Liora stand wie erstarrt vor der zersplitterten Holztür, seine Finger zitterten, als sie knapp über der verwitterten Oberfläche schwebten. Die Hollow schien heute Nacht den Atem anzuhalten, die Stille wurde nur durch das leise Rascheln einer kühlen Brise unterbrochen, die das Flüstern entfernter Stimmen und das dumpfe Knarren von altem Holz herüberwehte.
Mondlicht fiel auf das baufällige Gebäude, sammelte sich in den tiefen Rissen und Narben der verfallenen Fassade und verlieh dem Bauwerk einen fast überirdischen Glanz. Die Tür selbst, verzogen und verblasst, schien vor unausgesprochener Trotzigkeit zu pulsieren, als würde sie Geheimnisse bewachen, die nicht vergessen werden wollten. Doch trotz ihres zerbrechlichen Aussehens stand sie fest, ein unerschütterliches Denkmal für die Last seiner Vergangenheit.
Seine Hand zitterte, bevor sie schließlich die Oberfläche der Tür berührte, deren raue Struktur an seinen schwieligen Fingern kratzte. Das Gefühl war elektrisierend, ein Ruck, der ihn in den Abgrund der Erinnerung zog. Geister eines einst gelebten Lebens regten sich in ihm – die Wärme einer kleinen Hand, die seine umklammerte, die sanfte Melodie von Lachen, das wie Sonnenstrahlen durch Sturmwolken tanzte.
Eine weibliche Stimme, leise und beruhigend, flüsterte durch die Korridore seines Geistes, ihre Worte undeutlich, aber voller Versprechen von Liebe und Geborgenheit. Ihr Gesicht tauchte flüchtig auf: Ihre Lippen formten ein sanftes Lächeln, ihr langes Haar fiel ihr über die Schultern, während sie kniete, um die widerspenstigen Locken ihrer Tochter zu flechten.
Die Vision traf ihn wie eine Welle, raubte ihm den Atem und ließ ihn am Rande eines emotionalen Abgrunds schwanken.
Die Welt um ihn herum schien sich aufzulösen und schrumpfte auf die Grenzen ihres bescheidenen Zuhauses – ein Zufluchtsort mit schiefen Regalen voller zusammengewürfelter Kleinigkeiten und abgenutzten Vorhängen, die sanft im Wind flatterten.
Die Erinnerung war so lebendig, dass sie fast greifbar war. Er konnte das fröhliche Kichern seiner Tochter hören, als sie durch die engen Gassen von The Hollow rannte und mit ihren kleinen Füßen Staubwolken aufwirbelte. Ihre Stimme, unbelastet von den Sorgen ihres Lebens, klang so rein, dass es ihm fast das Herz brach. Sie war sein Licht gewesen, ihre Anwesenheit ein Leuchtfeuer in der endlosen Nacht ihrer Not.
Ein Kloß stieg ihm in die Kehle, und seine Knie drohten nachzugeben. Er presste seine Hand fester gegen die Tür, verzweifelt nach Halt suchend, aber die Erinnerungen drängten mit unerbittlicher Kraft hervor. Sie überfluteten ihn und zogen ihn tiefer in den Strudel seiner Vergangenheit. Er sah den entschlossenen Blick seiner Frau, als sie ihn dafür schimpfte, dass er so lange weggeblieben war, und wie ihre Sorge in müde Akzeptanz überging, als er versprach, sich zu bessern.
Er erinnerte sich an ihre Hände, schwielig und doch sanft, die unermüdlich im schwachen Licht einer Laterne zerrissene Kleider flickten. Sie war einen Kopf größer als er gewesen und eine Säule der Stärke, ihre Widerstandsfähigkeit ein Beweis für die Liebe, die sie in ihre kleine, unvollkommene Familie gesteckt hatte.
Doch dann verdunkelten sich die Erinnerungen. Das tränenüberströmte Gesicht seiner Tochter tauchte vor ihm auf, ihre kleinen Hände klammerten sich verzweifelt an sein Hemd.
