„Wenn du das nicht selbst kapierst, musst du mehr nachdenken.“
Das Knacken ging weiter.
Die Zeit lief rückwärts.
Immer und immer wieder.
Er sah Elizabeth sterben.
Egal, was er tat, er konnte sie nicht beschützen.
Jedes Mal, wenn sie starb, fühlte er, wie sein Herz zerbrach.
Wieder.
Er musste mit ansehen, wie jemand, der ihm nahestand, immer wieder starb.
Die Erinnerungen an die Hunderte von Schleifen, die er in Shadow Trial durchlaufen hatte, kamen zurück und verfolgten ihn. Seine Gefühle waren in Aufruhr.
Traurigkeit, Trauer, Verlust.
In diesem Moment wurde Neo endlich klar, warum er es hasste, wenn seine Lieben starben.
Früher glaubte er, dass das Leben nichts anderes als ein Weg zum Tod sei.
Aber das war falsch.
In Wirklichkeit sah er das Leben als Synonym für Glück.
Die Momente, die er mit ihnen verbracht hatte, die Erinnerungen an ihre gemeinsame Zeit, die Zukunft, die er sich vorgestellt hatte. All das war für ihn eine Quelle des Glücks gewesen.
Und dieses Glück hatte er verloren, als sie gestorben waren.
Als er Elizabeths kalten Körper in den Armen hielt, wurden die Momente, auf die er früher so liebevoll zurückgeblickt hatte, zu einer Quelle ständiger Schmerzen für ihn.
Die Erinnerungen, die er früher so geschätzt hatte, erinnerten ihn nun ständig an sein Versagen.
An seine Schwäche.
Daran, dass er sein Glück nicht beschützen konnte.
„Es ist okay“, sagte Elizabeth noch einmal. „Du bist zurück. Jetzt können wir alles lösen.“
Neo umfasste ihre Hand mit seiner.
Es kamen keine Worte über seine Lippen.
Er begann, der Verrücktheit der Wahren Dunkelheit dankbar zu sein. Der Schmerz und der Wahnsinn zerrissen seinen Verstand, aber sie gaben ihm etwas, worauf er sich konzentrieren konnte, statt auf die schmerzhafte Realität vor ihm.
„Du scheinst ziemlich stumm zu sein.“
Die Schatten im Raum verschoben sich, bevor sie sich in Tartarus verwandelten.
„Ich schätze, ich muss es dir klar sagen. Akzeptiere, dass deine Entscheidung ein Fehler war. Akzeptiere, dass du falsch gehandelt hast, als du deine Autorität als Richter aufgegeben hast.“
Neo schwieg.
Seine ganze Aufmerksamkeit galt Elizabeth.
Tartarus schien das nicht zu stören, als er fortfuhr:
„Wenn du deinen Fehler akzeptierst, musst du diese Strafe nicht erleiden, obwohl du dennoch bestraft werden wirst.“
„Ich …“
„Nein.“ Elizabeth unterbrach ihn schnell.
Neo hatte keine Miene verzieht, aber vielleicht konnte sie dank ihrer Verbindung seine Trauer spüren.
Er brach zusammen. Nicht nur körperlich, sondern auch innerlich.
„Deine Entscheidung war nicht falsch. Du bist du, Neo. Deine Identität besteht nicht nur darin, der Sohn des Gottes des Todes zu sein. Du bist mehr als das. Viel mehr.“
„Halt den Mund, du dumme Frau!“, fauchte Tartarus. „Wie kannst du es wagen, den Untoten Hades mit bloßen Göttern zu vergleichen? Er ist einer der Ewigen! Andere würden alles tun, um eine Chance zu haben, sein Bruder zu werden, und du sagst ’nur der Sohn des Todesgottes‘?
Du musst es sein, die Neo in die Irre geführt hat.“
Elizabeth ignorierte seinen Ausbruch.
Sie streichelte Neos Haare.
„Er benutzt mich als Geisel, nicht wahr?“, sagte sie sanft. „Ich spüre, dass die Zeitelementare in Aufruhr sind. Er muss mich schon dutzende Male getötet und die Zeit zurückgedreht haben.“
„Wie kannst du es wagen, mich zu ignorieren?“
„Aber es ist okay. Du musst deine Ideale nicht wegen mir ändern. Ich will nicht deine Fesseln sein.
