Sie seufzte und rieb sich die Schläfen. Es war schon Mitternacht, und sie hatte früher geschlafen, in der Hoffnung, in ihren Träumen Inspiration zu finden. Doch hier saß sie nun und war der Lösung des Rätsels, das Professor Draven ihr gestellt hatte, kein Stück näher gekommen. Die anderen Studenten hatten wahrscheinlich andere, vielleicht einfachere Aufgaben zu bewältigen. Der Gedanke nagte an ihr, aber sie verdrängte ihn und konzentrierte sich stattdessen auf die vor ihr liegende Aufgabe.
Ihre Tür quietschte, und Elara blickte auf und sah ihren Vater, Graf Valen, den Raum betreten. Er trug ein Tablett mit Essen, das sie nicht angerührt hatte, und sein Gesicht war von Sorge gezeichnet. Er stellte das Tablett auf ihren leeren Schreibtisch neben sie und warf einen Blick auf das Papier, an dem sie arbeitete. Seine Augen verengten sich, als er die elegante Handschrift in der linken oberen Ecke der Seite las: „Zusatzprüfung von Professor Draven“.
Graf Valens Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. „Elara, hast du die gleichen Fragen wie die anderen Schüler bekommen?“, fragte er mit misstrauischer Stimme. „Es würde mich nicht wundern, wenn Draven dich herausgegriffen hat, um dich zu demütigen. Er war noch nie fair, vor allem angesichts unserer … Vergangenheit.“
Elaras Neugier war geweckt. Endlich brach sie ihr Schweigen, ihre Stimme war leise, aber fest.
„Vater, was ist zwischen dir und Professor Draven vorgefallen?“
Graf Valens Miene milderte sich ein wenig, als er die Stimme seiner Tochter hörte. „Das ist eine lange und unangenehme Geschichte, Elara. Draven ist ein Mann ohne Herz, ein falscher Wunderkind, der das Potenzial anderer verachtet. Er ist eine Schlange, ein Mann, der sich daran ergötzt, diejenigen zu untergraben, die ihm im Weg stehen.“
Elara hörte eine Weile zu, aber als ihr Vater weiter schimpfte, verlor sie langsam das Interesse. Seine Worte schienen voller persönlicher Ressentiments und irrelevanter Anekdoten zu sein. Sie unterbrach ihn sanft. „So kommt er mir nicht vor. Professor Draven wirkt fair und unparteiisch. Er scheint nicht zu unfairen Mitteln zu greifen.“
Graf Valen schnaubte und sein Gesicht verdüsterte sich. „Du kennst ihn nicht so gut wie ich. Er ist ein Meister der Täuschung und verbirgt immer seine wahren Absichten. Ich erzähle dir mal von der Zeit, als …“
Elara unterbrach ihn, ihre Geduld war am Ende. „Vater, bitte. Ich muss mich auf diese Prüfung konzentrieren. Das ist wichtig.“
Graf Valen sah verletzt aus, nickte aber und trat widerwillig zurück. „Na gut, mein liebes Mädchen. Aber sei vorsichtig mit ihm. Man kann ihm nicht trauen.“
Elara wartete, bis er den Raum verlassen hatte, bevor sie einen langen Seufzer ausstieß. Sie konzentrierte sich wieder auf die Prüfung und versuchte, die Vorwürfe ihres Vaters aus ihren Gedanken zu verbannen. Sie musste sich konzentrieren, um einen Weg durch das Labyrinth aus Symbolen und Kreisen vor ihr zu finden.
Die Rückseite des Papiers fiel ihr ins Auge. Sie drehte es um und sah eine leere Fläche. Aus einer Laune heraus projizierte sie einen kleinen Strahl ihrer Magie darauf und zu ihrer Überraschung verwandelte sich die Oberfläche in einen schimmernden Bildschirm. Es war ein magisches digitales Notizbuch, in dem sie ihre Gedanken mühelos zeichnen, löschen und neu anordnen konnte. Sie konnte nicht umhin, zu flüstern: „Genial.“
Sie nutzte das Notizbuch, um sich erneut an die Prüfung zu wagen. Die Aufgabe bestand darin, einen magischen Kreis zu entschlüsseln, der in fünf verschiedene Teile zerlegt worden war, die jeweils durch einen eigenen Kreis dargestellt wurden. Die Verbindung zwischen den Kreisen war eher philosophischer als funktionaler Natur, sodass es bei dieser Herausforderung ebenso sehr darum ging, die zugrunde liegenden Prinzipien zu verstehen wie das Rätsel zu lösen.
