Sylara blieb an der Lichtungsgrenze stehen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass sich der Boden unter ihren Füßen so lebendig anfühlen würde, dass die Wurzeln sich gerade so weit bewegten, dass sie ihr Gewicht spürte. Es war, als würde der Wald jeden Fremden, der seine Haut berührte, schmecken. Sie versuchte, sich nicht vorzustellen, wie sein Urteil ausfallen würde.
Über ihr verblasste die letzte Röte des Sonnenuntergangs zu Kobaltblau. Laternenmotten drehten träge Kreise zwischen den Ästen und warfen bernsteinfarbene Halbkreise über die Lichtung. Eine flatterte ihr zu nahe, sie zuckte zurück, ihr Herz setzte einen Schlag aus, bevor sie erkannte, dass sie harmlos war. Eine lächerliche Reaktion – sie hatte Razorbeaks aus der Hand gefüttert, ohne mit der Wimper zu zucken – und doch pochte ihr Puls wie der eines gefangenen Spatzen.
Draven machte den ersten Schritt, ohne sich zu beeilen, der Saum seines Mantels streifte das Moos, ohne ein Blatt zu rascheln. Die Elfen machten ihm Platz, wie die Nacht Platz macht für das Feuerlicht – ohne ein Wort, nur eine kollektive Bewegung, die damit endete, dass er auf einer niedrigen Matte in der Nähe des Feuerplatzes in der Mitte saß. Er saß mit gekreuzten Beinen und geradem Rücken, als würde die Anordnung seiner Gliedmaßen die Schwerkraft beeinflussen.
Sylara folgte ihm, aber langsamer. Jeder ihr angeborene Instinkt sagte ihr, sie solle die Schultern gerade halten und selbstbewusste Schritte machen. Leider fühlten sich ihre Beine seltsam steif an, und die tiefe Federung des Bodens verwandelte jeden Schritt in einen vorsichtigen Abstieg. Als sie die Matte neben Draven erreichte, ließ sie sich vorsichtig nieder, halb in der Gewissheit, dass das Moos sie verschlucken würde.
Hitze pulsierte aus einer flachen Grube, die von unbehauenen Steinen umgeben war. Es waren keine Flammen zu sehen – nur Kohlen, die unter Blütenblättern glimmten, anstatt zu brennen, und einen kupferfarbenen Duft verströmten. Der Rauch stieg senkrecht auf, von unsichtbaren Glyphen geleitet. Er trug Noten von Zeder, Anis und etwas Blumigem, das sie nicht benennen konnte.
Ihnen gegenüber ließen sich zwei Kriegstänzer in synchroner Anmut auf einer gegenüberliegenden Matte nieder. Ihre Rüstungen bestanden nicht aus Metall oder Leder, sondern aus mehreren Lagen blattgrauer Seide, die mit einem schwach honigfarbenen Faden vernäht waren. Sie legten ihre ungespannten Bögen auf die Knie, die Hände offen und ruhig – aber Sylara spürte ein Kribbeln auf der Haut, wo ihre Blicke sie berührten. Es fühlte sich an, als würde sie für einen Sarg vermessen werden.
Velthiri kam als Nächste und glitt durch die Versammlung, ohne die Luft zu bewegen. Sie trug keine Krone, kein Abzeichen ihrer Macht, außer der subtilen Komplexität ihrer Zöpfe, die zu Mustern geknüpft waren, die Sylara nur erahnen konnte. Die Priesterin nickte ihrem Volk knapp zu, dann Draven und schließlich Sylara, wobei sie ihre Wimpern leicht senkte. Nicht aus Respekt, sondern aus Anerkennung: Du existierst, mehr nicht.
Stahlschalen aus versteinerten Samenhülsen wurden von Hand zu Hand gereicht, jede mit einer Portion Wurzel-Eintopf in einer blassen Brühe. Sylara nahm ihre Schale mit einem leisen Dankeschön entgegen, das niemand wiederholte. Die Schale war warm und angenehm schwer. Sie hob sie an, atmete den sanften Duft der Gewürze ein und versuchte, nicht zusammenzuzucken, als keine Konversation folgte.
Die Stille hier war keine Abwesenheit, sie war Architektur. Lachen, belangloses Geschwätz, sogar das rätselhafte Räuspern, auf das sie sich verließ – nichts davon fand in der Stille Platz. Die Elfen kommunizierten mit Blicken und Gesten, die so sparsam waren, dass sie die Hälfte ihrer Bedeutung nicht verstand. Eine Neigung der Tasse, eine winzige Verbeugung des Kopfes: Befehle wurden erteilt, Zustimmung gegeben, ohne ein Wort. Sie stellte sich vor, wie viele Jahrhunderte es gedauert haben musste, um eine Sprache zu entwickeln, die fast wie Sprache war.
Etwas streifte ihr Bewusstsein. Ein Summen, leise wie ein Erdbeben, das man aus fünf Tälern Entfernung hört. Kein Geräusch. Mana. Jeder Elf strahlte es in unterschiedlichen Klangfarben aus – einer scharf und ansteigend wie geschlagenes Glas, ein anderer rund und tief wie Flusssteine, die in der Strömung rollen. Zusammen webten sie einen hörbaren Teppich, der auf ihre Sinne drückte. Es war nicht feindselig, doch die schiere Dichte der Kraft pochte an ihren Schläfen.
Ihre Finger um die Schüssel wurden taub. Sie stellte sie ab, bevor sie sich die Suppe über den Schoß schüttete. Das Zittern in ihrem Bein wurde schlimmer; sie spannte ihre Oberschenkelmuskeln an, bis sie krampften, aber das Zittern wanderte nur zum anderen Bein. Sie zog ihre Schutzbrille hoch, damit sie auf ihrem Haaransatz auflag, in der Hoffnung, dass eine klarere Sicht sie erden würde. Das tat es nicht.
