Yun Lintian machte einen Schritt zurück, neugierig geworden durch die Schutzbarriere, die den Sarg umgab. Es gab keinen Zweifel: Wer auch immer den Sarg hierher gebracht hatte, schätzte die Frau sehr.
Rumpeln –
Die Struktur der Höhle begann sich wieder zu verändern. Der Lärm riss Yun Lintian aus seinen Gedanken.
Yun Lintian ließ weitere Überlegungen beiseite und fütterte die Formation mit weiteren göttlichen Steinen. Er warf einen letzten Blick auf die makellose Frau im Sarg, bevor er sich umdrehte und weg ging.
In dem Moment, als er die Kammer verließ und den Gang entlangging, flatterten die Augenlider der Frau ganz leicht, ein Anzeichen des Erwachens.
Die verstreute Mondenergie pulsierte mit neuer Aktivität, sammelte sich und wirbelte über dem Sarg.
Ein Zittern durchlief den Sarg, eine Welle hallte durch die stickige Luft. Die Augenlider der Frau flatterten wie zarte Schmetterlingsflügel auf und gaben den Blick auf eine atemberaubende Landschaft frei.
Ihre Iris, wirbelnde Amethystseen, schimmerten mit einer überirdischen Leuchtkraft. Sie hatten die Tiefe eines sternenklaren Himmels, getönt vom ätherischen Schein des Mondes. Der Anblick hätte jedem sterblichen Menschen den Atem geraubt, aber die Erinnerung der Frau blieb in Nebel gehüllt.
Verwirrung, ein Urinstinkt, flackerte in diesen amethystfarbenen Tiefen. Wo war sie? Wer war sie? Das Wissen, das ihr ganz natürlich hätte einfallen müssen, war eine öde Einöde, in der nicht einmal ein Echo widerhallte.
Panik, eine kalte Schlange, schlang sich um ihr Herz und drohte, das Leben aus ihrem neu erwachten Körper zu pressen.
Doch inmitten des Chaos blieb ein Funken Bewusstsein zurück. Das leise Summen von Energie, die Mondstrahlen, die sich über dem Sarg sammelten – diese Empfindungen waren ihr zwar fremd, aber sie gaben ihr ein seltsames Gefühl von Trost. Es war, als würde ein tief in ihrem Innersten verborgener Instinkt diese Energie als Quelle des Trostes erkennen, als vertraute Umarmung aus einer vergessenen Vergangenheit.
Mit einem Keuchen erhob sich die Frau, ihre Bewegungen waren trotz des langen Schlafes fließend und anmutig.
Das amethystfarbene Leuchten in ihren Augen wurde intensiver und tauchte den Raum in einen ätherischen Schein.
Die schützende Barriere um den Sarg flackerte und löste sich unter dem unbewussten Befehl der Frau auf.
Als sie aus ihrem kristallinen Gefängnis auftauchte, sammelte sich die Mondenergie über ihr und bildete einen schimmernden Wirbel. Er pulsierte in einem überirdischen Rhythmus, lockte sie an und versprach Antworten auf die Fragen, die sie innerlich zerfraßen.
Sie sah sich kurz in der Kammer um und spürte eine fremde Aura in der Luft. Eine Beklemmung umklammerte ihr Herz, als würde es von unsichtbaren Händen zusammengedrückt. Eine Welle der Sehnsucht überflutete sie und ließ ihre Augen suchend umherschweifen, auf der Suche nach der Quelle dieser unbekannten Präsenz.
Als sie niemanden sah, verstummte sie und ihre Gedanken wirbelten durcheinander, während sie mit ihrer eigenen Identität rang. Unzählige Erinnerungsfetzen flackerten in ihrem Kopf und verspotteten sie mit ihrer Unzugänglichkeit.
In dem Moment, als sie danach griff, durchzuckte sie ein brennender Schmerz, der sie zu Boden zwang. Sie umklammerte ihren Kopf mit beiden Händen, ein stummer Schrei blieb ihr im Hals stecken. „Ah!“
Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, während sie schwer atmete. Der brennende Schmerz ließ so schnell nach, wie er gekommen war, und hinterließ einen pochenden Schmerz und eine erschreckende Erkenntnis. Ihre Vergangenheit war nicht einfach vergessen, sie war weggesperrt, hinter einer Barriere, die so undurchdringlich war wie die, die einst ihren Sarg umgeben hatte.
Diese Erkenntnis löste eine neue Welle der Panik in ihr aus. Es fühlte sich an, als wäre sie lebendig begraben worden, nicht nur in der Kammer, sondern in ihrem eigenen Geist.
