Die Heckenwand faltete sich auseinander wie ein Vorhang aus Atem und Blättern. Ein vorsichtiger Schritt trug Draven Arcanum – der den Namen Dravis trug – in die Stille dahinter, und die Öffnung schloss sich hinter ihm mit einem feuchten Seufzer, wodurch das Licht gedämpft wurde, als sich die lebende Rinde wieder zusammenfügte. Seine Stiefel versanken einen Fingerbreit im Lehm.
Vor ihm hatten sich Wurzeln zu unebenen Stufen verflochten, deren Rundungen durch Jahrhunderte von Moos weich geworden waren. Flechtenstränge hingen wie vergessene Gedanken herab und streiften Sylvannas Kapuze, als sie ihm hinterherglitt. Sie atmete tief aus und beschlug die kalte Luft, die aus jedem Baumstamm sickerte.
Keiner von beiden hatte Zeit, das Geflecht aus ineinander verschlungenen Ästen über ihnen zu betrachten – eine gewölbte grüne Decke, die von geduldigen Jahrhunderten geformt worden war –, denn der Wald selbst atmete ein.
Kein Vogelruf, kein Rascheln, doch etwas hatte sich verändert. Die Stille wurde zu Spannung. Holz knarrte. Bogensehnen zischten.
Dravens Blick schoss nach oben. Auf erhöhten Wurzelpfaden tauchten Silhouetten auf: große Gestalten, gehüllt in dämmerungsfarbene Gewänder, Langbögen zu einem Halbmond gespannt. Mondblasse Augen funkelten zwischen blattgerahmten Masken.
Breitblättrige Kampferbäume verdeckten ihren Geruch, aber nicht ihre Absicht. Er zählte acht auf dem linken Bogen, neun auf dem rechten, drei weitere kauerten hinter dem verdrehten Baumstamm vor ihm – wahrscheinlich eine ganze Truppe, genug, um einen Höhlenlöwen mit einer Salve zu erlegen.
Sie sprachen zuerst in dem scharfen Dialekt der Elharn, die Konsonanten klangen wie zerbrechendes Glas. Draven verstand vielleicht die Hälfte; den Rest ergab der Kontext. Eindringlinge. Halten. Ein einziger Befehl.
Sylvanna stockte der Atem. Instinktiv griff sie nach dem Bogen auf ihrem Rücken, ihre Fingerspitzen streiften die Federn. Draven streckte die linke Hand aus – nicht nach seinen eigenen Klingen, sondern nach ihrem Handgelenk, eine stille Aufforderung: still.
Er hob die rechte Handfläche und zeigte, dass sie leer war, obwohl sein Daumen nahe der Parierstange des näheren Schwertes schwebte. Eine Haltung, die mehr Disziplin als Bedrohung versprach.
Seine Stimme war gerade laut genug, dass jeder sie hören konnte. „Ich bin Dravis, ein Abenteurer“, erklärte er, jedes Wort abgewogen, seine Handelssprache mit einem Hauch von Elharn-Klang, um Höflichkeit zu zeigen. „Sie ist Sylara. Wir haben geholfen, den Schmerz eures Hains zu stillen.“
Das Blätterdach zitterte, als alle gleichzeitig Luft holten. Blätter raschelten. Dann kam eine Antwort – leise, kalt, mit scharfem Akzent: „Schmerz spricht. Schwerter antworten. Beide schneiden.“
Draven analysierte die Aussage: Eure Worte werden nichts ändern. Doch die Pfeile blieben in den Köchern, wurden nicht abgeschossen. Der Verhandlungsspielraum war hauchdünn, aber vorhanden.
Er machte einen kleinen Schritt nach vorne. Die Bogenschützen folgten seiner Bewegung und passten ihre Ziele an. Bei dieser winzigen Bewegung verlagerte Sylvanna ihr Gewicht hinter ihm; er spürte eher als dass er sah, wie sie sich zusammenrollte und zum Sprung ansetzte. Er neigte seinen Kopf ein kleines bisschen. Gehorsam blieb sie stehen – ihre Bogensehne noch halb gespannt, bereit, falls die Situation eskalierte.
Der Ring der Bogenschützen hielt seine Position. Die Stille verdichtete sich, bis Schritte auf der Rinde über ihnen raschelten. Hinter einem mit leuchtenden Ranken umrankten Baumstamm stieg eine einzelne Elfe herab. Sie ging eine schmale Rampe hinunter, die direkt aus dem lebenden Holz gewachsen war, und trotz der Höhe war jeder ihrer Schritte geräuschlos. Autorität prägte die Luft um sie herum; sogar die Blätter schienen sich von ihr abzuwenden.
Velthiri.
Ihre Haut hatte die Farbe von Winterrinde, blass und glatt, während ihr silbernes Haar wie gefrorener Regen aus einem einfachen Knoten fiel. Über ihrer Brust lag eine zeremonielle Schärpe – so dunkelgrün, dass sie das Lampenlicht schluckte – bestickt mit Symbolen, die Draven aus Abhandlungen über elfische Rechtsprechung kannte. Sprecherin. Wächterin. Richterin. Verantwortungsbereiche, die älter waren als manche Königreiche.
Sie musterte Draven zuerst, studierte seine Schultern, den festen Griff um sein Schwert. Ihre frostigen Augen, hell wie Kerzen, verengten sich berechnend, bevor sie zu Sylvanna wanderten. Die Tierbändigerin hielt ihrem Blick mit erhobenem Kinn stand, aber Velthiri sah, wie ihre Knöchel an dem Bogen weiß wurden.
Velthiris Urteil kam als ein einziger Befehl: „Geh.“
Draven neigte leicht den Kopf und gehorchte. Sylvanna folgte ihm mit halbem Abstand, jede Faser ihres Körpers angespannt. Die Bogenschützen verschwanden in den Baumkronen und begleiteten sie wie stille Raben aus der Höhe.
Der Weg schlängelte sich nach oben und gab langsam den Blick auf Verenthal frei. Zuerst tauchten Behausungen auf, die in Platanenstämme gehauen waren und groß genug waren, um eine Burg zu beherbergen. Balkone breiteten sich wie Blütenblätter aus und waren durch Brücken aus geflochtenen Wurzeln und Ranken verbunden, die sich wellten, aber nie schwankten. Laternen aus Sporen schwebten in Glaskugeln und warfen violette Halos. Der Duft von Zedernharz und abgekühltem Saft durchdrang alles.
Dravens Blick nahm alle Details auf – Verteidigungsstellungen an Astkreuzungen, versteckte Schießscharten entlang knorriger Bollwerke, das Fehlen offener Plätze. Eine Architektur für Hinterhalte, nicht für den Handel. Alle Erwachsenen, an denen sie vorbeikamen, blieben stehen und schauten mit leuchtenden Augen und verschlossenen Gesichtern zu. Keine leisen Stimmen, keine trippelnden Füße – Kinder, schloss er, wurden tiefer im Dorf versteckt, als Außenstehende jemals vordringen würden.
Eine Ebene höher trafen zwei große Bäume aufeinander und verschmolzen zu einem einzigen Baumstamm mit einem gemeinsamen Herzen. Hier hielt die Eskorte an. Konzentrische Wasserrinnen umgaben eine Lichtung, jeder Kanal war nicht breiter als eine Hand, leuchtete jedoch schwach blaugrün, und über der Oberfläche wirbelte eine magische Tinte. Draven vermutete, dass es böse enden würde, diese Ringe ohne Erlaubnis zu überqueren.
Der Raum war weder ein Käfig noch eine Willkommensmatte – ein liminaler Gerichtshof.
Die Nacht brach herein. Anstelle von Fackeln leuchteten über ihnen Ranken von innen auf und pulsierten wie langsame Herzschläge. Schatten tanzten über Velthiris Wangen, als sie ihnen mit verschränkten Armen gegenüberstand. Zwei Wachen an ihren Flanken hoben ihre Bögen halb an, die Pfeile eingelegt, aber diszipliniert.
Sylvanna verlagerte ihr Gewicht, wie ein Raubtier, das sich zum Sprung bereitmacht. Draven hob das Kinn und lenkte die Aufmerksamkeit wieder auf sich.
Velthiris Stimme drang leise durch die Stille, sanft wie schmelzender Schnee, aber nicht weniger kalt. „Wir akzeptieren keine ‚Abenteurer‘.“
Draven zuckte nicht mit der Wimper. „Du hast den Schmerz akzeptiert.“
„Die Absicht zählt“, antwortete sie, wobei jede Silbe wie ein Mosaiksteinchen klang. „Das Blut auch.“
Die Worte hingen in der Luft, scharf wie Eiszapfen, die darauf warteten, herunterzufallen.
Dravens Augen, blass wie angelaufenes Silber, verfehlte kein Zittern, kein Flattern einer Bogensehne. Im schwachen Licht der Biolumineszenz fingen die Runen an seinen Handgelenken kurz das Licht ein, bevor er seinen Puls beruhigte. Er maß seinen Atem und wartete auf den genauen Moment, in dem die Spannung zu zerreißen drohte.
Und stoppte sie einen Herzschlag zu früh.
