In dem Moment, als die Zelle zerbrach, brach Chaos aus.
Metall ächzte, als sich die Eisenstangen verbogen und nach außen bogen, als wären sie nie fest gewesen. Ein widerlicher Knall hallte durch den Raum, als die Gestalt darin nach vorne taumelte und ihr Körper unnatürlich zuckte. Die Fackeln flackerten heftig, die Luft war dick von etwas Unsichtbarem, etwas Unnatürlichem.
Kael hatte kaum Zeit zu begreifen, was geschah, bevor das Ding – denn man konnte es nicht mehr als Mensch bezeichnen – sich bewegte.
Es stürmte nicht vor. Es sprang nicht an.
Es verschob sich.
In einer Sekunde wand es sich noch in der zerbrochenen Zelle, der Körper halb zusammengesunken, als würde es Qualen leiden. Im nächsten stand es nur wenige Zentimeter von Kael entfernt, seine Präsenz ein plötzliches, erdrückendes Gewicht, das auf seine Brust drückte.
Dunkle Adern pulsierten unter seiner Haut und dehnten sich aus wie geschwärzte Wurzeln, die einen sterbenden Baum überwucherten. Sein Mund öffnete sich, aber es kam kein Ton heraus. Stattdessen verzogen sich seine Lippen, die Haut spannte sich über zu scharfen Knochen, als würde es versuchen, sich daran zu erinnern, wie man spricht.
Dann atmete es aus.
Ein Atemzug von etwas Ranzigem, etwas Kaltem.
Kael taumelte zurück, sein Instinkt schrie ihn an, sich zu bewegen.
Seine Hand schoss nach seinem Dolch, aber bevor er reagieren konnte, riss sich die Kreatur nach vorne.
Sie war schnell – schneller, als etwas in ihrem Zustand sein sollte.
Liora war schneller.
Seine Klinge blitzte im schwachen Schein der Fackeln auf und schlug in einem kontrollierten Bogen nach oben. Die Schneide seines Dolches traf den Arm der Kreatur, als sie nach Kael schlug, und schnitt sauber durch das zu dünne, zu stark gedehnte Fleisch.
Die Kreatur blutete nicht.
Stattdessen zischte ihre Wunde.
Eine schwarze Nebelranke schlängelte sich aus der Wunde und löste sich in der Luft auf wie Rauch, der aus sterbender Glut aufsteigt. Der Kopf der Kreatur zuckte heftig, ihre glühenden, fiebrigen Augen fixierten Liora mit etwas, das wie Erkennen aussah.
Dann schrie sie.
Der Schrei zeriss die Kammer, hoch und unnatürlich, und vibrierte durch Kaels Knochen wie tausend Messer, die über Metall kratzten. Die Fackeln flammten auf, ihre Flammen dehnten sich unnatürlich aus, bevor sie erloschen und den Raum in flackernde, chaotische Schatten tauchten.
Die Wände bebten.
Nein – nicht nur die Wände.
Das gesamte Anwesen.
Kael stockte der Atem. Die Runen.
Sie erwachten zum Leben.
Die Symbole, die in den Stein gemeißelt waren und auf die Liora zuvor hingewiesen hatte, die er aber nicht näher betrachten konnte, leuchteten plötzlich hell auf. Die Schnitzereien pulsierten, ihre einst schlummernde Magie erwachte, als würde sie die Veränderung in der Luft spüren.
Etwas geschah.
Etwas Schlimmes.
Kael hatte keine Zeit zum Nachdenken, bevor eine weitere Energiewelle durch den Raum schoss und ihn wie eine physische Kraft in die Brust rammte. Er stolperte und sah für einen Moment alles verschwommen.
Dann – Bewegung.
Die Kreatur stürzte sich erneut auf ihn, aber diesmal war es nicht nur eine.
Schatten lösten sich von den Rändern der Kammer.
Gestalten – halb geformt, kaum greifbar – krochen aus den Rissen im Stein, ihre Gliedmaßen unnatürlich gestreckt, ihre hohlen Augen leuchteten mit dem gleichen unheimlichen Licht wie die verdorbene Wache.
