit ihren spitzen Ohren jedes Wort mitbekommen. Ihr Herz schlug wie wild, als sie realisierte, was sie gerade gehört hatte. Enel – der Jüngste, halb Dämon, halb Engel und ohne Elfenblut – sollte der nächste Herrscher werden? Das war eine schockierende Enthüllung. Sie wusste, dass es nur eine Person gab, die das hören musste.
Schnell floh sie durch die engen, fackelbeleuchteten Gänge des Elfenpalastes, bis sie Nate fand, Lucas erstgeborenen Sohn. Nate stand groß und grüblerisch in seiner Privatkammer, seine feurigen Augen bereits von einem Hauch von Bosheit erfüllt. Die Magd näherte sich ihm, ihr Atem ging schnell und nervös, als sie ihm die geheimen Worte der Königin ins Ohr flüsterte.
Sofort verdunkelte sich Nates Miene. Er presste die Kiefer aufeinander und ballte die Fäuste. „Was? Mein jüngster Halbbruder Enel?“, spuckte er mit leiser, giftiger Stimme. „Dieser Mischlingsabscheulichkeit steht unser Thron nicht zu.“
Die Wut, die Nate durchströmte, war spürbar. Er hätte es ertragen können, wenn sein Vater Luca zum Thronfolger bestimmt worden wäre – zumindest war er als Teil der königlichen Elfenblutlinie anerkannt. Aber Enel? Enel stammte sogar von einer Konkubine, die aus diesem Land geflohen war.
Die Vorstellung, dass jemand ohne einen Tropfen Elfenblut auf dem Thron sitzen könnte, war eine Schande, eine Beleidigung.
Ohne Vorwarnung kochte Nates Wut über. Seine Hand schlug der Magd hart ins Gesicht. Sie schnappte nach Luft und taumelte zurück, doch bevor sie reagieren konnte, packte Nate sie und warf sie zu Boden. Seine Augen brannten vor Frustration und Wut, seine Brust hob und senkte sich, als er über ihr stand.
„Das werde ich nicht zulassen“, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen, sein Blick dunkel und gefährlich. Seine Hand griff nach ihr, packte sie grob, während er sich auf sie legte und ihren Körper benutzte, um die brennende Wut in sich zu entladen. Die Magd war zwar verängstigt, sagte aber nichts, als Nate sich auf sie bewegte und seiner Wut auf grausame und sinnliche Weise freien Lauf ließ.
Seine Gedanken waren woanders, ganz von dem Verrat eingenommen, den er empfand. Nate würde nicht zulassen, dass sein jüngster Halbbruder den Thron bestieg. Nicht Lenny. Die Räder in seinem Kopf begannen sich zu drehen, und eine kalte Entschlossenheit überkam ihn.
Während die Magd unter ihm lag, schmiedete Nate bereits Pläne. Er würde einen Weg finden, dies zu verhindern, koste es, was es wolle …
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Perseus wurde von den Werwölfen schnell durch die Unterwelt getragen, ihre Bewegungen verschwammen, als sie durch dunkle Höhlen und schattige Täler rannten. Die Luft war voll vom Geruch von Schwefel, und der Boden unter ihnen bebte bei jedem Schritt. Sie näherten sich einem Portal, das wie geschmolzenes Glas schimmerte und inmitten der schwarzen Landschaft schwebte. Ohne zu zögern stürzten sie hindurch, und im nächsten Moment veränderte sich die Welt um sie herum.
Sie tauchten in einer riesigen Kammer auf, tief im Inneren eines Vulkans. Die Wände waren lebendig und wogten in Wellen aus Feuer, die in purpurroten und orangefarbenen Tönen tanzten. Die Luft war unerträglich heiß, jeder Atemzug fühlte sich an, als würde man glühende Kohlen schlucken. Säulen aus schwarzem Stein ragten aus dem Boden und waren von Flüssen glühender Lava durchzogen.
Die Decke ragte hoch empor und verschwand in einem feurigen Dunst, und das Dröhnen des geschmolzenen Kerns hallte in der Ferne wie das Knurren einer schlummernden Bestie.
In der Mitte der Kammer stand ein Bett, aus Obsidian gehauen und in ein warmes, orangefarbenes Licht getaucht, das von den umgebenden Flammen ausgestrahlt wurde. Das Bett wirkte fast zu zart für einen solchen Ort, doch es strahlte inmitten des Infernos eine seltsame Ruhe aus.
Die Werwölfe legten Perseus vorsichtig hin. Sein Körper war gebrochen, Blut sickerte aus seinen Wunden und befleckte die dunklen Laken unter ihm. Sein Atem ging flach, seine Augen waren halb geschlossen, er war kaum bei Bewusstsein.
Plötzlich trat eine Gestalt in den feurigen Schein. Es war Victor.
Victor war groß, schlank, aber kräftig, und obwohl sein Kiefer glatt und ohne Narben war, strahlte sein Blick eine Intensität aus, die Autorität ausstrahlte. Sein auffallend rotes Haar mit weißen Strähnen schien wie Flammen zu flackern. Aber das Weiß war nicht auf sein Alter zurückzuführen – nein, es war ein Zeichen der heiligen Kraft, die durch seine Adern strömte, einer Kraft, die im Widerspruch zu der höllischen Umgebung stand.
Sobald Victor Perseus sah, verdüsterte sich sein Gesichtsausdruck vor Sorge. Er trat näher, seine Bewegungen fließend, aber entschlossen. „Ich habe dir gesagt, du sollst das nicht wieder benutzen“, sagte Victor mit einer Stimme, in der sich Frustration und Sorge vermischten. „Willst du sterben, Perseus?“
Perseus brachte nur ein schwaches Lachen hervor und verzog das Gesicht vor Schmerz. Sein Körper blutete immer noch, die Wunden wollten sich nicht schließen.
Victors Stirn runzelte sich noch mehr, aber er verschwendete keine Zeit. Er kniete sich neben Perseus und streckte seine Hände aus. Seine Werwolfkrallen – lang, scharf und unheimlich glänzend – bohrten sich in Perseus‘ Körper und glitten präzise zwischen Muskeln und Knochen. Es war eine uralte Heiltechnik, die nur diejenigen beherrschten, die sowohl die wilde Grausamkeit ihrer Art als auch die gezügelte Anmut heiliger Kräfte beherrschten.
Als seine Klauen Perseus‘ zerbrochenen Körper berührten, leuchteten Victors Augen mit einem sanften, strahlenden Licht. Eine Welle von Wärme breitete sich von seinen Händen aus, floss in Perseus, zwang das zerfetzte Fleisch, sich wieder zusammenzufügen, die Knochen sich neu auszurichten und das Blut, seinen endlosen Fluss zu stoppen. Die Luft um sie herum knisterte, die heilige Energie brannte heller als die Flammen in der Kammer.
Trotz der Schmerzen konnte Perseus spüren, wie die Heilung einsetzte. Sein Atem wurde ruhiger, die Qualen ließen nach und nach nach. Aber Victors Gesicht blieb grimmig, das Gewicht ihrer Verbindung und seine unausgesprochenen Warnungen waren spürbar.
„Du kannst das nicht weitermachen, Perseus“, murmelte Victor mit leiser Stimme, aber seine Hände arbeiteten ruhig weiter. „Das nächste Mal bin ich vielleicht nicht hier, um dich zu retten …“