„Lass uns für heute Schluss machen“, sagte Wu Long und trat einen Schritt zurück.
„Okay, danke wie immer, Schüler Wu“, sagte Liu Li, während sie ebenfalls das Schwert zurücknahm und es in die Scheide steckte.
„Übrigens, weißt du, wie ich eine Erlaubnis für eine Reise außerhalb der Sekte bekommen kann?“, fragte er beiläufig.
„Außerhalb? Willst du irgendwo Bestimmtes hin?“, fragte sie überrascht, aber auch aus irgendeinem Grund aufgeregt.
„Nein, ich habe kein bestimmtes Ziel, aber am liebsten würde ich in eine große Stadt oder in deren Umgebung fahren“, antwortete er ehrlich, da er keinen Grund hatte, etwas zu verheimlichen.
„Das passt ja super, ich habe gerade überlegt, wie ich das Thema ansprechen soll. Ich muss nächste Woche verreisen, das Ziel ist eine große Stadt. Ich werde von einem anderen Ältesten und einigen Schülern begleitet, damit sie Erfahrungen sammeln können, aber diese Reise ist privat und hat nichts mit der Sekte zu tun.
Und da ich das Sparring nicht unterbrechen wollte, weil ich einen möglichen Durchbruch in meiner Schwertkunst spürte, habe ich mich gefragt, ob du vielleicht mitkommen möchtest.
Allerdings ist es ziemlich weit, sodass die Reise mindestens drei Monate dauern wird, möglicherweise sogar länger, wenn man die Hin- und Rückreise und den Aufenthalt dort mitrechnet, deshalb habe ich gezögert, ob du zu einer so langen Reise bereit bist“, sagte sie in vertrautem Ton.
In den letzten Wochen war sie in seiner Gegenwart viel lockerer geworden, sogar lockerer als mit jedem anderen in der Sekte, mit einer Ausnahme: dem Sektenmeister, den sie fast wie einen Elternteil behandelte.
Sie genoss Wu Longs Gesellschaft, er brachte sie manchmal zum Lachen und unterhielt sie mit allerlei Trivialwissen, das er wer weiß wo aufgeschnappt hatte.
Er redete nie unhöflich oder unpassend, aber auch nicht wie ein Schüler zu einem Älteren, sondern eher wie ein Gleichaltriger. Manchmal hatte sie sogar das mysteriöse Gefühl, dass er ein Älterer war, der sich einfach nicht um Formalitäten kümmerte und andere ungezwungen mit ihm reden ließ.
Das hätte sicher viele Ältere nervös gemacht, aber ihr kam das irgendwie ganz natürlich vor, als wäre es seltsam, wenn er wie ein Schüler geredet hätte.
Außerdem hatte sie das geheimnisvolle Gefühl, dass er vertrauenswürdig und zuverlässig war. Das empfand sie nur gegenüber dem Sektenmeister, der auch ihr Meister war. Erst kürzlich hatte sie ihm erzählt, dass sie früher eine Vorzeigeschülerin und die nächste Sektenmeisterkandidatin gewesen war, obwohl sie darüber nur ungern sprach.
Sie erzählte ihm aber nicht, warum sie jetzt eine Älteste des Außenhofs war, aber überraschenderweise fragte er auch nicht danach.
Und irgendwie fühlte sie eine Verbindung zu ihm. Besonders wenn sich ihre Schwerter kreuzten, wusste sie manchmal schon, welchen Zug er als Nächstes machen würde, selbst wenn er ihn zum ersten Mal vor ihr ausführte.
„Natürlich würde ich das gerne tun“, lächelte Wu Long und nickte.
Wu Long war ehrlich und sehr angenehm überrascht, denn dies war eine perfekte Gelegenheit für ihn.
Der Hauptgrund, warum er die Sekte nicht einfach ohne Erlaubnis verlassen hatte, war eigentlich sie. Sonst hätte er sich, auch wenn er eine leichte Verbindung zu dieser Sekte verspürte, weil sie, wie er kürzlich aus Büchern erfahren hatte, die erste und einzige Sekte in dieser Welt war, die die doppelte Kultivierung noch nicht vollständig angenommen hatte, nicht genug an sie gebunden gefühlt, um seine Bedürfnisse zu ignorieren, wenn diese Sekte ihn daran hinderte.
Als er ankam, war es seine oberste Priorität, seine unmittelbare Kraft zu steigern und den erbärmlichen Zustand seines Körpers und seiner Kultivierung zu verbessern, da er in diesem Zustand keine anderen Bewegungen ausführen und sich nicht frei bewegen konnte. Also machte er sich auf den Weg in die umliegenden Gebiete.
Zweitens wollte er mehr über seine Situation erfahren, da es nicht sicher und auch nicht angenehm war, keine Ahnung von seiner aktuellen Lage zu haben.