Elara beugte sich vor und runzelte konzentriert die Stirn. Sie tippte mit dem Finger auf den Bildschirm und erstellte eine neue Ebene, auf der sie Notizen machen und Verbindungen zeichnen konnte. Sie verfolgte die Linien jedes Kreises und versuchte zu erkennen, wie sie zusammenpassen könnten. Der philosophische Aspekt faszinierte sie. Es ging nicht nur um rohe Magie, sondern um die Bedeutung dahinter, um die Absicht und den Zweck.
Sie dachte über die Konzepte nach, die jeder Kreis darstellen könnte. Ein Kreis schien die Essenz des Lebens zu verkörpern, seine Linien flossen mit einer organischen, fast pulsierenden Energie. Ein anderer schien die Idee des Todes einzufangen, seine Symbole waren kalt und endgültig. Ein dritter Kreis strahlte Macht, Stärke und Dominanz aus, die von seinem Design ausging.
Der vierte Kreis schien sich um Weisheit zu drehen, seine komplizierten Muster deuteten auf viele Schichten von Wissen und Einsicht hin. Der fünfte und letzte Kreis war der abstrakteste, vielleicht stand er für Gleichgewicht oder Harmonie, so wie seine Elemente mühelos ineinanderflossen.
Elara erkannte langsam ein Muster, eine mögliche Verbindung zwischen den Kreisen.
Leben und Tod waren zwei Seiten derselben Medaille, Macht erforderte Weisheit, um richtig eingesetzt zu werden, und Gleichgewicht hielt alles zusammen. Sie machte sich Notizen in ihrem magischen Notizbuch, und mit jeder Verbindung, die sie zeichnete, wurden ihre Gedanken klarer.
Trotz ihrer Fortschritte brodelte unter der Oberfläche Frustration. Die philosophische Natur der Aufgabe war schwer zu fassen, und sie wurde das Gefühl nicht los, dass ihr etwas Entscheidendes fehlte. Sie schnalzte genervt mit der Zunge und suchte verzweifelt nach dem fehlenden Teil.
Die Stunden vergingen, während Elara arbeitete, und ihre Umgebung verschwand in den Hintergrund. Sie verlor das Zeitgefühl, versunken in den komplizierten Tanz der Symbole und Bedeutungen. Die Worte ihres Vaters hallten leise in ihrem Kopf wider, aber sie verdrängte sie und konzentrierte sich stattdessen auf die Herausforderung, die vor ihr lag.
Als die Morgendämmerung nahte und das erste Licht des Tages durch ihr Fenster fiel, spürte Elara endlich einen Funken der Erkenntnis.
Die Kreise hatten nicht nur eine individuelle Bedeutung, sondern standen auch in Beziehung zueinander. Leben und Tod, Macht und Weisheit – alles war in einem empfindlichen Gleichgewicht.
Schnell skizzierte sie eine mögliche Anordnung, ihr Herz pochte vor Vorfreude. Sie verband die Kreise auf eine Weise, die mit der zugrunde liegenden Philosophie im Einklang zu stehen schien. Es war nur ein erster Versuch, aber es fühlte sich richtig an.
Elara holte tief Luft und projizierte ihre Magie auf die Leinwand, während sie beobachtete, wie sich die Kreise zu verschieben und zu verschmelzen begannen. Die Symbole ordneten sich neu an und bildeten einen einzigen, einheitlichen magischen Kreis. Er leuchtete sanft, die Linien pulsierten mit einem sanften, harmonischen Licht. Aber dann – puff!
„Scheiße!“, entfuhr es ihr aus ihrem schönen Mund.
„Ich habe etwas übersehen, was ist es?“, fragte sie frustriert.
Es sah so aus, als hätte sie noch einen langen Weg vor sich, aber sie glaubte, dass sie den notwendigen Hinweis bereits gefunden hatte.
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Amberine saß mit gekreuzten Beinen auf dem Boden ihres Schlafsaals, während magische Kugeln einen sanften Schein über den Raum warfen. Ihr Schreibtisch war mit Büchern, Notizen und halb aufgegessenen Snacks übersät, ein Beweis für die vielen Stunden, die sie mit dem Zusatz-Test verbracht hatte.
Im Gegensatz zu Elara blühte Amberine in der Einsamkeit und Stille der nächtlichen Lernsitzungen auf.
Die Welt außerhalb ihres Fensters war still, nur das gelegentliche Rascheln der Blätter im Wind durchbrach die Dunkelheit.