„Geh nicht, Papa. Bitte geh nicht“, hatte sie gefleht, ihre Stimme zitterte vor einer Angst, die kein Kind jemals kennen sollte. Sein Versprechen an sie, gesprochen mit der Überzeugung eines Mannes, der seine Lieben vor der Grausamkeit der Welt zu schützen versucht, hallte schmerzhaft in seinem Kopf wider: „Ich werde dich finden. Egal, was passiert.“ Jetzt fühlten sich diese Worte wie Asche in seinem Mund an, ihr Gewicht war mehr, als er ertragen konnte.
Die Erinnerungen umklammerten ihn wie eine Schraubzwinge und pressten ihm die Luft aus den Lungen. Sein Kopf pochte vor Schmerz, scharf und unnatürlich, als würde etwas Tiefes in seinem Inneren an die Oberfläche drängen. Er taumelte rückwärts, hielt sich die Schläfen, während sich die Welt um ihn herum in einem verwirrenden Wirbel drehte. Der Kopfschmerz war unerbittlich, wie eine feurige Klinge, die sich durch Schichten unterdrückter Emotionen und vergessener Schmerzen schnitt.
Er sank auf die Knie, sein Atem stockte, als der Damm brach und die Erinnerungen unerbittlich hervorbrachen.
Ihre Stimme kehrte zurück, klar und entschlossen, und durchdrang den Lärm seiner Qualen. „Wir schaffen das, Rylan. Zusammen.“
Tränen verschleierten seine Sicht, als er ihren Namen flüsterte, seine Stimme brach unter der unerträglichen Last seiner Trauer.
Das Lachen hallte in seinen Ohren, vermischte sich mit ihren Hilferufen, jede Erinnerung wie ein Dolchstoß in sein ohnehin schon zerbrechliches Gemüt. „Es tut mir leid“, würgte er hervor und presste seine Stirn gegen die raue Oberfläche der Tür. Seine Worte zitterten und trugen die Qual eines Mannes in sich, der um Vergebung von Geistern flehte, die ihn nicht mehr hören konnten.
Die Entschuldigung fühlte sich hohl und sinnlos an – ein verzweifelter Versuch, die Kluft der Verluste zu überbrücken, die sich endlos zwischen ihm und der Vergangenheit auftat.
Die Struktur der Tür gab ihm kurz Halt, ihre Splitter bohrten sich in seine Haut wie eine grausame Erinnerung an die Realität, der er nicht entkommen konnte. Aber die Flut der Erinnerungen brach erneut über ihn herein und überwältigte ihn mit der Wärme ihrer kleinen Hand in seiner, mit der Art, wie sie sich mit aller Kraft an ihn geklammert hatte.
Die Stimme seiner Frau hallte scharf wider, voller Sorge und Liebe, im Kontrast zur stillen Stille der Nacht. „Rylan“, hatte sie in seinen Gedanken gesagt, bestimmt, aber freundlich. „Versprich mir …“
„Ich habe versagt“, stöhnte Liora und umklammerte seine Schläfen, als könnte er den Sturm in seinem Inneren damit eindämmen. Die Stimmen wurden lauter, verzerrte Flüstern, die sich zu einer Kakophonie steigerten, die seinen Kopf pochen ließ.
Bilder von dem tränenüberströmten Gesicht seiner Tochter blitzten vor ihm auf, ihre verzweifelte Bitte brannte sich in sein Herz. „Geh nicht, Papa! Verlass uns nicht!“, hatte sie geschrien, und seine Stimme hatte mit leerer Entschlossenheit geantwortet: „Ich werde dich finden. Egal, was passiert.“ Jetzt verspotteten ihn diese Worte und hallten mit unerträglicher Klarheit in seinem Kopf wider.
Die Erinnerungen krallten sich wie tausend kleine Klingen in Liora und schnitten tief in Stellen, die er für immer begraben geglaubt hatte. Der leichte Wind, der durch The Hollow wehte, schien Echos der Vergangenheit mit sich zu tragen, Stimmen, die ihn riefen, als würde die Luft selbst sich daran erinnern, wer er einmal gewesen war.