Kaels Puls dröhnte in seinen Ohren.
Das Anwesen reagierte nicht nur.
Es verteidigte sich.
„Alvane!“, bellte Liora mit scharfer, fordernder Stimme. „Schalt es ab!“
Aber Alvane hörte nicht.
Der Adlige stand regungslos da, sein Gesicht war blass, während er die Szene beobachtete, seine Augen auf die Kreatur geheftet, die einst sein Wachmann gewesen war. Seine Lippen öffneten sich, aber es kamen keine Worte heraus. Seine Hände zitterten an seinen Seiten, vor Schock wie erstarrt.
Kaels Magen verkrampfte sich.
Alvane hatte so etwas schon einmal gesehen.
Das war nicht nur Verderbnis.
Es war sein Werk.
Kael hatte keine Zeit, darüber nachzudenken, was das bedeutete, bevor die erste Kreatur sich auf ihn stürzte.
Er duckte sich, drehte sich auf den Fersen und schlug mit seiner Klinge nach oben, wobei er die nächste schemenhafte Gestalt in der Brust traf. Der Aufprall schleuderte sie zurück, ihr Körper löste sich wie Nebel auf, bevor sie sich nur wenige Zentimeter entfernt wieder formte.
Sie waren nicht echt.
Nicht ganz.
Sie waren irgendwas dazwischen.
Die Wände ächzten erneut, das Anwesen selbst bebte unter dem Gewicht seines eigenen Erwachens.
Sie mussten raus hier.
Liora bewegte sich mit geübter Präzision und zerteilte die Kreaturen mit schnellen, effizienten Schlägen. Aber für jede, die sich auflöste, kam eine andere an ihre Stelle, schlüpfte aus den Rissen im Stein und formte sich aus den dunklen Ecken der Kammer.
Sie würden diesen Kampf nicht gewinnen.
Nicht hier.
Kael biss die Zähne zusammen, während er darum kämpfte, auf den Beinen zu bleiben, und einem weiteren Schlag des verwandelten Wächters auswich. Die Finger des Wesens waren zu lang, seine Haut zu dünn. Es bewegte sich ruckartig, unnatürlich, wie eine Marionette, die zu Bewegungen gezwungen wurde, die sie nicht verstand.
Alvane stockte der Atem.
Kael drehte sich um und sah den Schrecken in den Augen des Adligen.
Das hatte er nicht gewollt.
Aber das spielte jetzt keine Rolle mehr.
Das Anwesen stürzte ein.
„Weg hier!“, schrie Kael, packte Alvane an der Schulter und schubste ihn zum Ausgang.
Der Adlige stolperte, sein fassungsloser Ausdruck verschwand, als er das Gewicht von Kaels Griff spürte.
Eine weitere Energiewelle durchflutete den Raum. Die Decke über ihnen barst, Staub und Trümmer regneten herab.
Liora war bereits auf die Tür zugegangen, seine Bewegungen waren trotz des Chaos präzise und kontrolliert.
Kael folgte ihm und zog Alvane hinter sich her, während die Kammer bebte und die Luft von Rauch und Magie erfüllt war.
Sie schafften es gerade noch durch den Flur, bevor das Anwesen selbst zu dröhnen begann.
Eine Schockwelle schlug aus der Kammer heraus, rüttelte an den Wänden und ließ Risse wie Spinnweben über den Boden laufen. Die Fackeln entlang des Korridors explodierten, ihre Flammen wurden augenblicklich gelöscht und tauchten alles in Dunkelheit.
Dann –
Feuer.
Eine Hitzeexplosion von oben.
Kael blickte gerade noch rechtzeitig nach oben, um zu sehen, wie die Decke auseinanderbrach und Flammen aus den Holzbalken schlugen und alles in ihrem Weg verschlangen.
Die oberen Stockwerke brannten.
Ein leises, bebendes Stöhnen erfüllte die Luft – ein Geräusch, das aus dem Anwesen selbst kam. Nicht nur Stein und Holz stürzten ein, sondern etwas Tieferes, etwas Älteres.
Etwas Lebendiges.
