„Die Sache ist erledigt. Ich will so was in Zukunft nicht mehr sehen, klar?“ Lin You schaute Vater und Sohn ernst an.
Lin Mucheng wusste, dass er heute keine Chance hatte. Er konnte nur die Schelte seiner Mutter hinnehmen. „Ja, Mutter. Ich gehe jetzt.“
Daraufhin ging er weg, ohne sich umzusehen, gefolgt von Lin Musong, der Lin Tianyun einen bösen Blick zuwarf, bevor er ging.
Lin Qianxue verbeugte sich um 90 Grad und sagte dankbar: „Danke, alter Meister, dass du uns geholfen hast. Und es tut mir leid, dass ich Ärger gemacht habe. Das wird in Zukunft nicht mehr vorkommen.“
Lin You starrte Lin Qianxue und Lin Tianyun eine Weile an und seufzte leise. „Das war hart für euch.“ Sie kramte in ihrer Tasche, holte eine Jadeflasche heraus und drückte sie Lin Qianxue in die Hand. „Trag das auf ihn auf.“
„Das ist zu wertvoll, alter Meister. Ich kann das nicht annehmen.“ Lin Qianxue erschrak für einen Moment und schob die Jadeflasche hastig zurück zu Lin You.
„Das sind nur ein paar Taels. Wie wertvoll kann das schon sein?“ Lin You schob die Flasche zurück. „Nimm sie. Willst du ihn sterben sehen?“
Lin Qianxue warf einen Blick auf ihren Sohn und biss sich auf die Lippen. Die Wunden an Lin Tianyuns Körper ließen ihr Herz schmerzen. „Danke, alter Meister. Ich werde mich für diese Gnade auf jeden Fall revanchieren.“
Lin You lächelte schwach. „Geh, bring ihn zuerst zurück.“
„Dann entschuldige ich mich jetzt.“ Lin Qianxue verneigte sich erneut und trug Lin Tianyun schnell zu ihrer Wohnung.
Als die beiden weg waren, sagte die junge Dame neben Lin You leise: „Oma, du solltest einen Weg finden, sie so schnell wie möglich wegzuschicken. Ich fürchte, sie werden hier nicht lange überleben.“
Als Lin You das hörte, seufzte sie. „Es ist nicht so, dass ich das nicht will, aber sie hat ihre tiefgründige Kraft komplett verloren. Sie jetzt wegzuschicken, wäre dasselbe wie sie zu töten. Mit ihrem Aussehen wird sie überall im Mittelpunkt stehen, egal wo sie hingeht … Auch wenn es hier nicht gut ist, ist es immer noch besser, als draußen herumzuwandern.“
Lin You neigte den Kopf, um ihre Enkelin anzusehen, und sagte leise: „Ling’er, ich hoffe, du kannst ihm eines Tages vergeben.“
Die junge Dame, Lin Ling’er, antwortete kalt: „Ich werde ihm niemals vergeben, was er meiner Mutter angetan hat.“ Danach ging sie weg, ohne sich um Lin You zu kümmern.
Lin You sah ihr nach und seufzte traurig. „Alles ist meine Schuld. Hätte ich ihn nicht von klein auf so verwöhnt, wäre er vielleicht nicht so ein Mensch geworden …“
***
In einer baufälligen Holzhütte in der Nähe des Hinterhofs legte Lin Qianxue Lin Tianyun auf ein Bambusbett und versorgte seine Wunden sorgfältig mit Medizin. Ihre Bewegungen waren sanft und voller Zärtlichkeit.
