„Also, Elara“, sagte Professor Astrid mit ruhiger Stimme, die die Stille füllte und alle Blicke auf sie zog. Astrids silberner Zopf schwang leicht, als sie auf die Kugel deutete. „Deine Aufgabe ist es, Angst zu kanalisieren – sie zu kontrollieren, zu fokussieren. Angst ist ein starkes, vielschichtiges Gefühl, und um es zu beherrschen, braucht es Präzision. Fang an, wenn du bereit bist.“
Elara nickte leicht, ihr stoisches Gesicht verriet nichts von der Unruhe, die in ihr brodelte. Im Gegensatz zu Amberines feurigem Temperament war Elara immer stolz auf ihre Selbstbeherrschung gewesen. Präzision war ihr alles. Schließlich war sie ein Wunderkind, die Tochter des Grafen Valen, von der erwartet wurde, dass sie in allem, was sie anfasste, brillierte. Aber Angst? Das war nichts, was sie leicht zugab, geschweige denn direkt konfrontieren wollte.
Ohne ein Wort zu sagen, ging Elara auf die Kugel zu. Ihr unheimliches Leuchten pulsierte vor ihr und warf ein seltsames Licht auf ihr blasses Gesicht. Sie holte tief Luft, schloss die Augen und ließ ihren Körper entspannen, während sie versuchte, in die Tiefen ihres Geistes vorzudringen. Angst war etwas, das sie sich nie erlaubt hatte. Sie war immer ruhig gewesen, hatte sich unter Kontrolle gehabt und ihre Gefühle beherrscht.
Doch diese Aufgabe war anders. Das war nicht wie das Weben eines komplexen Zauberspruchs während Dravens Zwischenprüfung – hier musste sie sich mit etwas viel Tieferem, etwas Beunruhigendem auseinandersetzen.
Während sie so dastand, kamen Erinnerungen hoch – Dravens harte Kritik, der Druck der Erwartungen ihrer Familie, der wie eine unsichtbare Hand auf ihr lastete, und die nagende Unsicherheit über ihre eigene Zukunft.
Diese Gedanken hatte sie immer mit sich herumgetragen, aber sie hatte sie beiseite geschoben und unter einer Schicht aus Gelassenheit und Selbstdisziplin begraben.
Doch jetzt kamen sie an die Oberfläche, wie dunkle Wolken, die einen ruhigen Himmel bedrohten.
Wer bin ich wirklich?
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Der Gedanke kam unaufgefordert, und ihre Gedanken drehten sich um Fragen, die sie sich noch nie gestellt hatte. War sie ein Genie, weil sie Elara Valen war, die Tochter des Grafen Valen, oder war sie Elara Valen, weil sie ein Genie war? Ihre Identität war immer mit ihrem Talent und ihrer unerschütterlichen Selbstbeherrschung verbunden gewesen. Aber jetzt, da Angst in ihr aufkam, fragte sie sich, ob das alles war, was sie ausmachte.
Eine perfekte Maschine, gebaut, um erfolgreich zu sein, aber innerlich leer.
Was mache ich hier? Was ist mein Ziel? Habe ich wirklich die Kontrolle?
Ihr Herzschlag beschleunigte sich, kalter Schweiß bildete sich auf ihrer Stirn. Dies war keine einfache Übung in Magie mehr. Es war tiefer, persönlicher. Angst, die Emotion, die sie immer weggesperrt hatte, stieg in ihr auf und drohte, sie zu überwältigen. Der einst feste Boden unter ihr schien sich zu verschieben, als würde sich unter ihr ein unsichtbarer Abgrund auftun.
In den Tiefen ihres Geistes begann sich eine Welt zu formen. Der Raum um sie herum verschwand und wurde durch eine kalte, unbekannte Landschaft ersetzt. Es war ein öder Ort, über dem ein dunkler Himmel aufragte und der Wind heulte und Zweifel und Unsicherheiten mit sich trug. Sie stand allein in dieser trostlosen Welt, umgeben von wirbelnden Schatten, die ihren Namen flüsterten.
Die scharfe Kante der Angst durchbohrte sie und schnitt mit jedem Atemzug tiefer.
Dann sah sie sie – Augen. Dutzende, Hunderte, die sie aus den Schatten beobachteten. Ihr Blick war kalt, gefühllos und drang in ihre Seele, als würden sie ihren Wert beurteilen. War sie wirklich ein Genie oder nur ein Gefäß für die Erwartungen ihrer Familie? Hatte sie eigene Ziele oder war sie ihr ganzes Leben lang von der Angst vor dem Versagen getrieben worden?
Jede unbeantwortete Frage nagte an ihr und riss ihre sorgfältig errichteten Mauern aus Logik und Vernunft ein.
Wer bist du? flüsterten die Stimmen. Wovor hast du Angst?
Der Wind frischte auf und heulte lauter, während die Schatten näher kamen. Ihre Hände zitterten, und zum ersten Mal spürte Elara etwas, das sie sich nie zuvor erlaubt hatte – Hilflosigkeit. Die Dunkelheit begann sie zu umhüllen, kalt und erstickend, die Augen ließen sie nicht los. Jeder Atemzug war ein Kampf, ihr Herz raste, als Panik in ihr aufkam.
Das ist Angst.
