Roots spürte seine Absicht und rebellierte – er wand sich und bäumte sich unter seinen Stiefeln auf, um ihn zu Fall zu bringen. Erinnerungsphantome schossen wie geworfene Schleier aus der Luft hervor: Roth, der sich über einen brennenden Kartentisch beugte, die Augen voller Wut; Clara, die mit geisterhaft blassen Fingern nach ihm griff; ein Haufen Studenten aus seinen Ingenieurvorlesungen, deren Gesichter zu Vorwürfen verschmolzen. Jedes Gespenst rang um seine Aufmerksamkeit.
Er ignorierte sie alle.
Sylvannas nächster Pfeil zischte an Dravens Ohr vorbei, die Federn streiften den Rand seiner Kapuze. Der Pfeil zerbrach mitten im Flug in drei Teile, von denen jeder ein anderes Phantom durchbohrte, das sich ihm in den Weg gestellt hatte – eines hatte die Gestalt von Roths finsterem Gesicht, ein anderes trug Claras lauten, stummen Schrei, das letzte war ein namenloser Student, der verbrannte Vorlesungsunterlagen umklammerte.
Die Illusionen zerplatzten wie Seifenblasen und die Splitter lösten sich auf, bevor sie den Boden erreichten. Jeder Treffer verschaffte Draven einen halben Herzschlag – genug Zeit, um mit den Stiefeln Halt in dem wirbelnden Gewirr von Wurzeln unter ihm zu finden.
Die riesige Arterienwurzel bäumte sich auf und wand sich, ihre kristallinen Adern pulsierten mit verdorbenem Licht. Draven kletterte trotzdem weiter und benutzte abgebrochene Äste als Sprungbretter.
Saft benetzte seine Handschuhe, aber er nutzte die Gefahr zu seinem Vorteil und rutschte über einen hervorstehenden Knoten, um Schwung zu holen. Erinnerungsstränge peitschten aus dem Hauptkörper des Seelenschweißers und jagten ihn wie Stachelpeitschen; seine Schwerter trafen sie in engen Bögen, umgekehrten Halbmonden, die die Stränge knapp vor seiner Wirbelsäule durchtrennten. Jeder Schnitt fühlte sich an, als würde er die Gitterstäbe eines rostigen Käfigs zerbrechen – rostig nicht von Eisen, sondern von Trauer.
Aus der Nähe war die Wurzel breiter als ein Burgtreppenhaus. Blassgoldener Saft floss sichtbar unter der durchscheinenden Rinde und pulsierte im Rhythmus des schwankenden Herzschlags des Hains. Draven’s Atem bildete in der Kälte Nebel, und der Saftdampf stieg in schimmernden Hitzewellen auf. Die beiden Temperaturen trafen aufeinander und funkelten in winzigen Bögen aus statischer Mana, die auf seiner bloßen Haut stachen.
Hinter ihm kreischte der Seelentransplantierer, ein Geräusch, das aus hundert verschiedenen Kehlen zu kommen schien. Der Dämon hatte endlich sein Ziel erkannt. Die Ranken fielen zurück in seinen Kern und verbanden sich zu einem riesigen Speer aus erstarrten Erinnerungen. Entlang seiner Länge tauchten Gesichter auf – Cort, Clara, die Richter des Tribunals – alle in stummer Wut verzerrt. Der Speer schoss mit der Wucht eines Belagerungsbolzens auf Draven zu.
Zu spät.
Er war bereits in Bewegung. Eine Klinge verschwand in seinem Rücken, die andere blieb in umgekehrter Griffhaltung und kanalisierte Kraft. Er stemmte einen Fuß auf die lebende Wurzel, sammelte seine Willenskraft und schickte eine Welle von Mana in das Runengeflecht, das entlang der Hohlkehle seines Schwertes eingraviert war.
Der Stahl antwortete mit einem tiefen, hallenden Summen und vibrierte so schnell, dass die Luft um ihn herum in Wellen verschwamm. Funken tanzten entlang der Klinge – helle Teilchen, die aus der Hitze selbst gerissen waren.
Er hob die Waffe über seinen Kopf, in einem präzisen Winkel, die Handgelenke gestreckt. Der Speer der Erinnerungen schlug herab. Anstatt abzuwehren, drehte sich Draven um.
