In der Ferne schaute ein ganz normal aussehender Mann mittleren Alters auf und war überrascht, dass Lynn verschwunden war. Er rief mit leiser Stimme: „Wo ist das Ziel hin?“
„Wir haben sie verloren. Sie scheint unsere Bewegungen komplett durchschaut zu haben“, knisterte eine männliche Stimme über seine Sprechanlage.
„Was für eine gerissene Frau“, murmelte der Mann mittleren Alters grimmig. „Sag dem Team, es soll Flughäfen und Ausgänge überwachen. Wir dürfen sie nicht aus New York entkommen lassen.“
Dieser Mann mittleren Alters, ein CIA-Agent, hatte den Auftrag, Lynn zu beschatten. Er und sein Team waren zuvor von Yun Lintian manipuliert worden und glaubten, Lynn sei entkommen.
In diesem Moment tauchten Yun Lintian, Lynn und Anna im Café auf, unsichtbar für alle außer Nantian Fengyu und Lei Hao.
Lynn und Anna starrten verwirrt. Vor wenigen Augenblicken waren sie noch im Central Park gewesen. Wie waren sie hierher gekommen?
Lei Hao war einen Moment lang überrascht, begrüßte Lynn dann aber mit einem breiten Grinsen. „Schwester Lynn!“
„Ah’Hao?“, stammelte Lynn und ließ ihren Blick auf seine Beine fallen. „Deine Beine …?“
Lei Hao zog seine Hose hoch und zeigte sie ihr. „Der Boss hat mir neue Beine gegeben.“
Lynn war völlig verwirrt. „Neue Beine?“ Sie kniff sich in den Arm, um zu prüfen, ob sie träumte.
Lei Hao lachte leise. Ihr Gesichtsausdruck war genau derselbe wie damals.
„Lass uns gehen“, sagte Yun Lintian.
„Aber mein Akku …“, jammerte Nantian Fengyu. Er war nur zu zehn Prozent aufgeladen.
„Wir laden ihn später auf“, lächelte Yun Lintian und winkte mit der Hand. Im Handumdrehen befanden sich alle wieder in seiner Villa in Hangzhou.
Die plötzliche Veränderung ließ Lynn und Anna wie betäubt zurück. Jetzt war alles unbestreitbar real.
Yun Lintian starrte verwirrt auf die Villa. Sie war eine exakte Nachbildung der Villa im Land jenseits des Himmels. Wie konnten zwei identische Villen existieren? Wer war dafür verantwortlich? Sein Vater?
„Hast du diese Villa kürzlich besucht?“, fragte Yun Lintian Lei Hao.
„Ja“, antwortete Lei Hao mit einem Nicken. „Ich komme einmal pro Woche zum Putzen hierher. Als ich das erste Mal hier war, waren alle deine Sachen verschwunden. Hast du sie weggebracht, Boss?“
„Nein“, runzelte Yun Lintian die Stirn. Die Anwesenheit seiner Sachen in der Villa im Land jenseits des Himmels bestätigte, dass jemand Zugang zum Land jenseits des Himmels hatte … Wer konnte das sein?
Lei Haos Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Zhu Ding?“
Lynn mischte sich ein und sah Yun Lintian an. „Unwahrscheinlich. Nachdem du verschwunden warst, sind Schwester Ningchang und ich gekommen, um deine Sachen zu holen, aber sie waren schon weg. Wir haben gründlich nachgeforscht, aber keinen Täter gefunden.“
„Okay, lass uns reingehen“, sagte Yun Lintian, griff nach der Türklinke und schloss auf.
Die Aufteilung entsprach der Villa im Land jenseits des Himmels. Yun Lintian wischte einfach mit einer Handbewegung den Staub weg und materialisierte verschiedene Dinge des täglichen Bedarfs.
Währenddessen ließ sich Nantian Fengyu, die von dem Geheimnis nichts ahnte, auf das Sofa fallen und schloss ihr Handy an, um es weiter aufzuladen.
Yun Lintian setzte Qingqing auf das Sofa. „Ich muss erst etwas überprüfen“, verkündete er, bevor er sich in das Arbeitszimmer seines Vaters begab und das Bücherregal untersuchte. Die versteckte Bibliothek war jedoch nicht vorhanden. Dies war eindeutig eine gewöhnliche Villa.
Yun Lintian durchsuchte die gesamte Villa mit seinem spirituellen Sinn nach allem, was ungewöhnlich war. Er fand keine Spur von seinem Vater oder der mysteriösen Person, die für diese Nachbildung verantwortlich war.
Während Yun Lintian nachdachte, konnte Lynn nicht umhin, Lei Hao zu fragen: „Was geht hier vor sich?“
Anna war ebenso neugierig und spitzte die Ohren, gespannt auf eine Erklärung.