In diesem Moment, inmitten der wirbelnden Schatten, wurde Elara klar, was Angst wirklich war. Es war nicht nur die Angst vor Versagen oder Enttäuschung – es war die Angst vor dem Unbekannten. Die Angst, nicht zu verstehen, wer sie unter all den Schichten aus Erwartungen und Kontrolle wirklich war. Es war eine Angst, die so tief und ursprünglich war, dass sie sie bis ins Mark erschütterte.
In diesem Moment spürte sie, wie sich eisiger Schrecken um ihr Herz legte.
Sie riss die Augen auf und war wieder in der Forschungsanlage, wo sie vor der Kugel stand.
Die Angst hatte sie verfolgt.
Sie spürte sie tief in ihrer Brust, als sie ihre Hände auf die Oberfläche der Kugel legte. Die kalte, scharfe Kante der Angst strömte aus ihren Fingerspitzen in die leuchtende Kugel.
Die Farben der Kugel veränderten sich augenblicklich und verwandelten sich von Amberines wütendem Rot in tiefes Violett und Schwarz. Das unheimliche Leuchten pulsierte bedrohlich und warf dunkle Schatten über den Raum.
Elara spürte, wie ihr Herzschlag schneller wurde, als sie die Angst in die Kugel leitete, während die Kälte sich von ihren Händen ausbreitete und in ihre Adern sickerte.
Die Temperatur im Raum sank, die Luft wurde kälter und schwerer. Elara stockte der Atem, ihr einst gleichmäßiger Atemrhythmus war jetzt flach und unregelmäßig. Sie spürte, wie die Angst sie überwältigte und mit jeder Sekunde stärker wurde. Ihr Herz pochte in ihren Ohren, die Last der Emotionen drückte auf sie wie eine Zange.
Die Kugel pulsierte heftig und absorbierte die Angst zunächst mit beunruhigender Leichtigkeit, als hätte sie auf diesen Moment gewartet. Aber als Elara weiterhin ihre Emotionen in sie hineinschüttete, veränderte sich etwas. Die Kugel flackerte, ihr einst gleichmäßiges Leuchten war jetzt unregelmäßig und instabil.
Dunkle Risse bildeten sich auf ihrer Oberfläche, und die Instrumente um sie herum begannen unangenehm zu summen, als würden sie darum kämpfen, die Energie einzudämmen.
Die Angst in Elara schwoll unkontrolliert an und ergoss sich wie eine Flut in die Kugel. Dunkle Blitze zuckten aus der Kugel und schlugen auf die umgebenden Geräte ein, und der Raum füllte sich mit dem scharfen Knistern instabiler Magie. Die Schatten im Raum schienen länger zu werden, das Licht wurde schwächer, als würde die Angst selbst die Luft um sie herum verschlingen.
„Elara!“, rief Amberine mit dringlicher Stimme, die die Spannung durchbrach.
Ohne nachzudenken, eilten Amberine und Maris vorwärts und zogen Elara von der Kugel weg. Sie packten sie an den Armen und rissen sie von der knisternden Magie weg. Elaras Augen waren weit aufgerissen, ihr Atem ging stoßweise, als sie rückwärts taumelte, die Angst noch immer am Rande ihres Bewusstseins. Die Kugel, nun frei von ihrem Einfluss, sprühte und flackerte schwach, bevor sie wieder in ihr schwaches Leuchten zurückfiel.
Es folgte eine bedrückende Stille, und ein Gefühl der Angst lag in der Luft.
„Elara, bist du okay?“, fragte Maris mit sanfter, aber besorgter Stimme. Ihre Empathie, die immer präsent war, erreichte Elara wie eine beruhigende Berührung, obwohl sogar sie von dem, was gerade passiert war, erschüttert schien.
Amberine, die immer noch Elaras Arm festhielt, warf ihr einen besorgten Blick zu. „Das war … heftig. Bist du sicher, dass alles in Ordnung ist?“
Elaras Herzschlag verlangsamte sich, ihr Atem wurde ruhiger, als sie sich aufrichtete. Die Kälte in ihrer Brust hielt noch an, ein Überbleibsel der Angst, die sie heraufbeschworen hatte, aber sie verbarg sie hinter ihrer üblichen stoischen Miene.
Sie nickte leicht, ihre Stimme klang kühl und distanziert, als wäre nichts passiert. „Mir geht es gut. Wie immer.“
Amberine hob eine Augenbraue, sichtlich unüberzeugt, hakte aber nicht weiter nach. Die Spannung zwischen ihnen ließ etwas nach, aber irgendetwas stimmte nicht. Elara war anders als sonst.
Sie schaute auf ihre Hand, die die Kugel berührt hatte und trotz ihrer ruhigen Haltung immer noch leicht zitterte. Die Angst, der sie sich gestellt hatte, war nicht verschwunden. Sie war immer noch da, lauerte unter der Oberfläche und wartete.
„Meine Angst …“, flüsterte sie kaum hörbar.
Amberine und Maris sahen sich an, unsicher, was sie von dieser leisen Bemerkung halten sollten, aber keine drängte sie. Elaras Blick blieb auf ihrer Hand haften, als sähe sie sie zum ersten Mal.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Elara etwas berührt, das tiefer ging als ihre Magie – etwas, von dem sie nicht sicher war, ob sie es verstehen wollte. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr.