Gilgamesch stand vor der riesigen, besiegten Gestalt von Tiamat. Ihr einst majestätischer Körper lag jetzt völlig durcheinander, die Flügel über das zerklüftete Gelände ausgebreitet, ihre Schuppen matt unter der Last ihres Scheiterns.
Er starrte sie an, sein Gesichtsausdruck war nicht zu deuten, weder triumphierend noch traurig, er beobachtete lediglich die gefallene Gottheit. Er blieb einen Moment lang regungslos stehen, als würde er der Kreatur, die einst das ursprüngliche Chaos verkörpert hatte, der Mutter der Götter und Monster, still Tribut zollen.
Mit einer schnellen Bewegung seines Handgelenks machte Gilgamesch eine scheinbar abweisende Geste.
Die Geste war zurückhaltend, fast beiläufig, aber ihre Wirkung war tiefgreifend. Tiamats massiger Körper begann zu zittern, dann zerfiel er, ihre Schuppen verloren ihre Substanz und verwandelten sich in Asche. Ein unsichtbarer Wind kam auf und fegte über die endlose Landschaft der Ebene des Chaos. Stück für Stück löste sich Tiamat auf, ihre Asche wurde davongetragen, bis nichts mehr von ihr übrig war außer der Erinnerung an ihre einst so furchterregende Präsenz.
Gilgamesch stand still da und folgte mit seinen Augen der Spur der Asche, die in die Leere driftete, als würde er über das Ende einer Ära nachdenken. Für einen Moment herrschte Stille – eine Ehrfurcht, die in der Luft zu hängen schien, als würde sogar die Ebene des Chaos selbst die Bedeutung des Geschehenen anerkennen. Tiamat war verschwunden, die Verkörperung des urzeitlichen Chaos war endlich besiegt, und mit ihrem Verschwinden kehrte eine schwere, fast feierliche Stille ein.
Aurelia und Anastasia standen voller Ehrfurcht da und sahen zu, wie Tiamat vor ihren Augen verschwand. Sie waren bereit gewesen zu kämpfen, Draven und Lyan bis zum letzten Atemzug zu verteidigen, wenn es sein musste. Aber hier stand Gilgamesch und befahl mühelos das Ende der Göttin des Chaos. Seine Präsenz war überwältigend, eine Verkörperung königlicher Autorität, die fast überirdisch wirkte.
Als die letzten Aschepartikel von Tiamat verschwunden waren, drehte sich Gilgamesch zu Aurelia und Anastasia um. Sein Blick war intensiv, seine rotgoldenen Augen hatten eine Tiefe, die das Wesen der Existenz zu durchdringen schien. Aber diesmal war etwas anders in seinem Ausdruck – seine übliche Arroganz war verschwunden, stattdessen zeigte sich eine Ernsthaftigkeit, die keine der beiden Frauen zuvor gesehen hatte.
Seine Stimme, die oft voller Verachtung und Herablassung gewesen war, wurde weicher, als er sprach.
„Danke“, sagte er, und seine Worte hingen in der Luft und überraschten Aurelia und Anastasia.
Einen Moment lang waren sie still, unsicher, wie sie reagieren sollten. Aurelia, die immer eine scharfe Bemerkung parat hatte, fand sich sprachlos wieder, ihre Lippen öffneten sich überrascht.
Gilgamesch, der König der Helden, war nie jemand gewesen, der Dankbarkeit zeigte, schon gar nicht gegenüber denen, die er für minderwertig hielt. Doch hier stand er nun und bedankte sich – und zum ersten Mal klang es aufrichtig.
„Tch“, brachte Aurelia schließlich hervor, die Stirn gerunzelt, das Wort fast unwillkürlich. Sie war niemand, der sich überraschen ließ, selbst von etwas so Ungewöhnlichem wie diesem.
Gilgamesch fuhr fort, ohne den Blick abzuwenden. „Das ist noch nicht das Ende“, sagte er mit einer Stimme, die darauf hindeutete, dass er von mehr sprach als nur von der Schlacht, die sie gerade geschlagen hatten. „Du hast noch eine letzte Herausforderung vor dir. Eine letzte Aufgabe, der du dich stellen musst, bevor deine Reise wirklich zu Ende ist.“ Sein Blick ruhte auf Aurelia, und für einen Moment schien es, als würde ein Funke der Erkenntnis zwischen ihnen überspringen – eine stille Anerkennung der Lasten, die sie beide trugen.
Er hielt inne und wandte dann seinen Blick den bewusstlosen Draven und Lyan zu, die regungslos auf dem Boden lagen. In seinem Blick lag ein seltsames Gefühl von Respekt, fast schon Bewunderung, obwohl es von seiner üblichen Zurückhaltung verdeckt wurde. „Diese beiden“, sagte er mit sanfterer Stimme, „genauso wie du mein königliches Erbe angetreten hast, haben sie mein Ego geerbt.“
Gilgameschs Blick wanderte zu Lyan. „Dieser Tiamat ist nicht derselbe, dem du allein gegenüberstehen wirst, du Dummkopf“, sagte er und richtete seine Worte an den bewusstlosen Inkubus. „Aber jetzt hast du es gesehen – das Bild davon, wie es aussehen könnte, wenn man ein solches Wesen besiegt. Und es liegt in deiner Reichweite.“
Er nickte leicht, eine seltene Geste der Anerkennung. „Deine Leistung heute war großartig. Ein echter Beweis für das heldenhafte Potenzial der Menschheit.“
Aurelia, die immer noch ihr Schwert in der Hand hielt, beobachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. Seine Worte waren ganz anders, als sie erwartet hatte – ihnen fehlte die Arroganz, die Verachtung, die sie mit Gilgamesh verband. Stattdessen waren sie von etwas anderem erfüllt – etwas, das fast wie Hoffnung wirkte.
Gilgameschs Gesichtsausdruck veränderte sich leicht, ein Hauch von einem Lächeln huschte über seine Lippen, als er seine letzten Worte sprach, seine Stimme voller unerwarteter Sanftheit. „Freut euch“, sagte er, wobei dieses Wort sowohl einen Befehl als auch eine Ermutigung enthielt. „Die Suche ist beendet. Ruht euch aus, Helden der Menschen.“
Doch dann hielt er plötzlich inne.
„Du hörst nie auf zu beobachten, nicht wahr, Magier der Träume?“
Goldene Flammen begannen seinen Körper zu umhüllen, ihr Licht erhellte die Ebene des Chaos mit einem ätherischen Schein. Aurelia öffnete den Mund, um zu protestieren – sie wollte Antworten verlangen, ihn fragen, warum er das tat, was er wirklich vorhatte. Doch bevor sie sprechen konnte, bevor sie auch nur einen Ton herausbrachte, begann Gilgamesch zu verschwinden.
Er verschwand ohne großes Aufsehen – die Flammen verschlangen ihn, und in einem Augenblick war er weg und hinterließ nichts als Stille. Aurelia blinzelte, ihre Hand umklammerte immer noch ihr Schwert, während ihr Verstand versuchte, zu begreifen, was gerade passiert war. Gilgamesch, der König der Helden, war verschwunden und hatte ihnen mehr Fragen als Antworten hinterlassen.
Bevor sie oder Anastasia reagieren konnten, spürten sie einen plötzlichen Sog – eine unsichtbare Kraft, die an ihnen zerrte und sie aus der Ebene des Chaos zog. Es gab keinen Übergang, keine vertraute weiße Leere, die sie gewohnt waren, bevor sie in ihre Welt zurückkehrten. Es war abrupt, verwirrend, als würde man aus einer Realität gerissen und in eine andere geworfen.
Aurelia blinzelte, ihre Sicht verschwamm, ihre Umgebung verschwamm, während sie sich veränderte. Und dann lag sie plötzlich in ihrem Bett und starrte an die verzierte, vertraute Decke ihres Schlafzimmers. Sie atmete tief aus, ihre Brust zog sich zusammen, als sie versuchte, zu begreifen, was gerade passiert war.
Sie richtete sich auf, ihr Körper schmerzte, ihr Kopf pochte. Um sie herum sah sie bekannte Gesichter – ihre Zofen, deren Gesichter voller Schock und Erleichterung waren. Sie schnappten nach Luft und rissen die Augen auf, als sie sahen, dass sie wach war. Eine von ihnen eilte herbei, ihr Gesicht blass, ihre Hände zitternd.
