Erde, 2020
„Leb wohl, Lintian. Sei beruhigt, ich werde keinen einzigen von denen, die dir Schaden zugefügt haben, davonkommen lassen“, sagte eine würdevolle, reife Frau, die neben einem großen Holzsarg stand. In dem Sarg lag der Leichnam eines Mannes. Sein Gesicht war blass, blutleer, und mehrere brutale Wunden hatten sein ursprünglich gutaussehendes Gesicht entstellt.
Ein starker Wind wehte und ließ das lange schwarze Haar der Frau im Wind flattern. Sie hatte ein schönes ovales Gesicht, eine schlanke Figur und strahlte eine heldenhafte Aura aus. Ihre blutunterlaufenen Augen starrten auf den leblosen Körper im Sarg. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt und füllten sich mit unermesslichem Hass, während Blut langsam zwischen ihren Fingern heraustropfte.
Sie holte tief Luft, drehte sich zu ihrem Untergebenen um und nickte leicht mit dem Kopf. Sofort trugen mehrere Männer den Sarg in das vorbereitete Grab, schlossen den Deckel und bedeckten ihn vorsichtig mit Erde, während die Frau zögernd zusah.
„Sind Sie sicher, dass Sie diesen Weg gehen wollen, Fräulein?“, fragte ein weißhaariger alter Mann, der einen Schritt hinter der Frau stand, besorgt.
Die Frau schaute in die Ferne. Ihre blutunterlaufenen Augen waren voller Entschlossenheit, als sie antwortete: „Onkel Yang, du hast dich seit meiner Geburt um mich gekümmert. Glaubst du etwa, ich mache Witze?“
Der Butler Yang Wu schaute seiner jungen Herrin mit trüben Augen eine Weile nach, bevor er leise seufzte: „Bitte lass diesen alten Diener dich begleiten.“
Die Frau drehte sich zu Yang Wu um; dieser konnte ihren aktuellen Gesichtsausdruck deutlich sehen. Er war eiskalt, und ihr Körper schien eine immense Tötungsabsicht auszustrahlen, die die Umgebung merklich abkühlen ließ. Sie sagte: „Lass uns gehen.“ Nachdem sie den Satz beendet hatte, ging sie sofort zu dem schwarzen Rolls-Royce, der in einiger Entfernung geparkt war, dicht gefolgt von Butler Yang und ihren Untergebenen.
Als die Autoschlange auf der Straße verschwand, tauchten plötzlich zwei geheimnisvolle Gestalten aus dem Nichts vor dem Grab auf. Der weiße Nebel hüllte sie ein, sodass man sie nicht klar erkennen konnte.
„Was für ein emotionales Mädchen“, sagte eine weibliche Stimme aus einer der Gestalten. Die Stimme war leise und schien aus einer anderen Welt zu kommen.
Die andere Gestalt sagte nichts. Plötzlich wirbelte der weiße Nebel um sie herum und das Grab begann zu beben. Im nächsten Moment tauchte der zuvor begrabene Sarg wie von Zauberhand auf dem Boden auf.
Der Deckel öffnete sich von selbst und gab den Blick auf den Körper des Mannes frei. Ein goldener Lichtstrahl schoss aus dem weißen Nebel hervor und umhüllte den leblosen Körper. Dann passierte etwas Rätselhaftes: Die bösen Wunden des Mannes begannen zu heilen und sein Körper schrumpfte langsam. Der Mann, der zuvor wie dreißig Jahre alt ausgesehen hatte, wurde nach und nach jünger. Es war, als hätte sich die Zeit zurückgedreht.
Eine Minute später verschwand das goldene Licht vollständig, und der Körper des Mannes war nirgends mehr zu sehen – nur ein winziger männlicher Säugling lag noch im Sarg, der anscheinend lebte, da er seine kleinen Gliedmaßen leicht bewegte. Um den Hals des Säuglings lag eine silberne Halskette mit einem rechteckigen Anhänger in der Mitte. Sie gehörte eindeutig dem Mann von zuvor.
Der weiße Nebel um die Gestalt wurde dünner und gab den Blick auf ein Paar schlanke Hände frei, die das Kind hochhoben. Die Gestalt aus weißem Nebel streichelte eine Weile das Gesicht des Kindes und reichte es dann der Frau an ihrer Seite.
„Bring ihn an diesen Ort und pass gut auf ihn auf“, sagte eine unglaublich kalte Frauenstimme aus dem Nebel.
„Ja, Herrin.“ Eine andere Frau mit dem Kind im Arm antwortete feierlich. Sie zögerte einen Moment, bevor sie fragte: „Wohin gehst du, Herrin? Bitte lass diese Dienerin mit dir gehen.“
Die Herrin antwortete nicht auf ihre Frage, sondern sagte: „Denk daran, verrate niemals deine Existenz, bevor er die Kraft vollständig erweckt hat … Geh.“ Nachdem sie den Satz beendet hatte, winkte sie mit der Hand.
Eine starke Kraft verdichtete sich um die Dienerin und das Kind, und der Raum hinter ihnen begann wie ein Spinnennetz zu zerreißen.
„Verstanden, Herrin“, antwortete die Dienerin widerwillig, bevor sie zusammen mit dem Säugling in den Rissen verschwand und die Herrin allein zurückließ.
Mit einem leisen Seufzer voller Hilflosigkeit winkte die Herrin noch einmal mit der Hand. Das Grab nahm auf magische Weise wieder seine ursprüngliche Form an, als wäre nichts geschehen. Daraufhin verschwand auch ihre Gestalt von diesem Ort.
