Die Luft war schwer, ein feuchter, nach Harz riechender Druck, der unter die Rüstung kroch und sich wie ein stilles Urteil auf die Lungen legte. Jede Wurzel in der Lichtung schien sich nach innen zu neigen, die Poren der Rinde weiteten sich, als wollten sie jeden Herzschlag schmecken. Pollenpartikel schwebten regungslos zwischen den Gestalten, glitzerten im grünlichen Schein der Runen auf dem Käfig und ließen jeden Atemzug wie sichtbare Gedanken erscheinen.
Als der Älteste mit der verbundenen Augen seine mit Rinde umwickelte Hand hob, wurde es absolut still – kein Flügelrauschen, kein Blätterrascheln, nur das leise Heulen der Magie, die sich durch die Ranken zog. Selbst Sylvanna, die sich selten stillhielt, spürte, wie ihr Puls langsamer wurde, gezwungen durch die Schwere seiner unausgesprochenen Autorität.
„Sprich“, sagte er schließlich mit so leiser Stimme, dass die Silben eher aus dem Boden als aus seinem Mund zu kommen schienen. „Aber wisse, dass dieser Hain nicht nur mit den Ohren lauscht, sondern auch mit den Wurzeln, mit dem Atem, mit dem Urteilsvermögen.“
Draven trat vor, bis das innere Licht der Barriere seinen Mantel in leuchtende Nähte tauchte. Er bewegte sich ohne Eile, die Schultern gerade, den Kopf gerade so weit angehoben, dass er jeden Winkel der Bogensehnen und jeden Zauberbogen um sich herum zu messen schien. Hinter seiner Ruhe arbeitete sein Verstand wie die Drehbank eines Waffenschmieds – er katalogisierte Pulsfrequenzen, stufte Bedrohungen ein und notierte, wie die Aura jedes Elfen anschlug oder verblasste, wenn ihr Ältester sprach.
„Ich bin wegen der Dämonen hier“, sagte er.
Die Worte fielen wie Feuer auf Zunder. Ein Schauer durchlief die versammelten Elfen: Moosbewachsene Helme neigten sich nach hinten, Kristallarmschienen blitzten auf, und irgendwo außerhalb des Kreises schrie ein versteckter Vogel, bevor er verstummte. Die Barriere gab ein leises statisches Zischen von sich, als würden sich die Zaubersprüche selbst vor dem Namen zurückziehen.
Sylvanna riss den Kopf zu ihm herum und öffnete alarmiert die Lippen. Sie kannte seine Art – kontrollierte Enthüllungen, niemals leichtsinnige Provokationen – und doch hatte er sich für die direkteste Vorgehensweise entschieden. Ihre Hand schwebte eher reflexartig als absichtlich über dem Ledergriff ihres Bogens.
Ein Blatt knisterte unter den Füßen, als ein großer Wachposten seine Haltung änderte. Mehrere andere pressten ihre Handflächen auf den Boden und lasen die Wurzeln, um Rat zu suchen. Der Älteste bewegte sich nicht, aber sein Atemrhythmus änderte sich – er wurde etwas langsamer, wie ein Weiser, der in einem Sturm seine Herzschläge zählt.
Dravens Blick blieb auf dem verbundenen Gesicht haften. „Die Korruption in deinen unteren Wurzeln, die fehlgeschlagenen Schlafzauber, Drachen, die als Hunde statt als Wächter losgeschickt wurden – jemand hat deine Verteidigung umprogrammiert. Du wurdest nicht überwunden, du wurdest sabotiert.“ Er ließ das letzte Wort kalt wie Mitternachtsstahl nachhallen.
„Ich werde das korrigieren.“
Flüstern ging durch den Kreis – wie trockene Blätter, die über Stein rascheln. Einige klangen neugierig, die meisten ungläubig. Sylvanna, die Gesichtsausdrücke so lesen konnte wie den Wind in Pfeilfedern, sah Hoffnung in einigen Gesichtern aufkeimen und Wut in anderen.