Konzentriere dich auf Details, sagte sie sich. Katalogisiere. Analysiere.
Aber jede Beobachtung führte sie wieder zu derselben Erkenntnis: Sie war die einzige Maus in einem Parlament voller Eulen.
Zwei Sitze weiter beugte sich ein Ältester vor, um seinem Nachbarn etwas zuzuflüstern – nein, nicht zuzuflüstern, sondern lautlos zu sprechen. Beide warfen einen Blick auf ihre Hände und verharrten auf den schwachen Brandnarben, die wie Spitze über ihren Knöcheln verkrustet waren. Spuren von Unfällen mit Bindungsserum, Trophäen, die sie unter Alchemisten mit Stolz trug. Hier fühlten sich diese Narben wie Flecken auf Porzellan an.
Der junge Elf mit dem silbernen Dornenkranz bewegte sich. Mana flackerte um ihn herum – kühl, bedächtig – und Sylara stockte der Atem, wie bei einem Ertrinkenden, der auf die nächste Welle trifft. Ihre Haut kribbelte, jedes Haar stand zu Berge, als wäre es statisch aufgeladen. Sie schluckte trocken, versuchte, ihren Atem zu beruhigen, und brachte nur ein Würgen heraus.
Was ist los mit mir?
Ihr Blick schoss zu Draven. Er hatte sich mit der Gelassenheit von jemandem, der an Dutzenden von Höfen aufgewachsen war, an den Tisch gesetzt und schnitt Obst, das in schwachen Sternchen schimmerte. Seine Bewegungen waren einstudierte Zurückhaltung – nie mehr als nötig, aber immer ästhetisch präzise. Selbst die Art, wie er die Schale vom Fruchtfleisch trennte, schien von einem Professor für Höflichkeit choreografiert worden zu sein.
Ihm gegenüber saß ein älterer Lorekeeper, der ihn mit zusammengekniffenen Augen beobachtete, als würde jede Bewegung von Dravens Handgelenk einen Vers aus einer geheimen Schrift enthüllen.
Sylara wollte ihn mit dem Ellbogen anstoßen. Sie sehnte sich nach der vertrauten Trockenheit seines Sarkasmus, auch wenn dieser meist auf ihre Kosten ging. Stattdessen merkte sie, wie ihre Hände auf ihrem Schoß zitterten und ihr Atem stockte.
Eine dumpfe Angst flüsterte ihr ein, dass sie ihn blamieren würde – hier zusammenbrechen und damit alle Vorurteile der Elfen bestätigen würde. Dass die Fremde zerbrechlich war. Zerbrechlich.
Der Druck hinter ihren Augen stieg, eine Migräne setzte ein. Sie blinzelte, erwartete Tränen, fand aber keine. Schweiß benetzte die Innenseite ihrer Handschuhe. Sie griff erneut nach ihrer Tasse, schaffte es aber nicht, ihre Finger ruhig genug zu halten, und zog sie zurück.
In diesem Moment sprach Draven. Ein einziger Satz, leise, aber in der Stille unüberhörbar. Er zerschnitt die Luft wie ein Skalpell.
„Es ist ihre Mana“, sagte er, ohne den Blick von der Frucht zu nehmen. „Du bist nicht schwach. Du bist von Ozeanen umgeben.“
Sie blinzelte heftig, als könnte sie durch das Zurücksetzen ihrer Sicht auch den Rest ihrer durcheinandergebrachten Sinne zurücksetzen.
Das Moos unter ihren Handflächen fühlte sich plötzlich kühl und angenehm an, aber ihre Fingerspitzen zuckten immer noch. Ein Dutzend Gespräche, die sie nicht hören konnte, hallten am Rand der Lichtung wider – leise Ausatmungen von Elharn-Silben, das Klopfen geschnitzter Utensilien gegen die Rinde. Jeder Ton kam schärfer als der vorherige, als hätte die Welt die Distanz zwischen ihren Ohren und allem anderen geschlossen.
Ihr Blick huschte zu dem jungen Elfen mit dem silbernen Dornenkranz. Noch einen Moment zuvor hatte seine Anwesenheit ihre Gedanken wie eine Flutwelle bedrückt. Jetzt ließ der Druck nach, als hätte jemand ein Fenster geöffnet, um die Last entweichen zu lassen. Er bemerkte die Veränderung, runzelte die Stirn, und ein schwacher Schimmer blitzte aus dem Kranz, bevor er erlosch.
Sylara testete ihre Lungen. Sie füllten sich, leerten sich, füllten sich wieder – gleichmäßig, gehorsam. Der Schweiß über ihrem Schlüsselbein kühlte in der Abendbrise. Sie spannte ihre Waden an: kein Zittern. Sie wünschte, sie könnte es ihrer Willenskraft zuschreiben, aber die Wahrheit saß neben ihr und kaute mit ärgerlicher Ruhe.
„Das warst du“, flüsterte sie.
Draven schaute nicht zu ihr hin. Eine subtile Schulterbewegung unter seinem Mantel. „Verankert“, wiederholte er mit leiser Stimme, sodass die Glühwürmchen, die durch die Laternenstrahlen flatterten, ihn nicht hören konnten.
„Wie?“
„Ich habe mein Feld verschoben. Ich habe mich an die stärkste Strömung angepasst und dann die Signatur an den Rändern umgekehrt. Ein einfacher Resonanztrick.“
„Klar“, murmelte Sylara. „Ganz einfach. Wie Wasser atmen.“