Der Speer prallte von der Außenkante der Klinge ab und schrammte so nah an seinem Ohr entlang, dass er ihm zwei Haare abschnitt. Durch die Ablenkung schlug der Speer in eine kleinere Wurzel hinter ihm ein, wo er in einer Explosion aus zerbrochenen Erinnerungen und violetten Flammen detonierte. Heulen hallte wider, das fast sofort von der gähnenden Stille der Höhle verschluckt wurde.
Jetzt war der Weg frei. Er drückte die vibrierende Klinge flach gegen die Oberfläche der Wurzel. Die Resonanz drang in das Holz ein und ließ die Kristalladern wie Glas unter einem nassen Finger singen. Der Saft zitterte, und an für das Auge kaum sichtbaren Rissen bildete sich Schaum. Draven riss die Klinge in einer engen, bösartigen Spirale – nicht breiter als seine Schultern – und wickelte die geschichtete Maserung der Wurzel von außen nach innen ab.
Der Schnitt war elegant und kontrolliert, aber das Ergebnis war katastrophal.
Goldener Saft spritzte wie ein Geysir, durchnässte seinen Mantel und zischte gegen den Stahl. Wo die Tropfen auf seine nackte Haut trafen, brannten sie wie geschmolzener Zucker – süß duftend, wild heiß. Draven biss die Zähne zusammen und ignorierte den Schmerz. Er sprang zurück, als die arterielle Wurzel zu zucken begann.
Für einen Moment kehrte sich die Schwerkraft um; der Höhlenboden neigte sich zur Seite, und alle Gewichtsempfindungen drehten sich um ihn herum. Bäume, die an der Decke verwurzelt waren, verbogen sich in unmöglichen Richtungen, Blätter zerfetzten sich zu spiralförmigen, glühenden Pulpen. Die Luft selbst schrie, ein hoher, schriller Pfiff, als der Druck abfiel.
Flammen leckten den Saum seines Umhangs – Rückzündungshitze aus gerissenen Manaleitungen –, aber der Stoff war mit Runen behandelt und glimmte nur, anstatt zu brennen. Er drehte sich in der Luft, verwandelte einen chaotischen Sturz in eine kontrollierte Rolle und schlug mit der Schulter auf den Steinboden auf. Der Schwung trug ihn noch zwei Umdrehungen weiter, bevor er mit einem Stiefel aufkam und in einer hockenden Position zum Stehen kam.
Beide Schwerter waren in Abwehrstellung, bereit für alles, was aus dem Rauch kommen würde.
Der Körper des Seelenschweißers konnte seine Form nicht halten. Die durchtrennte Wurzel hungerte nach ihrer Verbindung zu den Erinnerungen des Hains, und ohne dieses Reservoir zerfiel der Dämon wie verrottete Seide. Er zerbrach entlang unsichtbarer Nähte; Erinnerungen quollen aus zerrissenen Taschen – halbfertige Wiegenlieder, Schlachtgeschrei, Flüstern von Liebenden.
Jedes Fragment verlor seinen Zusammenhalt und flackerte zu grauem Staub, bevor es den Boden erreichen konnte. Gesichter lösten sich: Claras verblasste als erstes, ihre Lippen formten einen stillen Abschiedsgruß; dann Cort’s, seine Augen weit aufgerissen, eher vor plötzlicher Erleichterung als vor Schmerz; schließlich spritzte die schwarze Leere in seiner Mitte und implodierte, von der zusammenbrechenden Matrix seines Wirts nach innen gesaugt.
Asche stieg in einem langsamen Wirbelwind auf und glitzerte im biolumineszenten Licht des Saftes. In dieser Stille schien die gesamte Höhle einzatmen, als ob sogar der Stein spürte, wie die Infektion nachließ. Dann kam ein leiser Knall – das Geräusch, als das Gleichgewicht wiederhergestellt war – und Heart Hollow kam zur Ruhe.
Keine Ranken mehr. Keine Schreie mehr. Nur noch das langsame Tropfen des Saftes, der jetzt dick und golden war.
Draven wischte sich mit dem Handrücken von der Stirn. Eine Brandwunde zog sich über seine Wange, wo Baumsaft gespritzt war und schon bernsteinfarben verkrustet war. Er steckte sein erstes Schwert in die Scheide und schob das zweite mit Bedacht hinein – Metall traf auf Leder und gab ein seidiges Knirschen von sich. Jede Bewegung war langsam und bedächtig, ein Ritual, um dem Körper zu signalisieren, dass die Gefahr vorüber war, auch wenn der Verstand daran zweifelte.