Die Flammen rasten an den Wänden entlang und leckten an den Dielen. Die in den Stein gemeißelten Symbole flackerten heftig, ihr Schein verzerrte sich.
Kaels Lungen brannten, als er Alvane nach vorne zog.
Sie stürmten durch die Eingangstüren, gerade als eine weitere Explosion aus Feuer und Magie das Anwesen hinter ihnen erschütterte.
Die Hitze traf Kael wie ein Hammerschlag und versengte seine Haut, als er auf die unbefestigte Straße stolperte und keuchend nach Luft rang.
Die Nachtluft war dick von Rauch, der Geruch von verkohltem Holz und brennender Magie stieg ihm in die Nase.
Liora war schon wieder auf den Beinen und starrte auf das Inferno, das einst das Anwesen des Adligen gewesen war. Sein Gesichtsausdruck war unlesbar, aber seine Haltung war angespannt – zu angespannt.
Alvane sank auf die Knie, krallte seine Hände in den Dreck und zitterte am ganzen Körper.
Alles, was er aufgebaut hatte.
Alles, was er versteckt hatte.
Weg.
Kael machte einen wackligen Schritt nach vorne und versuchte, seinen Atem zu beruhigen.
Und dann sah er es.
Durch den Dunst aus Feuer und Rauch, hinter den einstürzenden Balken und brennenden Trümmern –
eine Gestalt.
Sie stand direkt hinter den Flammen.
Regungslos.
Beobachtet.
Nicht Seyrik.
Jemand anderes.
Kael wurde ganz mulmig.
Wer zum Teufel beobachtete sie?
_____
Die Ruinen von Alvanes Anwesen schwelten im fahlen Licht der Morgendämmerung, dicke Rauchwolken stiegen zum Himmel auf wie die letzten Atemzüge eines endlich getöteten Tieres.
Das einst so prächtige Herrenhaus war jetzt kaum mehr als eine Skelettruine – verkohlte Balken ragten wie gebrochene Rippen aus der zerfallenden Struktur, die verkohlten Steinmauern hielten dem Gewicht ihrer eigenen Ruine kaum noch stand. Das Feuer war erloschen und hatte Glut hinterlassen, die noch in den Trümmern flackerte und gelegentlich Funken wie Glühwürmchen in der Brise aufsteigen ließ.
Die Luft war erfüllt vom beißenden Geruch von verbranntem Holz, geschmolzenem Metall und etwas anderem – etwas Unheimlichem. Nicht nur die Folgen der Zerstörung, sondern ein Fleck, den das hinterlassen hatte, was sich hier abgespielt hatte. Kael konnte es noch immer spüren, wie es an seiner Haut haftete, ein Echo der Verderbnis, die diesen Ort durchdrungen hatte.
Alvane hatte überlebt.
Knapp.
Er saß zusammengesunken an den Überresten einer umgestürzten Statue, seine einst makellose Robe zerrissen und mit Ruß und Blut befleckt. Sein Atem ging flach und unregelmäßig. Sein Gesicht – blass und mit Schmutzstreifen überzogen – war zu einem Ausdruck stiller Verzweiflung versteinert, seine Augen starrten mit dem leeren Blick eines Mannes, der seine ganze Welt zusammenbrechen sieht, auf die Ruinen seines Anwesens.
Der andere Wachmann – der, der verschwunden und zurückgekommen war – hatte nicht so viel Glück gehabt.
Kael wandte sich von dem Adligen ab und ließ seinen Blick über den Hof schweifen, wo die Leiche noch immer lag.
Oder das, was davon übrig war.
Der Leichnam war verdreht, grotesk verlängert, die dunklen Adern, die sich über sein Fleisch ausgebreitet hatten, waren nun wie schwarze Risse in zerbrochenem Porzellan erstarrt. Seine Finger waren gekrümmt, steif und klauenartig, sein Gesicht war vor Qual verzerrt. Was auch immer ihn verwandelt hatte, war vor seinem Tod nicht vollendet worden und hatte ihn in einem schrecklichen Zwischenzustand zurückgelassen – nicht mehr menschlich, aber auch nicht ganz anders.