Er konnte sie noch hören, die Leute von The Hollow in den wenigen Jahren, als er mehr war als nur ein Name, der voller Angst oder Ehrfurcht geflüstert wurde. Damals war er jemand gewesen, auf den sie sich verlassen konnten, ein Halbling, der es wagte, über den Elend und die Hoffnungslosigkeit ihres Lebens hinauszuträumen. Nicht der Abenteurer, nicht der Dieb, sondern Rylan Duskwhisper, ein Mann, der an eine bessere Zukunft glaubte.
„Ich sag dir, Rylan wird das schon richten“, hatte ein grauhaariger Schmied einmal gesagt und seine massigen Hände auf die Schultern eines jungen Lehrlings gelegt. Das Gesicht des Jungen war rußverschmiert, seine großen Augen voller vorsichtiger Hoffnung. „Er hat schon die Kaufleute auf seiner Seite. Du wirst sehen – er wird diesen Ort wieder aufrichten.“
Die Erinnerung war klar und lebendig. Liora konnte die rußigen Hände des Schmieds sehen und das Gewicht ihres Vertrauens spüren, als würde es erneut auf seine Schultern gelegt. Bei diesem Gedanken zog sich sein Herz zusammen und sein Kopf pochte vor lauter Erinnerungen. Er hatte ihr Vertrauen getragen, es geschätzt – und am Ende zerstört. Entdecke weitere Geschichten in My Virtual Library Empire
„Ich habe gehört, dass er als Nächstes mit den Wachen sprechen will“, flüsterte eine Mutter ihrer Freundin zu, während sie ihr Baby in den Armen wiegte. „Kannst du dir das vorstellen? Wachen in The Hollow. Das ist, als würde er Licht aus den Schatten holen.“
„Rylan“, hatte ein älterer Halbling ihn einmal auf der Straße angesprochen, „wann machst du endlich mal langsam und holst Luft? Du kannst nicht ganz The Hollow auf deinen Schultern tragen.“ Der Mann hatte gelacht, aber seine Augen verrieten seine Besorgnis. „Du machst zu viel für einen einzigen Mann.“
„Ich muss“, hatte Liora mit fester Stimme geantwortet, obwohl ein Teil von ihm schon damals die Wahrheit kannte.
„Wenn nicht ich, wer dann?“
Die Stimmen hallten in seinem Kopf wider, wurden lauter und eindringlicher, als würden sie eine Antwort verlangen, die er nicht hatte. Sie vermischten sich mit Fragmenten des Lachens seiner Familie und dem Weinen seiner Tochter. Der Schmerz in seinem Kopf wurde unerträglich, als würde man ihm Nägel in den Schädel schlagen. Er schnappte nach Luft und biss die Zähne zusammen, um dem Ansturm zu widerstehen, aber es half nichts.
„ARGHHHH!“
Der Schrei riss ihm die Kehle hinunter, rau und verzweifelt, und hallte durch die Gasse wie der Schrei eines verwundeten Tieres. Er krümmte sich und umklammerte seine Schläfen, als könnte er so seine zerbrochenen Erinnerungen an ihrem Platz halten. Der Klang seiner eigenen Qual hallte zu ihm zurück und prallte wie grausame Spott von den bröckelnden Wänden ab.
„Es tut mir leid“, würgte er hervor, seine Stimme zitterte und brach. Seine Knie gaben nach und er sackte gegen die zersplitterte Tür, die Stirn gegen die raue Oberfläche gedrückt. Tränen liefen ihm ungehindert und unaufhaltsam über die Wangen und hinterließen Spuren in dem Schmutz, der an seiner Haut klebte.
„Papa, geh nicht weg!“
„Wir schaffen das, Rylan.“
„Licht aus den Schatten.“
Die Stimmen vermischten sich, ihre Töne stiegen und fielen in einer chaotischen Symphonie. Er stöhnte, als sein Kopf von jeder Erinnerung hämmerte, die auftauchte, und seine Finger gruben sich in seine Kopfhaut, als wollte er den Schmerz wegreißen. Es war zu viel – zu viele Gesichter, zu viele Hoffnungen, die er zurückgelassen hatte.
„Es tut mir leid“, flüsterte er erneut, seine Stimme kaum hörbar. Die Worte klangen hohl, wie ein zu spät gesprochenes Gebet. „Es tut mir so leid …“