Und drittens wollte er sein zerbrochenes Schwert reparieren, um seinen Kultivierungsfortschritt wieder in Gang zu bringen und sich auf die Zukunft vorzubereiten. Zuerst dachte er, dass er das in der Umgebung schaffen könnte, aber da das nicht klappte, beschloss er, sich seiner zweiten Priorität zu widmen und Informationen zu sammeln.
Jetzt, wo er seine ersten beiden Prioritäten erledigt hat, könnte er einfach die Sekte verlassen. Um die dritte Priorität effizient zu erledigen, musste er rausgehen. Das war der Kern seines Plans für den Fall, dass die dritte Priorität nicht in der Schatzkammer oder in der Wildnis mit der ersten erledigt werden konnte, als er nach dem Aufwachen seine Gedanken ordnete.
Aber als er sie am zweiten Tag traf, gerieten seine Prioritäten durcheinander, da er ihre Existenz einfach nicht ignorieren konnte.
Ohne sie hätte er die Sekte also inzwischen verlassen, um seine Ziele zu verfolgen.
Da er seine dritte Priorität jedoch nicht so lange aufschieben konnte, musste er einen Weg finden, eine Reise zu unternehmen, ohne gegen die Regeln zu verstoßen, damit er anschließend zurückkehren konnte.
„Super, ich werde die Sekte für dich informieren, sei einfach bereit, wir brechen in etwa einer Woche auf.“ Liu Li lächelte, da sie sich Sorgen machte, das Schwerttraining zu unterbrechen, jetzt, wo sie so kurz vor einem Durchbruch in ihrer Schwertkunst stand.
Sie unterhielten sich noch ein wenig und gingen dann ihrer Wege.
Wu Long ging zu seiner Unterkunft, wo er einen alten Mann vor dem kleinen Tor zum Innenhof stehen sah.
„Guten Tag, Ältester Hai“, sagte er mit einem Lächeln, als er in dem Mann denjenigen erkannte, der ihn angeblich zur Sekte gebracht hatte, den Ältesten Hai.
„Du … du warst draußen?“, fragte Ältester Hai überrascht und sogar ein wenig verwirrt.
„Ja, ich hatte etwas zu erledigen. Darf ich fragen, warum du mich suchst?“, fragte Wu Long einfach und nickte dem verdutzten Ältesten Hai zu.
„Was zum Teufel ist mit diesem Jungen passiert?“, dachte der Älteste Hai bei sich, da er Wu Long fast nicht wiedererkannte. Seine Haltung war nicht mehr schüchtern, sondern voller Selbstvertrauen, und seine verlorenen, fast seelenlosen Augen waren ruhig, scharf und fest. Er strahlte eine starke Präsenz aus, die seine gutaussehenden Gesichtszüge nun in hellstem Licht erstrahlen ließ.
„Ähm, ich bin gekommen, um dich wie immer zur Missionshalle zu bringen, damit du deine monatliche Mission erledigen kannst … Du hast die 7. Stufe erreicht?“, räusperte er sich schließlich und kam zur Sache, aber während er sprach, stellte er schockiert fest, dass Wu Longs Reich dramatisch gewachsen war.
„Ja, ich hatte Glück und habe es geschafft.
Danke, dass du dich um mich gekümmert hast, Ältester Hai, du musst das nicht mehr tun, ich komme jetzt alleine zurecht.“ Wu Long antwortete mit einem ehrlichen Lächeln. Obwohl dieser Älteste Hai dies höchstwahrscheinlich nicht aus reiner Herzensgüte tat, hatte er sich dennoch fünf Monate lang um ihn gekümmert und normalerweise jede Woche nach ihm gesehen.
Dass er ihn etwas mehr als einen Monat lang nicht gesehen hatte, hatte wahrscheinlich mit seinen persönlichen Angelegenheiten zu tun.
„… Du… ist dein… ähm, erinnerst du dich an etwas, bevor ich dich gefunden habe?“ Der Älteste Hai war zuerst schockiert, dann etwas nervös, zögerte und fragte dann, als ob auch er etwas über seine Vergangenheit wissen wollte, bevor er ihn „aufgegriffen“ hatte. Das war nichts Neues, denn er hatte am Anfang mehrmals auf diese Weise überprüft, ob sein Gedächtnisversiegelung intakt war.
„Nein, immer noch nichts. Ich werde es dir sagen, wenn ich etwas weiß.“
Wu Long spielte einfach mit, da ihn diese Angelegenheit nicht sonderlich interessierte.
„Verstehe, mach dir keine Sorgen und zwing dich nicht dazu, ich bin sicher, dass es dir von selbst wieder einfallen wird. Nun, du weißt ja, wo du mich findest, wenn du Hilfe brauchst oder Fragen hast“, sagte Ältester Hai, was er immer sagte, nachdem er nach seiner Erinnerung gefragt hatte, mit etwas mehr Gelassenheit als zuvor, und da er sah, dass seine Hilfe nicht mehr benötigt wurde, blieb er nicht länger.