Kael schluckte schwer. Dieses Bild würde ihn noch lange verfolgen.
Die Stadtwache war kurz nach dem Einsturz des Anwesens eingetroffen, angelockt von den hoch auflodernden Flammen und dem unnatürlichen Pulsieren der Magie, das die Luft zeriss. Zunächst hatten sie Abstand gehalten und die schwelenden Trümmer misstrauisch beobachtet, die Hände auf ihren Waffen, unsicher, welche Gefahr noch in der Asche lauerte.
Jetzt bewegte sich eine Handvoll von ihnen vorsichtig um die Ruinen herum, ihr Gemurmel hallte in der Stille des Morgens wider. Einige versorgten Alvanes Wunden, während andere mit grimmigen Gesichtern die Leiche untersuchten. Sie stellten Kael und Liora keine Fragen.
Sie wussten, dass hier etwas Unnatürliches passiert war.
Sie wollten nur nicht diejenigen sein, die es benannten.
Kael atmete scharf aus, sein Atem bildete kleine Wolken in der kalten Morgenluft. Seine Muskeln schmerzten, und jetzt, wo der Adrenalinschub nachließ, machte sich tiefe Erschöpfung in seinen Knochen breit. Er warf einen Blick auf Liora, der ein paar Schritte entfernt stand und eine täuschend entspannte Haltung einnahm – die Hände in den Gürtel gesteckt, das Gewicht träge auf ein Bein verlagert. Aber Kael ließ sich nicht täuschen.
Liora beobachtete ihn.
Nicht nur die Ruinen. Nicht nur die Wachen.
Er beobachtete den Horizont.
Kael runzelte die Stirn. „Du hast etwas gesehen“, sagte er leise. Es war keine Frage.
Liora antwortete nicht sofort. Sein scharfer Blick blieb auf die Ferne gerichtet, seine Finger trommelten gedankenverloren gegen den Griff seines Schwertes – in einem langsamen, methodischen Rhythmus.
Kael folgte seinem Blick, aber alles, was er sah, war die Stadt in der Ferne – den Marktplatz, die Steinmauern von Halewick, die sich gegen den Morgenhimmel abzeichneten, die Straße, die sich an ihnen vorbei in Richtung des restlichen Königreichs erstreckte. Nichts Ungewöhnliches.
Aber das bedeutete nicht, dass nichts da war.
Kael spürte ein Kribbeln im Nacken.
„Liora“, drängte er und trat näher. „Am Ende – als das Feuer sich ausbreitete. Du hast nach oben geschaut. Was hast du gesehen?“
Liora hörte auf zu klopfen.
Einen langen Moment lang sagte er nichts.
Dann endlich verzog sich sein Mund – nicht zu einem Grinsen, nicht zu seinem üblichen amüsierten Ausdruck, sondern zu etwas Anspannung. Etwas Berechnendem.
„Ich habe jemanden gesehen“, sagte er schließlich. Seine Stimme war jetzt leiser, mit einem Unterton, den Kael nicht ganz deuten konnte. „Durch den Rauch. Er hat nur zugesehen.“
Kael wurde ganz mulmig. „Seyrik?“
Liora schüttelte den Kopf. „Nein.“
Dieses eine Wort ließ Kael einen kalten Schauer über den Rücken laufen.
Es hätte Seyrik sein müssen. Er hätte es sein müssen. Seyrik war derjenige, den sie verfolgt hatten, der diese Spuren der Verderbnis hinterlassen hatte, der mit dieser verdrehten Magie experimentiert hatte, die diese Kreaturen verwandelt hatte. Wenn es jemanden gab, der sie beobachten sollte, der hinter all dem stecken sollte –
dann hätte es Seyrik sein müssen.
Aber das war er nicht.
Kael ballte die Fäuste. „Wer dann?“
Liora atmete langsam aus und umklammerte seine Klinge fester. Schließlich wandte er seinen Blick Kael zu, sein Gesichtsausdruck unlesbar, seine scharfen Züge im fahlen Morgenlicht.
„Das würde ich auch gerne wissen.“