Auf der gerade beruhigten Lichtung kroch Sylvanna keuchend über eine umgestürzte Wurzel. Ihr Umhang war am Saum zerrissen, ein Ärmel völlig zerfetzt und gab den Blick frei auf eine Reihe von Striemen, die ihr die Gedächtnisranken zugefügt hatten, bevor der Grafter auseinandergefallen war. Sie spürte die neue Stille und ihr Gesichtsausdruck verriet ihre Ungläubigkeit. Ihre Augen suchten nach weiteren Bedrohungen, fanden aber keine und blieben dann auf Draven haften.
Er richtete sich auf, sein Arm war steif, aber funktionsfähig, und streckte ihr seine Hand über die Lücke entgegen. Die Handfläche nach oben – eine Einladung, kein Befehl.
Sylvanna zögerte, Misstrauen und Dankbarkeit kämpften in ihr. Schweiß hinterließ schlammige Streifen auf ihrer Wange; ein Pfeilschaft zitterte noch immer in ihrem linken Handschuh, wo sie eine imaginäre Klinge abgewehrt hatte. Schließlich streckte sie die Hand aus und verschränkte ihre Finger mit seinen. Sein Griff war kühl und fest, und er zog sie mit einer sanften Bewegung auf die Beine. Als sie schwankte, stützte er sie nicht weiter, sondern ließ sie ihr Gleichgewicht selbst finden und respektierte so ihren Stolz.
Um sie herum atmete der Hain erneut auf, diesmal vor Erleichterung. Risse in der Rinde wuchsen zusammen, goldener Saft floss nicht mehr in hektischen Strömen, sondern tropfte langsam und gesund wie Honig, bevor er vollständig versiegte. Kristalladern verloren ihren fiebrigen Glanz und nahmen wieder ein ruhiges Blau an. Über ihnen entfalteten sich Blätter und tauschten ihre verbrannten Ränder gegen zartes Grün. Eine Brise, die in einer unterirdischen Höhle unmöglich sanft sein konnte, wehte den Duft frischer Erde und fernen Regens herbei.
Sylvanna atmete tiefer ein – kein Moder, kein Schwefel, nur lebendes Holz und der schwache Duft von blühendem Moos. „Es ist … anders“, flüsterte sie mit rauer Stimme.
Draven nickte nicht, aber seine Schultern entspannten sich zum ersten Mal seit dem Betreten des Hains. Gesammelte Daten: keine feindlichen Manaspitzen, Wurzelfluss tendiert zum Gleichgewicht, Temperatur steigt um zwei Grad – Anzeichen für eine systemische Heilung.
Dennoch blieb sein Blick auf die Tunnelmündung hinter dem Herzbaum gerichtet. Eine schwache Vibration lag in den Steinen, zu subtil für normale Sinne – etwas, das sich zurückzog oder sich vielleicht an anderer Stelle für einen neuen Angriff bereitmachte.
Das war ein Symptom, nicht die Ursache.
Etwas anderes regte sich außerhalb dieser Mauern – er konnte spüren, wie es seinen Blick über den nun stillen Wald gleiten ließ, berechnend, anpassend.
Er bewegte seine behandschuhten Finger, als würde er ein unsichtbares Werkzeug kalibrieren, und spürte, wie sich der Puls der Welt neu ausrichtete: ein leiseres Pochen, aber weitreichend, weit über die Grenzen des Hains hinaus. Eine größere Bühne, als er geplant hatte, aber unvermeidlich.
Hinter ihm knackte ein Zweig – nur der Saft, keine Gefahr –, doch Sylvanna war immer noch angespannt, Restadrenalin knisterte in ihren Gliedern. Er neigte sein Kinn, murmelte: „Atme“, und sie gehorchte, ihre Schultern entspannten sich langsam.
Goldene Staubkörnchen schwebten zwischen ihnen, setzten sich auf verbranntem Stoff und verwandelten Löcher in funkelnde Nähte. Der Hain beglich seine Schulden schnell.
Draven lauschte noch einen Moment, um sicherzugehen, dass keine versteckten Fallen auf sie warteten, dann steckte er seine Schwerter mit derselben Sorgfalt weg, die er ihnen entgegengebracht hatte. Der Kampf war vorbei. Die Bewertung abgeschlossen. Ein neuer Kurs musste festgelegt werden.
„Der Wald hat aufgehört zu schreien“, sagte er leise, sodass nur sie ihn hören konnte. Ein Versprechen und eine Warnung. „Jetzt wird die Welt zuhören.“