Ein junger Krieger trat vor, seine glänzenden Schulterpanzer reflektierten das Licht der Laternen. Seine Augen waren klar und blau wie eine Quelle, doch nun wurden sie hart wie Eis. „Warum sollte ein Fremder sich um unsere Korruption kümmern?“ Seine Stimme klang leicht zornig, aber es war der Zorn eines verwundeten Wolfes, nicht der eines in die Enge getriebenen.
Bevor Draven antworten konnte, meldete sich eine schlanke Wächterin zu Wort, ihre Stimme dünn, aber bestimmt. „Er geht, als würde er sich an Dinge erinnern, die wir vergessen haben.“
Das brachte ihr einen scharfen Blick des ersten Herausforderers ein. „Oder er ist einfach ein cleverer Lügner“, erwiderte dieser.
Dann meldete sich ein Dritter mit einem anderen Tonfall – nicht defensiv, sondern eher nachdenklich. „Seine Aura. Sie passt nicht zu einem Menschen. Auch nicht zu einem Elfen. Sie klingt wie ein vielschichtiger Gesang. Zu tief für beides.“
Die Stille, die auf die Einschätzung des Webers folgt, ist so dick, dass man sie fast schmecken kann.
Der Geruch von Baumsaft und roher Mana vermischt sich in der stickigen Luft; irgendwo über ihnen löst sich ein einzelnes Blatt von einem alten Ast und dreht sich spiralförmig nach unten, bleibt an dem leuchtenden Käfig hängen und zerfällt dann in einem Funkenregen. Draven verfolgt die fallende Glut mit einem Augenwinkel – er misst die windstillen Strömungen und bemerkt, dass sogar die Schwerkraft sich in dieser Lichtung vorsichtig verhält, als hätte der Hain selbst Angst, die Stille zu brechen.
Ihm gegenüber senkt die Weberin mit der Linse ihre Scheibe ein wenig. Lebendige Rindenstreifen, die sich fest um ihre Handgelenke winden, spannen sich erneut, als Reaktion auf ihre wachsende Unruhe. Sie ist jung – nach Elfenmaßstäben kaum älter als hundert Jahre –, doch ihre Hände zittern wie frostbedeckte Blütenblätter. Was auch immer sie in der Seelenholzlinse gesehen hat, hat ihre Gewissheit erschüttert.
„Von Schatten umgeben“, wiederholt sie leiser, fast zu sich selbst. „Und wie eine Schlange um einen Herd gewunden. Schlafend, aber bereit.“
Draven lässt die Worte über sich hinweggleiten, ohne eine äußere Reaktion zu zeigen. Innerlich speichert er jeden Satz – beschattet, gewunden, kein Dämon – und vermerkt sie in seinem geistigen Notizbuch, wo er sie neben anderen Beobachtungen ablegt: die leichte Verzerrung der Barriere, wenn einer der älteren Wächter Mana aufbaut, die Art, wie der Pollen trüb wird, wenn Sylvannas Puls steigt, die mikroskopisch kleinen Haarrisse, die jedes Mal in einer entfernten Säule erscheinen, wenn die Warden-Born außerhalb der Lichtung ihre Position wechseln.
Winzige Hinweise. Alles Teil eines Musters.
Vaelarien steht wackelig auf, seine Verletzungen machen ihm noch immer zu schaffen. „Sie haben die Prüfungen des Hains bestanden“, beharrt er, jetzt lauter, seine Überzeugung wächst mit jedem rauen Atemzug. „Sie haben für jeden Schritt nach vorne geblutet, doch sie gehen weiter voran. Das allein unterscheidet sie von Eindringlingen.“
Ein flüchtiges Nicken – zu schnell, um als Zustimmung zu gelten – geht durch zwei der Wachen am Rand. Die anderen bleiben regungslos stehen. Die Rindenpanzer knarren, als sich die Spannung in den lebenden Platten zusammenzieht; die Blumen an den Schulterklappen schließen sich wie Fäuste. In dem engen Kreis der Zuschauer wirkt jede Bewegung verstärkt, wie eine Note inmitten eines heiligen Akkords.
Sylvanna macht einen halben Schritt, nicht genug, um eine Herausforderung anzunehmen, aber genug, um Platz zu beanspruchen. Sie stellt ihre Stiefel schulterbreit auseinander, in einer Haltung, die eine Dompteurin einnehmen würde – gleichermaßen bereit und trotzig. Ihre Zöpfe haben sich gelöst, kupferfarbene Strähnen kleben an ihren schweißfeuchten Wangen. Der Bogen auf ihrem Rücken summt leise und schwingt mit der feindseligen Magie mit, aber ihre Stimme ist fest.