Nicht aus Güte. Aus Kalkül.
Er ließ drei Sekunden Stille verstreichen, dann nickte er einmal, entschlossen – weder Zugeständnis noch Herausforderung, lediglich die Anerkennung, dass ihre Bedingungen wie eine gezückte Klinge vor ihm lagen.
„Ich habe deines nicht vergossen“, sagte Draven.
Velthiris Antwort kam so leise wie fallende Asche. „Nein. Aber andere trugen deine Haut und taten es.“
Der Satz legte sich wie frischer Frost auf die Lichtung – lautlos, unbestreitbar. Einer der Wachen neigte seinen Bogen einen Millimeter nach links; die Spannung in der Sehne war so laut, dass Sylvanna sie hören konnte. Ihre Schultern versteiften sich, ihr Atem stockte, als hätte jemand ihre Rippen mit einer Hand umklammert. Sie begann, ihre Haltung zu verändern – bereit, sich dazwischenzustellen oder zu ziehen, er konnte es nicht sagen.
Draven schnippte mit zwei Fingern hinter seinem Rücken, ein stiller Befehl: Halt.
Er sprach, bevor der nächste Herzschlag in Gewalt ausartete. „Wir sind nicht gekommen, um zu erobern“, sagte er mit einer Stimme, die so ruhig war, dass sie die Schärfe darunter fast übertünchte. „Oder aus Mitleid. Wir sind gekommen, um Wissen zu suchen. Ausgewogenheit.“
Der Wind strich durch die oberen Blätter und trug den schwachen Duft von zerkleinerten Kiefern mit sich. Velthiri neigte den Kopf wie eine Eule – präzise, fast mechanisch. „Ausgleich?“, wiederholte sie und kostete das Wort, als wäre es bittere Rinde. „Nennst du das, was unter deinem Umhang schlummert?“
Draven warf keinen Blick auf den Samen der Erneuerung, der schwach über seinem Brustbein pulsierte. Sein Puls schlug ruhig, genau wie er es beabsichtigt hatte.
„Erinnerung“, antwortete er. Mehr nicht.
Velthiri trat näher, so nah, dass das nächtliche Licht der Laternen an den Wänden ihre Wangenknochen silbern schimmern ließ. Ihr Blick wanderte zu Sylvanna und blieb auf der Bogensehne hängen, die trotz Dravens stiller Aufforderung noch immer halb gespannt war. „Und sie?“, fragte die Priesterin mit leiser Stimme. „Sie riecht nach Stürmen, die in Käfigen gefangen sind.“
Sylvannas Kiefer spannte sich an. Ihre bernsteinfarbenen Augen, die selbst in der blauen Dunkelheit hell leuchteten, trafen Velthiris Blick, ohne zu zucken. Sie ließ die Anschuldigung unausgesprochen und sagte nichts. Draven wusste, dass Schweigen manchmal die einzige ehrliche Rüstung war.
Die Priesterin hob leicht die Augenbrauen; sie hatte Trotz erwartet, vielleicht Ausreden. Als sie beides nicht bekam, wandte sie sich wieder Draven zu. Er spürte ihren prüfenden Blick wie kalte Nadeln unter seinem Kragen – sie maß seine Größe, seine Haltung, die feinen Verzierungen auf seiner linken Klinge, die jetzt an seiner Hüfte zu sehen war.
„Nicht jedes Monster wird aus Hass erschaffen“, sagte er leise. „Manche werden aus Not geboren.“
Velthiris Lippen pressten sich aufeinander. In ihren Augen blitzte eine Erinnerung auf – ein Funken Trauer, den sie nicht mit Fremden teilen wollte. „Not hat den Blutwald zu Asche gemacht“, sagte sie.
Der Name hallte wie eine Totenglocke über die Lichtung. Sogar die Bogenschützen oben bewegten sich und senkten ihre Pfeile, als würden sie vom Echo gebeugt. Draven hielt ihrem Blick stand. „Ich weiß“, sagte er.
Es folgte eine Pause – niemand wagte es, zu laut zu atmen. Die Blätter über ihnen raschelten wie ferne Wellen, ein leises, endloses Geräusch. Dann entspannten sich Velthiris Schultern um ein Seufzerbreit. Sie machte noch einen bedächtigen Schritt, bis die Spitzen ihrer Elchlederstiefel fast den Runenring berührten, der schwach in den Boden der Plattform eingeritzt war.
„Weißt du“, fragte sie mit kaum hörbarer Stimme, „was es bedeutet, Verrat zu überleben?“
Dravens Antwort war ein einziges Wort, scharf wie eine Klinge. „Ja.“