„Hast du jemals chinesische Fantasy-Romane gelesen, Schwester Lynn?“, fragte Lei Hao, überzeugt davon, dass Yun Lintian nichts dagegen haben würde, wenn er die Wahrheit verriet.
„Klar“, antwortete Lynn. „Ich lese sie gerne in meiner Freizeit. Du weißt schon, Titel wie ‚Meine Frau ist eine schöne Geschäftsführerin‘ und ‚Mein herrischer Präsident‘.“
Lei Hao blinzelte sprachlos. Das waren nicht gerade die Romane, die er gemeint hatte. „Ich meinte die über das Erlangen der Unsterblichkeit, das Xianxia-Genre“, stellte er klar.
Lynn verstand. „Also, Lintian strebt nach Unsterblichkeit?“
„Ja. Er ist ein Kultivierender“, bestätigte Lei Hao. „Er ist in eine andere Welt gereist und gerade zurückgekommen.“
Lynn und Anna sahen sich schockiert an. Sie hätten nie gedacht, dass so eine fantastische Geschichte wahr sein könnte.
„Wären diese Leute dann nicht leicht zu erledigen?“, fragte Anna.
„Auf jeden Fall“, stimmte Lei Hao zu. „Der Boss meinte, er könnte sie mit einem Fingerschnippen auslöschen, aber das wäre zu einfach. Sie verdienen mehr.“
„Stimmt“, sagte Lynn und akzeptierte die unglaubliche Wahrheit voll und ganz. „Der Tod ist eine Gnade für sie. Die wahre Strafe ist, ihnen alles zu nehmen: ihren Status, ihren Reichtum, ihre Macht. Zu sehen, wie ihre Imperien zusammenbrechen.“
„Ich kann es kaum erwarten, das zu sehen“, sagte Lei Hao mit einem eiskalten Lächeln.
Plötzlich hielt Nantian Fengyu ihr Handy hoch. „Alle bitte lächeln!“
Lynn und die anderen drehten sich um und hörten den Klick des Auslösers.
Nantian Fengyu strahlte zufrieden, als sie das Selfie betrachtete.
Lynn warf Lei Hao einen zweifelnden Blick zu und fragte ihn still, wer Nantian Fengyu sei.
Er erklärte bereitwillig: „Sie ist die fünfte Schwester des Bosses, Schwester Nantian.“
„Fünfte Schwester? Dann gibt es noch vier weitere?“ Lynns Stimme stockte leicht.
„Natürlich, die anderen vier Schwestern sind auch schön, aber ich bin seine Lieblingsschwester.“ Nantian Fengyu streckte stolz ihre Brust heraus.
Lynn und die anderen waren sprachlos.
Nantian Fengyu wandte sich mit einem verschmitzten Lächeln an Lynn. „Bist du die neue Freundin meines jüngeren Bruders? Nun, du bist hübsch, aber nicht ganz auf dem Niveau seiner anderen Frauen.“
„Anderen Frauen?“ Lynns Miene verdüsterte sich.
Sie biss die Zähne zusammen und spuckte wütend: „Na gut, Yun Lintian. Du weist mich zurück und nimmst andere? Das werden wir noch sehen!“
Lei Hao zitterte und wich instinktiv zurück, überwältigt von der mörderischen Aura, die Lynn ausstrahlte.
„Schwester Nantian, kannst du mir zeigen, wie diese Frauen aussehen?“, fragte Lynn.
Nantian Fengyu, deren Augen vor Schalk funkelten, kam dieser Bitte bereitwillig nach. Vielleicht sehnte sie sich aufgrund der Isolation in der Endlosen Brennenden Hölle nach ein wenig Unterhaltung.
Mit einem Fingerschnippen materialisierten sich holografische Bilder von Yun Qianxue, Lin Xinyao, Han Bingling, Shen Liqiu und Mu Qiuxue in der Luft.
Lynn, Anna und Lei Hao starrten sprachlos auf die Projektionen. Jede dieser Frauen besaß eine unbeschreibliche, ätherische Schönheit. Sie waren jenseits der Welt der Sterblichen.
„Unglaublich“, murmelte Lei Hao.
Er hatte Xia Yao, Lynn und Yang Ningchang immer als Inbegriff der Schönheit angesehen, aber im Vergleich zu diesen himmlischen Wesen wirkten sie gewöhnlich. Diese Frauen gehörten einer ganz anderen Welt an.
Anna warf ihrem Meister unbewusst einen besorgten Blick zu.
Lynn betrachtete die Bilder einen langen Moment lang, bevor sie einen resignierten Seufzer ausstieß. „Wenn ich er wäre, würde ich mich auch in sie verlieben.“ Ihre Stimme verriet einen Hauch von Unsicherheit.
In diesem Moment kam Yun Lintian zurück ins Wohnzimmer. Sein Blick fiel auf die holografische Projektion und sein Gesichtsausdruck verdüsterte sich zusehends. „Willst du Prügel, Fünfte Schwester?“