„Hör mal, wir sind nicht durch Illusionen und Magma gewatet, weil uns langweilig war“, sagt sie in einem unverblümten, aber ernsten Ton. „Etwas Krankes nagt an deinen Wurzeln. Draven hat das Muster erkannt – bevor ich es tat, sogar bevor deine Wächter reagierten. Wir sind hier, weil wir die Krankheit verfolgen, nicht weil wir deine Relikte bewundern.“
Ein leises Murmeln geht durch die Menge. Einige reagieren gereizt auf ihre Offenheit, andere scheinen seltsam erleichtert über ihre direkten Worte. Der ältere Mann mit der Augenbinde neigt den Kopf, als würde er die Form ihrer Ehrlichkeit kosten. Die silberne Rinde, die seine Augen bedeckt, teilt sich kurz in der Mitte – nur ein kleiner Spalt –, der einen schwachen violetten Schimmer erkennen lässt, bevor er sich wieder schließt. Draven vermutet, dass dies ein Test ist, um zu prüfen, ob die Wahrheit in der leuchtenden Vision anders wirkt.
Eine vierte Gestalt antwortet auf diese Resonanz: die Seherin im Blütenmantel. Sie gleitet vorwärts, ihre nackten Füße lautlos auf dem Moos, das sich nicht entscheiden kann, ob es sich zurückziehen oder umschließen soll. Die herabfallenden Wurzelfasern über ihrem Gesicht verhüllen alle Züge bis auf den leichten Druck ihrer Lippen und das subtile Heben und Senken ihres Atems. Ihre Stimme, die durch den Stoff dringt, ist Musik, verwoben mit einer Warnung.
„Es gibt einen, den wir nicht gefangen haben“, sagt sie – jede Silbe melodiös, die Konsonanten gleiten wie Harfensaiten. „Ein unbändiger Dämon. Er geht wie ein zerbrochener Spiegel. Er trägt gestohlene Spiegelbilder. Seine Schritte lassen Keimlinge von Verfall träumen.“ Sie dreht den Kopf, und obwohl ihre Augen verborgen sind, spüren alle ihren Blick auf den Fremden im Käfig ruhen. „Er hat eure Namen in dem Moment gelernt, als ihr die Schwelle überschritten habt.“
Windstille Kälte streift Sylvannas Nacken. Draven, dessen Gesichtsausdruck immer kontrolliert ist, verzieht sich noch mehr. Ein Dämon, der Identitäten studiert, der Gedächtnisbahnen zerbricht – genau die Art von Gegner, die Warden-Born umprogrammieren und Heilzauber mit Bosheit versehen würde. Er speichert den Hinweis neben älteren Narben, Momenten, in denen ähnliche Taktiken zu Katastrophen geführt haben.
Der Älteste nimmt die Worte des Sehers auf wie eine langsam hereinbrechende Flut. Seine Schultern – ein Geflecht aus knorrigen Knochen und Sehnen – richten sich mit bewusster Ruhe auf. „Die Lösung einem Außenstehenden anzuvertrauen, ist gefährlich“, murmelt er, und das Umgebungslicht flackert, als würde es seine Zweifel widerspiegeln. „Gerade dieser hier“, fügt er mit einem subtilen Nicken in Richtung Draven hinzu, „ist ein Hort wilder Unwägbarkeiten.“
Draven zuckt nicht mal mit der Wimper. Stattdessen spitzt er die Ohren und lauscht dem leisen Summen seiner Runen, die mit dem Gitter der Käfigwand kommunizieren. Das Zaubermuster spannt sich gegen seine Aura wie ein Raubtier, das einen Zaun testet: neugierig, auf der Suche nach einer Schwachstelle. Er gibt ihm keine, gibt nur das Nötigste an Mana zurück und lässt es kontrollierte Spannung schmecken, statt die tieferen Stürme, die sich hinter seinen Rippen zusammenbrauen.