Vor ihr lag die Zusatzprüfung, eine Reihe von magischen Kreisen, die in fünf Teile zerlegt waren, von denen jeder ein eigenes Rätsel darstellte. Amberine runzelte konzentriert die Stirn, während sie die Linien jedes Kreises nachzeichnete, ihre Finger schwebten knapp über dem Pergament. Sie saß schon seit Stunden daran, ihr Kopf war ein Wirbelwind aus Theorien und Möglichkeiten, doch sie war einer Lösung kein Stück näher gekommen.
„Komm schon, denk nach“, murmelte sie vor sich hin, ihre Frustration war deutlich zu hören. „Es muss doch einen Zusammenhang geben, den ich übersehe.“
Amberine war immer stolz auf ihren analytischen Verstand gewesen, auf ihre Fähigkeit, Muster und Zusammenhänge zu erkennen, wo andere nur Chaos sahen. Aber heute Abend schienen die Kreise sie zu verspotten, ihre Bedeutung entglitt ihrem Verstand wie Wasser durch ein Sieb.
Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und atmete tief durch, um die Unruhe in ihrem Inneren zu beruhigen.
Ihre Gedanken schweiften zurück zu Professor Draven. Seine Zusatzprüfung war nicht nur eine Herausforderung, sondern eine Provokation, eine Möglichkeit, seine Studenten an ihre Grenzen zu bringen. Amberine respektierte ihn dafür, auch wenn sie die Schwierigkeit der Aufgabe hasste. Sie fragte sich, wie es den anderen ging, ob sie ebenfalls mitten in der Nacht kämpften.
Mit neuer Entschlossenheit konzentrierte sich Amberine wieder auf den Test. Sie nahm ihre Feder und begann, Notizen zu machen und mögliche Verbindungen zwischen den Kreisen zu skizzieren. Der erste Kreis mit seinen fließenden, organischen Linien schien das Leben darzustellen. Der zweite, streng und endgültig, stand für den Tod. Der dritte strahlte Macht aus, der vierte Weisheit und der fünfte Ausgeglichenheit.
„Leben und Tod, Kraft und Weisheit“, sinnierte Amberine laut, während ihre Feder über das Pergament kratzte. „Ausgleich verbindet sie alle miteinander. Aber wie?“
Sie versuchte, sich die Kreise als Teile eines Ganzen vorzustellen, deren individuelle Bedeutungen zu einer größeren Einheit verschmelzen. Es war ein filigraner Tanz der Konzepte, die sich gegenseitig beeinflussten und ergänzten. Sie zog Linien zwischen den Kreisen, wobei ihre Feder immer schneller wurde, je mehr Ideen ihr kamen.
Die Anordnung nahm Gestalt an, die Verbindungen zwischen Leben und Tod, Macht und Weisheit wurden klarer.
Für einen Moment verspürte Amberine einen Funken Triumph. Sie hatte ein Muster gefunden, einen Weg, die Kreise in Harmonie zusammenzuführen. Sie projizierte einen kleinen Strom ihrer Magie auf das Pergament und beobachtete, wie sich die Symbole zu verschieben und auszurichten begannen. Die Kreise rückten näher zusammen, ihre Linien verschmolzen miteinander.
Und dann, mit einem plötzlichen Ruck, stockte die Magie. Die Kreise blieben stehen, ihre Symbole prallten aufeinander und lösten sich in Chaos auf. Amberines Herz sank, als sich die Linien auflösten und ihre hart erkämpften Fortschritte vor ihren Augen verschwanden.
„Nein, nein, nein!“, rief sie frustriert. „Ich war so nah dran!“
Sie schlug mit der Faust auf den Boden, und der Klang hallte durch den leeren Schlafsaal. Ihre Magie verpuffte und ließ den Raum in Dunkelheit hüllen, nur die Kugeln leuchteten schwach. Amberine vergrub ihr Gesicht in den Händen und atmete tief und unregelmäßig, um sich zu beruhigen.
Das Scheitern war eine bittere Pille, die sie nicht gewohnt war zu schlucken. Sie war immer die Beste in ihrer Klasse gewesen, diejenige, die Probleme mit Leichtigkeit löste. Aber diese Prüfung, dieses nervtötende Rätsel, hatte sie in die Knie gezwungen. Sie verspürte einen Anflug von Neid und fragte sich, ob einer ihrer Klassenkameraden dort Erfolg gehabt hatte, wo sie versagt hatte.
Amberine wollte nicht aufgeben. Sie stand auf, streckte ihre steifen Glieder und ging zum Fenster. Die kühle Nachtluft war eine willkommene Erleichterung und machte ihren Kopf frei. Sie schaute auf den Campus hinaus, wo sich die Silhouetten der Gebäude und Bäume gegen den Sternenhimmel abzeichneten.
„Ich werde das herausfinden“, flüsterte sie sich selbst zu. „Ich muss es einfach.“