Ares konnte nichts entgegnen, obwohl er wusste, dass Zeus‘ Vorurteile gegenüber Neo nur auf den Namen Hargraves zurückzuführen waren.
„Warum ruft ihr mich immer, wenn ihr alles vermasselt habt?“
Zeus schnalzte genervt mit der Zunge.
„Na gut. Ich kümmere mich um Neo Hargraves und Jack Hanma.“
„Danke, pass auf dich auf.“
„Ich brauche keine guten Wünsche, um mit zwei Gören fertig zu werden.“
Zeus legte auf.
Das Geräusch der unterbrochenen Verbindung hallte im Zelt wider.
Ares seufzte tief und starrte an die Zeltdecke.
Hanna, seine Sekretärin, merkte, dass Ares unter enormem psychischen Druck stand.
Sie beobachtete, wie er die Kiefer zusammenpresste und seine Schultern sich unter der Last seiner Verantwortung anspannten.
Er verbarg seine Last.
Er durfte vor seinen Untergebenen keine Schwäche zeigen, besonders nicht in schwierigen Zeiten wie diesen, in denen sie seine Unterstützung brauchten. Er musste ihnen Halt geben.
„Es wird alles gut“, sagte Emma.
Das Sonnenlicht, das durch die flatternden Zeltplanen fiel, warf Schatten auf ihr Gesicht und betonte ihre gerunzelte Stirn.
„Ich sage es nur ungern, aber Neo beherrscht die Dunkelheit besser als ich. Er konnte mich überwältigen, weil er besser war als ich in dem, was ich am besten konnte. Er war mein natürlicher Erzfeind.
Aber Zeus und Gaia sind anders. Zeus kann das Element Leben einsetzen, und Gaia kann die Elemente Licht und Heiligkeit einsetzen. Sie beherrschen sie sehr gut, und …“
„Sie sind die perfekten Gegenspieler für Neo“, unterbrach Ares Emma und massierte seine Augenbrauen.
Seine Erschöpfung war offensichtlich, als er sich leicht in seinem Stuhl zurücklehnte.
„Aber sie sind zu weit von Neos aktuellem Standort entfernt.“
Er starrte auf das Gerät in seiner Hand.
„Nein, tu das nicht“, sagte Emma, als sie erkannte, was Ares vorhatte. Ihr Tonfall wurde schärfer. „Sag Apollo nicht, er soll Neo aufhalten.
Die Kraft, die Neo uns gezeigt hat, kann Apollo nicht aufhalten.“
„Er kann Sunshine einsetzen. Das ist die perfekte Waffe gegen Neo Hargraves und Jack Hanma, und … wir haben keine andere Wahl.“
Ares gefiel es nicht, Apollo gegen Neo anzutreten, da er wusste, dass Apollo Neo verehrte, wenn auch nur ein wenig.
Er seufzte erneut und wählte Apollos Nummer.
Die Luft wurde mit jeder Sekunde schwerer.
„Hier ist Ares“, sagte er mit ernster Stimme.
„Verstehe“, antwortete Apollo.
Das leise Knistern in der Leitung konnte die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme nicht übertönen.
Ares‘ Tonfall und der Zeitpunkt des Anrufs reichten Apollo, um die aktuelle Situation zu verstehen.
„Ich habe das erwartet“, sagte Apollo. „Ich bin bereits in der Savage Expanse …“
„In deiner aktuellen Lage kannst du Neo nicht besiegen.“
„… Warum sagst du das, wo du mich doch angerufen hast, um Neo aufzuhalten?“
Ares antwortete nicht sofort.
Er starrte einige Sekunden lang an die Decke und seufzte erneut.
„Benutze [Göttliche Verwandlung]. Damit wirst du gewinnen.“
„Ich habe die Technik der Göttlichen Transformation noch nicht gelernt.“
„Apollo, wir wissen beide, warum du sie nicht anwenden kannst“, sagte Ares. Die Schuld in seinen Augen wurde immer größer, als er hinzufügte: „Du hast Angst, die Göttliche Transformation anzuwenden, nicht wahr?“
Die Göttliche Transformation ermöglichte es dem Erwachten, sich mit seinem Geist zu vereinen.
Die Technik wurde von Gaia geschaffen … für Apollo.
Apollos Geist war Sunshine.
Sunshine gehörte zu den stärksten Geistern – wahrscheinlich war er sogar der stärkste Geist – der aktuellen Ära.
Geister wurden geboren, wenn ein Erwachter einen Teil seiner Seele verwendete, um einen Geistessamen zu nähren und ihm zu helfen, zu erblühen.
Daher gehörte ein Geist zu der Person, die ihn geboren hatte.
Apollo hatte vielleicht gesagt, dass Sunshine einen Vertrag mit der Vereinigung hatte, aber Sunshine gehörte ausschließlich ihm.
Deshalb war er so selbstgefällig gewesen, als er Neo von Sunshines Fähigkeit erzählt hatte.
„Du hast einen Geist erschaffen, der fast im Alleingang die Invasion von Niles Radcliff gestoppt hat“, sagte Ares. „Du hast unbegrenztes Talent, Apollo. Wenn du dich darauf konzentrierst, kannst du die Technik der göttlichen Verwandlung leicht erlernen.“
„Das ist nicht dasselbe! Gegen Neo zu kämpfen ist nicht …“
„Wenn du verlierst, wird Neo Typhaon erreichen.“
Ares‘ Stimme klang ernst.