„Eure Majestät“, sagte die Zofe mit vor Emotionen bebender Stimme. „Ihr seid aufgewacht!“
Aurelia runzelte die Stirn, ihr Verstand war noch benebelt, die Ereignisse auf der Ebene des Chaos waren noch frisch in ihrer Erinnerung. Sie sah die Zofe an und runzelte die Stirn. „Ich habe … geschlafen?“, fragte sie mit heiserer Stimme, ihre Kehle war trocken.
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Die Zofe nickte, ihre Augen weit aufgerissen, ihr Gesichtsausdruck eine Mischung aus Freude und Sorge. „Ja, Eure Majestät. Ihr wart zwei Tage lang bewusstlos.
Wir haben uns alle große Sorgen gemacht.“
Aurelias Stirn runzelte sich noch mehr. „Zwei Tage?“, wiederholte sie und versuchte, das zu begreifen. Sie war viel länger in der Welt der Quest gewesen, und doch … Zeit war immer seltsam gewesen, wenn sie diesen Ort betreten hatte. In der realen Welt waren immer nur Sekunden vergangen, egal wie lange sie dort verbracht hatte. Aber dieses Mal war es anders.
„Wir haben die königlichen Priester gerufen“, fuhr die Magd mit zitternder Stimme fort. „Sie haben versucht, dich zu untersuchen, aber sie sagten, es liege ein mächtiger Fluch auf dir … Einige von ihnen sind zusammengebrochen und haben Blut gehustet.“ Ihre Stimme brach, Tränen stiegen ihr in die Augen. „Wir hatten solche Angst.“
Bevor Aurelia antworten konnte, öffnete sich die Tür zu ihrem Gemach und ein älterer Priester trat ein. Sein Gesicht war blass, sein Körper gebrechlich, seine Bewegungen langsam. Er näherte sich Aurelia, seine Augen voller Angst und Ehrfurcht.
„Eure Majestät“, sagte er mit kaum hörbarer Stimme, während seine Hände zitterten, als er nach ihr griff. „Ich muss … Sie noch einmal untersuchen.“
Aurelia nickte und runzelte die Stirn, während sie den Priester beobachtete. Er legte seine Hände auf sie, schloss die Augen und murmelte leise ein Gebet. Sie konnte seine Energie spüren, das leichte Kribbeln seiner Magie, während er sie untersuchte. Er war gebrechlich, sein Körper geschwächt – vielleicht von dem Fluch, der ihn während ihrer Abwesenheit getroffen hatte.
Nach einem Moment trat der Priester zurück, seine Augen weit aufgerissen, sein Gesichtsausdruck schockiert und ungläubig. Er sah Aurelia an, seine Stimme voller Ehrfurcht. „Der Fluch … Er ist weg.“
Die Dienstmädchen stießen einen kollektiven Seufzer der Erleichterung aus, ihre Augen weiteten sich und Tränen der Erleichterung liefen ihnen über die Wangen. Sie jubelten, ihre Stimmen voller Freude, und die Spannung, die den Raum erfüllt hatte, löste sich endlich auf.
Doch inmitten der Feierlichkeiten verspürte Aurelia ein Gefühl der Unruhe in ihrer Brust. Sie runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen und starrte auf ihre Hände, während ihre Gedanken rasend schnell kreisten. Das war seltsam – irgendetwas war anders. Irgendetwas stimmte nicht.
Sie murmelte vor sich hin, ihre Stimme kaum zu hören über den Jubelrufen ihrer Dienstmädchen. „Das ist seltsam …“
Niemand hörte sie. Alle waren zu sehr in die Freude des Augenblicks vertieft, zu erleichtert, dass sie wach und wohlauf war. Aber Aurelia wurde das Gefühl nicht los, dass etwas nicht stimmte. Jedes Mal, wenn sie die Welt der Quest betreten hatte, war die Zeit in ihrer realen Welt kaum vergangen. Es waren immer nur ein paar Sekunden gewesen, egal wie lange sie dort verbracht hatte.
Aber dieses Mal war es anders. Sie war zwei Tage lang weg gewesen.
Und sie hatte keine Ahnung, warum.
Aurelia starrte auf ihre Hände, die Stirn gerunzelt, das Herz pochte in ihrer Brust. Da war eine Schwere, ein Gefühl, das sie nicht abschütteln konnte – das Gefühl, dass sich etwas verändert hatte, etwas Grundlegendes, das sie noch nicht verstehen konnte.
„Das ist seltsam“, flüsterte sie, ihre Stimme kaum hörbar, die Augen voller Unsicherheit.