Orientierungslosigkeit nagte an ihr. Die Höhle selbst schien sich über ihre missliche Lage lustig zu machen, indem sie sich ständig veränderte und keine Hinweise darauf gab, wo sie sich befand oder wie lange sie schon gefangen war.
Ihre amethystfarbenen Augen huschten umher und suchten nach dem Ausgang, der zu einem dunklen Gang führte. Es schien einen verlockenden Rhythmus zu geben, einen Sirenengesang, der Antworten versprach.
Aber ein Urinstinkt hielt sie zurück. Die Erinnerungsfetzen, so schmerzhaft sie auch waren, flüsterten Warnungen. Dieser Ort, diese Energie, sie fühlten sich vertraut und doch seltsam falsch an.
Sie rappelte sich auf, und ein neuer Entschluss ließ ihren Blick hart werden. Sie würde sich nicht von der Panik überwältigen lassen.
Mit vorsichtigen Schritten wagte sie sich aus der Kammer hinaus, wo sich der sich ständig verändernde Gang wie ein gefährlicher Pfad ins Unbekannte vor ihr ausbreitete.
***
Yun Lintian drang tiefer in den labyrinthartigen Gang vor, während das Fragment auf seiner Brust mit einem schwachen Licht pulsierte. Die Luft wurde immer stickiger, und die bedrückende Stille wurde nur durch das rhythmische Tropfen von Wasser unterbrochen, das von irgendwoher zu hallen schien.
Während er durch die sich ständig verändernden Gänge navigierte, nagte ein Gefühl der Unruhe an ihm. Wurde er in die Irre geführt?
Plötzlich wurde das Leuchten des Fragments intensiver und brach in einem gleißenden Blitz hervor, der ihn kurzzeitig blendete. Als er wieder sehen konnte, stand er vor einer riesigen Steintür, die mit einem komplizierten Symbol verziert war.
Das Symbol schwang mit einer vertrauten Energie mit, die er von dem Mondrelikt in sich erkannte. Könnte das etwas mit der Frau von vorhin zu tun haben?
Rumpeln –
Als Yun Lintian nach dem Symbol griff, bebte der Boden heftig. Staub regnete von der bröckelnden Decke herab, während ein monströses Brüllen durch den Gang hallte.
Ein riesiger Steingolem, dessen Körper mit leuchtenden Runen verziert war, kam aus einer versteckten Nische und versperrte den Weg zur Tür.
Das war nicht der Wächter, den er erwartet hatte. Das war ein monströses Konstrukt, das nur zur Zerstörung gebaut worden war. Seine Augen, glühende Kugeln aus geschmolzenem Gestein, richteten sich mit urwüchsiger Gier auf Yun Lintian.
„Sieht so aus, als müsstest du dir den Weg hier rein verdienen“, murmelte Yun Lintian und das Wasserschwert erschien in seiner Hand.
Ein schiefes Lächeln huschte über Yun Litians Lippen. Hier stand ein weiteres Hindernis zwischen ihm und den Geheimnissen, die diese Gruft barg. Zum Glück strahlte dieses Wesen im Gegensatz zu den Menschen, denen er zuvor begegnet war, eine dumpfe, bedrückende Kraft aus – ein brutaler Kämpfer, vorhersehbar und langsam.
„RAWH!“
Der riesige Golem, der leicht doppelt so groß war wie Yun Lintian, brüllte erneut, und der Schall hallte wie ein einstürzender Berg durch den Gang. Er stapfte vorwärts, und jeder seiner erderschütternden Schritte ließ die Luft vibrieren.
Der Boden unter Yun Lintian vibrierte und stellte seine Entschlossenheit auf die Probe.
Aber Yun Lintian blieb unbeeindruckt stehen, und das Wasserschwert in seiner Hand schimmerte in einem ätherischen blauen Licht.
Das Gesetz des Wassers, das in ihm steckte, summte mit einer stillen Kraft, die in krassem Gegensatz zu der rohen, zerstörerischen Energie des Golems stand.
Mit einer schnellen Bewegung seines Handgelenks entfesselte Yun Lintian eine Flut von Wasserklingen. Sie zerschnitten die Luft, ihre Schneide geschärft durch das Gesetz des Wassers, und schlugen auf die felsige Oberfläche des Golems ein.
KLANG!
Funken sprühten, wo die Klingen auf den Stein trafen, und hinterließen flache Schnitte, die das riesige Wesen jedoch kaum beeindruckten.
„Owhhh!“, brüllte der Golem wütend und schwang seine massive steinerne Faust mit einer Wucht auf Yun Lintian herab, die Berge hätte zerschmettern können.
BOOM!