Als Bai Meiyue die Worte ihrer beiden älteren Brüder hörte, wurde sie ganz still. Sie wusste nicht, was sie ihnen sagen sollte oder wie sie sie beruhigen konnte, also konzentrierte sie sich einfach auf die Schüssel Reisbrei vor sich und aß weiter, ohne ein Wort zu sagen.
Als Yan Wanning sah, dass Bai Meiyue nicht mitdenkt, tauschte sie einen Blick mit ihren Söhnen, die genauso besorgt aussahen. Wollte Bai Meiyue nicht mit Lei Qian zusammen sein? Sie wollten zwar, dass Lei Qian Verantwortung übernimmt, aber sie wollten auch Bai Meiyues Wünsche nicht ignorieren.
Allerdings konnten sie nicht verstehen, warum Bai Meiyue Lei Qian nicht heiraten wollte. Dieser Mann hatte ihren Ruf ruiniert. War es nicht richtig, Verantwortung zu übernehmen?
Yan Wanning, Bai Zhan und Bai Jixuan waren im Dorf aufgewachsen und konnten daher die Stadtkultur der One-Night-Stands nicht ertragen.
Als sie sah, dass sie nichts sagte, konnte Yan Wanning nicht anders, als ihre Tochter zu überzeugen: „Gib deinen Brüdern und mir keine Schuld. Wir wollen nur, dass du ein Leben mit erhobenem Kopf führen kannst. Denk gut darüber nach; jetzt, wo diese Sache allen bekannt ist, wer wird dich noch ernst nehmen? Kein Mann wird dich jetzt heiraten wollen. Die Zeiten mögen sich geändert haben, aber Männer werden sich nie ändern; für sie ist es eine Frage der Ehre.“
„Jetzt, wo so etwas passiert ist, wirst du nicht heiraten können. Aber denk gut darüber nach, Yueyue. Deine Brüder werden ihre eigenen Familien gründen, und ich werde früher oder später alt werden und sterben. Wer wird dich dann vor dieser harten Gesellschaft beschützen? Alleinstehende Frauen sind wie eine offene Schatzkiste, besonders solche, deren Ruf ruiniert ist. Selbst wenn du nichts falsch gemacht hast, werden dich einige Abschaumtypen in dieser Gesellschaft hart behandeln.“
„Ohne jemanden, der dich beschützt, wird dein Leben bestimmt schwer werden. Die Heirat mit Lei Qian wird dich zumindest vor diesen Problemen bewahren; selbst wenn ihr beide aufgrund unvermeidbarer Umstände zusammenkommen, kannst du nichts anderes tun, als darüber nachzudenken, was du jetzt tun solltest.“
Sie hielt inne und fügte hinzu: „Selbst wenn du nicht bei ihm bleiben willst, heirate ihn wenigstens, dann kannst du dich später scheiden lassen. Als geschiedene Frau mit einem Anteil am Vermögen deines Mannes bist du viel besser dran als als Frau, deren Ruf ruiniert ist und die als Entschädigung ein einziges Haus bekommt. Dieses Haus wird dich nicht dein ganzes Leben lang ernähren.“
Was Yan Wanning sagte, war zwar echt hart, aber es fasste die realistische Situation der heutigen Gesellschaft gut zusammen. Schließlich war die Gesellschaft schon immer hart zu Frauen.
Deshalb verbrachte Yan Wanning so viel Zeit damit, ihre Tochter zu überzeugen, weil sie nicht wollte, dass ihre Tochter nach ihrem Tod leiden musste. Sie wollte Lei Qian dazu bringen, Verantwortung für seine Tochter zu übernehmen, indem er sie entweder heiratete oder ihr einen Teil seiner Firma überließ.
Wenn er sich weigerte, die Anteile abzugeben, blieb ihm nur die Heirat mit Bai Meiyue!
Selbst wenn man sie als gierige Bastarde bezeichnete, war das Yan Wanning völlig egal. Das Einzige, was sie und ihre Söhne interessierte, war das Wohlergehen und Glück von Bai Meiyue.