Dann reiste er in die Tiefen der Sekte zu einem der fünf Gipfel dieser Bergsekte, dem Gipfel der Einheit. Er durchlief mehrere Sicherheitskontrollen und passierte die Tore, die den einzigen, spiralförmigen Weg zum Gipfel der Einheit versperrten. Der Weg zum Gipfel dieses Berges war gespickt mit Höhleneingängen auf der einen Seite und einer Klippe auf der anderen, während sich der Weg spiralförmig um den Gipfel schlängelte.
Einige dieser Höhleneingänge waren mit Steinschiebetüren verschlossen.
In diesen Höhlenkammern konnten die inneren Schüler, Kernschüler und Ältesten der Sekte für bestimmte Zeiträume um Kultivierung bitten, da die Wirkung an diesem Ort viel besser war. Dieser Berggipfel war ein besonderer Ort auf der Drachenader dieses spirituellen Landes, in dem sich die Sekte befand.
Auf dem Gipfel des Berges stand der Palast des Sektenmeisters.
Als er ankam, begrüßte ihn einer der Begleiter des Sektenmeisters und sagte ihm, dass der Sektenmeister gerade Besuch habe.
„Sag ihr, es geht um den Schüler Wu Long und es ist dringend“, sagte der Älteste Hai nervös.
Nachdem er eine Weile in einem der Warteräume gewartet hatte, wurde er ins Arbeitszimmer geführt.
Als er eintrat, senkte er den Kopf und verbeugte sich.
„Schüler Hai Licheng grüßt den Palastmeister.“
Als er den Kopf wieder hob, bemerkte er, dass der Besucher des Sektenmeisters tatsächlich der Älteste Liu war, der Schüler des Sektenmeisters und ehemalige Hauptschüler.
„Komm rein, erzähl mir, was für dringende Neuigkeiten du über den Schüler Wu hast, die dich so aufgeregt haben. Zufälligerweise ist Li’er auch hier, um etwas über ihn zu besprechen, sodass wir alles auf einmal klären können. Hier sind nur vertrauenswürdige Leute, wir können also ohne Bedenken reden.“ Eine sanfte, aber kraftvolle Frauenstimme sagte mit einem Hauch von Neugier.
Eine atemberaubend schöne Frau mit einer sinnlichen Figur und einer Haut wie Jade empfing ihn mit einem ruhigen Lächeln im Gesicht. Ihre Ausstrahlung hatte etwas Majestätisches, als würde sie die Umgebung beherrschen und alles um sie herum unter ihrer Kontrolle haben.
Sie sah so jung aus wie Liu Li, Mitte zwanzig, aber ihre Ausstrahlung verriet, dass sie weitaus weiser und erfahrener war als Liu Li.
Das war die Sektenmeisterin des Yin-Yang-Einheitspalastes, Lian Zhiqiu.
—
Nachdem ihr vertrauter Untergebener und erster Schüler gegangen war, stand Lian Zhiqiu auf, sagte ihrer Begleiterin, dass sie nur in dringenden Fällen gestört werden solle, und ging über die Holzbrücke, die zu ihrem persönlichen Teil des Palastes führte, wo niemand Zutritt hatte.
Sie durchquerte ihre Gemächer und gelangte zu einem abgelegenen Raum, der an eine Klippe mit offenem Dach grenzte und dessen Außenwände aus Jadensäulen bestanden, durch deren Zwischenräume man die Landschaft weit unten sehen konnte.
In der Mitte des Raumes stand ein großer Baum, der das ganze Jahr über mit rosa Blüten blühte, und darunter und daneben befand sich ein Steinbecken mit klarem, dampfendem Wasser, das mit Blütenblättern bedeckt war.
Als sie den Raum betrat, begann sie, ihre Gewänder abzulegen, wobei sie ihre perfekte Figur enthüllte, während sie ging. Ihre Kleider fielen in einer Linie zu Boden, bis sie den Teich betrat und ihren schönen Körper ins Wasser tauchte.
Sie seufzte, als sie das wohltuende Gefühl des heißen Wassers spürte, das sie umhüllte, und schloss die Augen, um die Entspannung von Körper und Geist zu genießen.
„Hmm … Wu Longs plötzliche Verwandlung … und dieses Mädchen Li’er, ich habe sie noch nie so gesehen …“, murmelte sie.
Nach ein paar Augenblicken öffnete sie die Augen und ein Lächeln, das eine tödliche Anziehungskraft ausstrahlte, erschien auf ihren kirschroten Lippen.
„Interessant … es scheint, als würde es hier bald lebhaft werden“, sagte sie mit einem Kichern.