„Du bist unsere einzige Hoffnung, Apollo. Ich habe Zeus und Gaia gebeten, Neo Hargraves ebenfalls aufzuhalten, aber ich bezweifle, dass sie Savage Expanse rechtzeitig erreichen können.“
Ares legte auf.
Die Stille, die folgte, war bedrückender als das Gespräch selbst.
Er seufzte, sein Seufzer klang hohl und müde.
„Verdammt.“
Er hasste es, Apollo so in die Enge zu treiben, aber seine Worte waren wahr.
Apollo hatte grenzenloses Talent.
Eine Situation wie jetzt, in der es keinen anderen Ausweg gab, würde Apollo an seine Grenzen bringen, und er könnte vielleicht die Technik der göttlichen Verwandlung anwenden.
„Du hast getan, was du tun musstest“, sagte Emma. „Außerdem haben Zeus und Gaia mehr als genug Zeit, um Neo aufzuhalten.“
„Ja …“,
murmelte Ares.
Er hasste es, wie verworren ihre Lage geworden war.
…
Utah, Vereinigte Staaten von Amerika, Schattenwelt
Das schwach beleuchtete Büro lag eingebettet in einer Bergkette.
Die zerklüfteten Gipfel ragten wie stille Wächter gegen den dämmerigen Himmel.
Die Luft im Raum war schwer von einer unausgesprochenen Spannung, das einzige Geräusch war das rhythmische Ticken einer Standuhr, die in einer Ecke stand.
„Es ist genau so gekommen, wie du gesagt hast“, murmelte Perses, der Titan der Zerstörung.
Seine Stimme war so sanft wie das Wasser, das durch einen ruhigen Waldbach fließt.
„Woher wusstest du das? Ich wusste nicht, dass du Visionen der Zukunft sehen kannst.“
„…“
Anstatt Perses zu antworten, spielte Kronos mit dem Stift in seinen Händen.
Sein Blick war in die Ferne gerichtet, während er den stürmischen Himmel und die sich bedrohlich zusammenbrauenden Wolken beobachtete, die durch das Fenster wirbelten.
„Also, wen schickst du, um Neo Hargraves und Jack Hanma aufzuhalten?“, fragte Perses.
Sein Tonfall war locker, aber das versteckte Funkeln in seinen Augen verriet seine wahre Absicht.
„Du willst nur dorthin gehen und Zeus angreifen, um dich zu rächen“, sagte Kronos zu Perses und schüttelte langsam den Kopf.
„Überhaupt nicht. Ich will keine Rache. Ich bin ein sanftmütiger Kerl. Du kannst jeden fragen, er wird dir dasselbe sagen“, sagte Perses mit einem unschuldigen Lächeln, wobei seine scharfen Eckzähne kaum zu sehen waren.
Kronos ließ sich nicht täuschen.
Im Gegensatz zu allen anderen hatte er das wahre Gesicht von Perses gesehen.
Der Name Titan der Zerstörung passte perfekt zu ihm.
„Ich schicke niemanden.“
„…?“ Perses neigte den Kopf und zeigte seine Überraschung und Neugier. „Du schickst niemanden? Was ist, wenn Neo Hargraves und Jack Hanma Typhaon erreichen?“
„…“
„Hilfst du Neo Hargraves?“
„…“
„Warte mal, wirklich? Wow, das sind große Neuigkeiten.“
Erstaunt beobachtete Perses Kronos‘ Schweigen mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Warum hilfst du diesen Gören?“
„Verlass mein Büro, wenn du nichts zu tun hast.“
Der Raum schien sich zu verdunkeln, als Kronos‘ Worte in der Luft hingen.
Perses nickte, machte aber keine Anstalten zu gehen, und das flackernde Lampenlicht warf einen langen Schatten hinter ihn.
„Francis, gib mir doch den Raum-Zeit-Würfel.“
„Ich habe dir gesagt, dass ich ihn dir nicht geben werde …“
„Ich werde die Erwachten daran hindern, Neo Hargraves zu erreichen.“
„…?“
„Du willst Neo helfen, und ich bekomme die Chance, gegen sie zu kämpfen.“
Perses grinste, seine Augen funkelten vor gefährlicher Freude.
Der Raum um ihn herum schien zu wogen, als würde er auf seine Erregung reagieren.
Er zeigte sich völlig unbesorgt über das vermeintliche Ende der Welt, sollte Neo Typhaon erwecken.
Alles, was er wollte, war ein Kampf.
Man könnte ihn als Kampfwahnsinnigen bezeichnen.
Aber Kronos kannte die Wahrheit.
„Er will unbedingt die Erwachten angreifen, weil er von Zeus‘ Angriff überrascht und erbärmlich besiegt wurde.“
Perses war kein Kampfbesessener.
Der einzige Grund, warum er kämpfen wollte, war, dass er wusste, dass er die Schuld auf Kronos schieben konnte.
Kronos wollte gerade ablehnen, als er plötzlich inne hielt.
Die Räder in seinem Kopf drehten sich.
Als er zu einem Entschluss gekommen war, beschwor er aus dem Nichts den Raum-Zeit-Würfel herbei.
Seine Oberfläche schimmerte schwach.
Mit einer schnellen Bewegung seines Handgelenks warf er ihn Perses entgegen.
„Ich habe den aktuellen Standort von Gaia darin gespeichert. Geh dorthin und …“
„Danke.“
Perses verschwand in einem Lichtblitz, bevor Kronos seinen Satz beenden konnte.