Von ganz rechts im Kreis erhebt sich eine weitere Stimme – so leise, dass es eher ihre Kraft als ihre Lautstärke ist, die Aufmerksamkeit erregt. Die Sprecherin ist schlank wie ein Schilfrohr, ihr Haar ist mit winzigen Glassamen durchwirkt, die im schwachen Licht funkeln. „Was, wenn er von Natur aus unberechenbar ist?“, fragt sie und wendet sich an den Ältesten. „Wir temperieren Eisen in lodernden Flammen. Ein Schwert ist nicht falsch, weil es scharf ist.“
Ihre Worte hängen zwischen hoch aufragenden Wurzelpfeilern, kühn und einfach. In dieser Pause entfalten sich mehrere Dinge gleichzeitig – subtile Bewegungen, die Draven in maschineller Präzision registriert:
• Die Symbole der Barriere verwandeln sich von einer einengenden Spirale in eine langsame Schwingung, wie ein Herzschlag, der über seine nächste Kontraktion nachdenkt.
• Drei der jüngeren Wächter tauschen Blicke aus – keine Trotz, sondern Berechnung.
Sie fragen sich, ob sie ihre Haltung ändern und sich eher für Führung als für Gefangenschaft entscheiden sollten.
• Die Linsenweberin senkt ihre Seelenholzscheibe vollständig, ihre Fingerspitzen berühren den Rand. Ihre Schultern entspannen sich. Der alarmierende Schimmer in ihrer Aura verblasst zu nachdenklichem Interesse.
• Vaelarien atmet aus, ein Hauch von Hoffnung mischt sich in seine Müdigkeit, und berührt mit offener Handfläche den Boden – vielleicht bittet er die Wurzeln, eher auf Aufrichtigkeit als auf Bedrohung zu hören.
Sylvanna atmet scharf ein. Sie spürt die Veränderung, auch wenn sie die magischen Vektoren nicht entschlüsseln kann. Sie dreht ihren Körper so, dass sie halb defensiv, halb offen ist. Die Feinheit entgeht den beobachtenden Elfen nicht; einige ahmen sie nach und nehmen ihre Hände von den Zauberzeichen.
In Draven’s Kopf verschieben sich die Wahrscheinlichkeiten. Die Spannung lässt gerade so weit nach, dass ein direkter Konflikt vermieden werden könnte – wenn er die richtigen Informationen in das Gespräch einbringt. Aber er erkennt auch eine tiefere Ebene: Das Bewusstsein des Hains registriert jede Reaktion und schreibt mögliche Enden, so wie eine Spinne Sicherheitsfäden spinnt. Ein falsches Wort könnte sie zurück in die Gewalt treiben.
Also entscheidet er sich vorerst für Schweigen. Er lässt die Metapher der Wächterin mit der rauen Stimme nachhallen: Ein Schwert ist nicht falsch, weil es scharf ist. Selbst eine Klinge in ihrer Scheide kann vielversprechend glänzen.
Die Augenbinde des Ältesten raschelt, als er sich dem Sprecher zuwendet. „Und ein Sturm?“, fragt er leise. „Ist ein Sturm falsch, weil er heftig ist? Spielt es eine Rolle, wenn die Ernte vernichtet wird?“
„Ernten wachsen nach“, entgegnet sie. „Wenn der Boden nicht verdorben ist.“
Unsichtbare Wurzeln seufzen unter ihren Füßen, die Erde reagiert auf die semantische Verschiebung von Zerstörung hin zu Erneuerung. Irgendwo hinter Sylvanna entzündet sich eine der Pollenkugeln erneut und versprüht sanfte Funken, die wie Glühwürmchen dahinschweben – ein kleines Omen der Möglichkeit.
Doch die Sorge in der Haltung des Ältesten verschwindet nicht. Er neigt sein verschleiertes Gesicht wieder zu Draven. „Schwert oder Sturm, du trägst eine Spaltung in dir“, stellt er fest, nicht als Vorwurf, sondern als beobachtete Tatsache. „Dieses gewundene Echo, das der Weber gesehen hat – es summt vor Trostlosigkeit. Woher wissen wir, dass deine Heilung nicht tiefere Narben hinterlassen wird als die Krankheit?“