„Yun’er, warum hast du dich heute so gehen lassen?“, fragte Lin Qianxue leise. „Mama hat dir doch schon oft gesagt, dass du sie einfach ignorieren sollst, egal was passiert. Zum Glück ist der alte Meister rechtzeitig gekommen. Sonst hätte Mama nicht gewusst, was sie tun soll.“
Lin Tianyun kämpfte gegen den Schmerz an und sagte mit Mühe, während er das schöne Gesicht seiner Mutter anstarrte: „Sie haben etwas Schlimmes über dich gesagt. Ich konnte das nicht einfach ignorieren.“
Lin Qianxues Hand hielt inne, als sie ihren Sohn liebevoll ansah. „Ich weiß, aber wie Mama schon gesagt hat, ihre Worte können mir nichts anhaben. Also solltest du dich nicht um sie kümmern.“
Lin Tianyuns Lippen zuckten, als wollte er etwas sagen, aber er hielt sich zurück. Schließlich sagte er leise: „Es tut mir leid, Mama. Wenn du mich nicht getroffen hättest, wäre dein Leben nicht so geworden … Au!“
Als er noch nicht zu Ende gesprochen hatte, stieß Lin Qianxue ihm plötzlich in die Wunde und sagte wütend: „Ich erlaube dir nicht, das zu sagen!“
Lin Tianyun presste die Lippen fest aufeinander, starrte aber weiter auf das Gesicht seiner Mutter. Er war sich der Herkunft dieser unvergleichlichen Frau vor ihm bewusst.
Lin Qianxue, die ehemalige direkte Schülerin und wahre Nachfolgerin des Göttlichen Mondpalastes, besaß ein brillantes Talent, das nur einmal in hunderttausend Jahren vorkam. Mit ihrer Qualifikation und ihren Fähigkeiten hatte sie das Recht, auf die ganze Welt herabzuschauen.
Ihr Leben änderte sich jedoch völlig, als sie sich in ein geheimes Reich namens „Alter Wolken-Götterreich“ wagte. Dort entdeckte sie eine alte Stadt. Während sie sich umschaute, hörte sie plötzlich ein Baby weinen, das vom Wind herübergetragen wurde. Aus Neugierde folgte sie dem Geräusch und sah einen winzigen männlichen Säugling auf einem kleinen Altar in der Mitte der Stadt liegen.
Aus irgendeinem Grund wurde ihr Herz in dem Moment, als sie das Kind sah, von mütterlicher Liebe überwältigt, die sie vorantrieb und näher an das Kind heranführte.
In diesem Moment brach plötzlich ein goldenes Licht hervor, das Lin Qianxue umhüllte und ihr ihre ganze innere Kraft entzog.
Als der goldene Schein verblasste, stellte Lin Qianxue fest, dass sie eine normale Sterbliche geworden war. Ihre ganze innere Kraft war für immer verschwunden, und egal wie sehr sie sich auch bemühte, die Energie aus ihrer Umgebung aufzunehmen, sie konnte sie nicht zurückgewinnen.
Während sie ratlos war, öffnete der Säugling langsam die Augen und sah sich neugierig um. Als sein Blick auf Lin Qianxue fiel, lächelte er, was Lin Qianxues Herz zum Schmelzen brachte und all ihre Sorgen wegspülte.
In diesem Moment glaubte Lin Qianxue, dass es sich gelohnt hatte, ihre tiefgründige Kraft gegen ein Leben einzutauschen.
Als sie später in den Göttlichen Mondpalast zurückkehrte, erzählte Lin Qianxue ihrem Meister alles. Unter dem Druck der Palastältesten hatte ihr Meister keine andere Wahl, als ihr ihren Status abzuerkennen und sie irgendwo in der Nähe des Palastes in Frieden leben zu lassen.
Nach all dem empfand Lin Qianxue nicht mehr viel. Sie widmete sich mit ganzem Herzen der Erziehung des kleinen Jungen, Lin Tianyun, und brachte ihm bei, ein guter Mensch zu werden.
Leider wurde Lin Tianyun mit einer angeborenen Behinderung geboren. Er konnte nicht trainieren und war dazu bestimmt, sein Leben als Sterblicher zu verbringen. Obwohl das schade war, fand Lin Qianxue, dass es auch gut so war. So konnte sie ihn ihr ganzes Leben lang begleiten.
Alles verlief gut, bis Lin Tianyun zehn Jahre alt wurde. Seitdem stand das Leben der beiden völlig auf dem Kopf …