„Dann lass mich sterben.“
Sie verschränkte ihre Finger mit seinen.
„Ich werde wiedergeboren werden, und wenn ich das bin, werde ich zu dir zurückkommen. Deshalb ist es okay.
Du kannst mich loslassen.“
Elizabeths Körper explodierte durch Tartarus‘ Angriff.
Neo sah auf seine Hände, die noch vor wenigen Augenblicken ihre gehalten hatten. Jetzt war nur noch die nachklingende Wärme und das Blut übrig.
„Dreckige Frau. Schlampen wie sie sollten …“
Neo benutzte Hydraulic Movement zusammen mit Pseudo Gap, um sofort vor Tartarus zu erscheinen.
Seine Aura flammte auf.
Tartarus spürte eine große Gefahr.
Unbewusst machte er einen Schritt zurück und beschwor einen Speer des Todes, den er auf Neos Herz stieß.
Zu seiner Überraschung wich Neo weder aus, noch blockte oder konterte er.
Er ließ den Speer ungehindert auf sich zukommen.
Plötzlich erschien eine Zukunftsvision in Neos Kopf.
Darin wurde Neo getötet.
„Obwohl ich in dieser Zeitlinie noch nicht mit Percival gesprochen habe, sollte er mir dennoch Glück bringen, damit ich überleben kann.“
Trotz des Wahnsinns, der seinen Verstand zeriss, analysierte ein Teil von Neo die Situation weiterhin ruhig.
Der Verlust seines Glücks hatte ihn taub gemacht und ihm ermöglicht, den Wahnsinn zu ignorieren.
„Sphinx, mach deine Arbeit.“
Der Segen der Sphinx flammte auf seinen Befehl hin auf. Neo gab ihm den Rest seiner Energie.
Zwei weitere „künstliche“ Zukunftsvisionen erschienen.
In einer gelang es ihm, sein Leben zu retten, aber er wurde fast in zwei Hälften geteilt.
In der anderen wurde sein Herz durchschnitten, aber dafür schnitt er Tartarus den Arm ab.
Diese Zukunftsvisionen würden niemals eintreten.
Sie waren nur ein „Was wäre wenn“. Eine Möglichkeit, die hätte sein können, wenn bestimmte unbekannte Umstände eingetreten wären.
Neo benutzte All-Shadow, um in die zweite künstliche Zukunftsvision einzutreten.
Der Eintritt in diese Zeitlinie machte sie real. Sie zwang die Zeit, die „künstliche Zeitlinie“ mit der Hauptzeitlinie zu verschmelzen.
Die Umgebung veränderte sich.
Tartarus starrte auf seinen fehlenden Arm, während Neo schwer atmete, mit einem Speer in seinem Herzen.
Anstatt überrascht zu sein, sah Tartarus ihn mit gerunzelter Stirn an.
„Schon wieder diese Kraft. Ist dir klar, dass du dadurch auseinanderbrichst?“
Er zeigte mit dem Kinn auf die Risse in Neos Körper.
„Diese Verletzungen sind das Ergebnis von Zeiterosion. Im Moment hält dich nur deine unglaublich schnelle Regeneration am Leben. Ohne sie hätte die Zeit dich längst zerfressen.
Aber das ist nur eine Notlösung. Du wirst langsam ausgelöscht. Diese Risse sind der Beweis dafür.
All das geschieht an diesem Ort, meiner Welt, wo es kaum natürliche Zeitelementare gibt. Wenn du es irgendwie schaffst zu entkommen, wirst du von unzähligen Zeitelementaren überrannt und ausgelöscht werden.“
„Na und?“
„Es ist klar, dass du hierbleiben und für deine Fehler büßen solltest.“
Neo antwortete nicht.
Er sprang zurück und verschlang die Hand, die er Tartarus abgetrennt hatte.
[Wissen über Schattenkerne +13]
[Ein Zehntel Tartarus-Schattenkern +1]