Hätte Lei Qian nicht getrunken und Bai Meiyue nüchtern das angetan, hätten sie Bai Meiyue niemals gebeten, ihn zu heiraten. Aber man sah, dass Lei Qian ein guter Mensch war; zumindest hatte er Schuldgefühle wegen dem, was er Bai Meiyue angetan hatte, und versuchte, es wieder gut zu machen.
Das war der Grund, warum Yan Wanning wollte, dass Bai Meiyue Lei Qian heiratete.
Bai Meiyue senkte den Kopf und aß weiter, aber ihr Herz schlug wie wild und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Nicht weil sie wütend auf Yan Wanning war, dass sie sie zu Lei Qian drängte, obwohl sie das nicht wollte, sondern weil sie Yan Wannings Fürsorge für sie spürte.
Obwohl Yan Wanning und ihre Brüder wussten, dass ein Kampf gegen Lei Qian sie in Schwierigkeiten bringen könnte, waren sie dennoch bereit, es für sie zu tun. Es war ihnen egal, was mit ihnen passieren würde, solange sie nur ein gutes Leben führen konnte.
Und sie hatte sie für einen Idioten wie Bai Qingshi verlassen.
Sie hatte wie eine Kuh und ein Pferd für Bai Qingshi gearbeitet, und doch hatte dieser Mann nie daran gedacht, wie sie in Zukunft leben würde. Ihm war nur sein Bankkonto wichtig. Jedes Mal, wenn es unter einen bestimmten Stand fiel, zwang er Bai Meiyue, mehrere Projekte anzunehmen, und ließ sie nicht einmal ausruhen, wenn sie krank war.
Und dabei planten ihre Mutter und ihre Brüder so sorgfältig ihre Zukunft! Sie war in der Vergangenheit wirklich blind gewesen.
Wenn ihre Mutter und ihre Brüder an ihrer Seite gewesen wären, hätten sie und Bai Cai dann so gelitten? Mit der Fürsorge ihrer Brüder und ihrer Mutter wäre ihr Sohn sicher aufgewachsen.
„Schon gut, weine nicht.“ Als Yan Wanning ihre Tochter weinen sah, tat ihr das Herz weh. „Ich schimpfe nicht mit dir, ich will dir nur sagen, dass du vorsichtig sein musst mit deiner Zukunft. Es ist egal, was andere über dich denken.
Solange du genug zu essen hast und gut leben kannst, solltest du es tun.“
„Ich verstehe, Mama, ich werde darüber nachdenken“, sagte Bai Meiyue, ohne den Vorschlag ihrer Mutter zu bejahen oder abzulehnen, aber das reichte nicht aus, um die Sorgen von Yan Wanning und den beiden Bai-Brüdern zu zerstreuen.
Das ging so nicht, sie mussten mit Lei Qian über diese Angelegenheit sprechen.
Bai Meiyue wusste, dass sie immer noch vorhatten, mit Lei Qian zu sprechen, sagte aber nichts, um sie davon abzuhalten. Schließlich hatte sie längst bemerkt, dass Lei Qian nicht zu ihr kam, was bedeutete, dass er in die Wolkenstadt gefahren war, um seine Familie zurückzuholen.
Angesichts des herannahenden Taifuns und all der Dinge, die damit einhergehen würden, wäre es eine Überraschung gewesen, wenn Lei Qian so schnell zurückgekommen wäre.
„Mama, ich gehe ins Einkaufszentrum“, sagte Bai Meiyue, während sie über die paar Dinge nachdachte, die sie noch besorgen musste, und stand auf. „Soll ich dir etwas mitbringen?“
„Warum gehst du ins Einkaufszentrum?“, fragte Yan Wanning Bai Meiyue mit gerunzelter Stirn. „Es regnet so stark, überlass das deinen Brüdern.“
Aber Bai Meiyue schüttelte den Kopf und sagte mit ruhiger Stimme: „Mama, meine Brüder können diese Sachen nicht für mich kaufen. Keine Sorge, ich bin gleich wieder da.“
Und bevor ihre Mutter sie aufhalten konnte, stürmte Bai Meiyue aus dem Penthouse.
