Ihre Hand, die vor Müdigkeit gezittert hatte, bewegte sich jetzt ruhig und präzise, als sie die letzte Rune in den Kreis schrieb. Die Linien flossen mühelos aus ihrer Feder, geleitet von etwas, das tiefer lag als Gedanken. Mit jedem Strich wurde der magische Kreis in ihrem Kopf klarer, nicht nur als abstraktes Konzept, sondern als etwas Greifbares, etwas Reales.
Ihre Gedanken, die zuvor von Erschöpfung getrübt waren, waren jetzt messerscharf und ganz auf die Aufgabe vor ihr konzentriert.
Als die letzte Rune ihren Platz einnahm, geschah eine Veränderung. Zunächst war sie nur subtil – ein leichtes Zittern in der Luft um sie herum –, aber Amberine spürte sie sofort. Der magische Kreis war nicht mehr nur eine theoretische Übung. Er war zum Leben erwacht, leuchtete schwach auf dem magischen Prüfungsbogen und strahlte seine Energie in sanften Wellen aus.
Das Gewicht des Raumes schien auf ihr zu lasten, erfüllt von einer Energie, die sie zuvor nicht bemerkt hatte. Es war jedoch nicht bedrückend, sondern zielstrebig, als wäre die Luft selbst sich dessen bewusst, was sie geschaffen hatte.
Sie kniff die Augen zusammen und beugte sich näher zum Kreis. Die Runen verschoben sich leicht, fast so, als würden sie sich auf ihre Anwesenheit einstellen. Das Leuchten wurde intensiver und pulsierte im Takt ihres Herzschlags. Für einen kurzen Moment hätte sie schwören können, dass der Kreis lebendig war – atmend, beobachtend, wartend.
Es hatte etwas zutiefst Persönliches, als wäre der Kreis ein Spiegelbild von ihr, von den Emotionen, die sie unter Schichten von Erschöpfung und Frustration begraben hatte.
„Ifrit“, flüsterte sie und spürte die vertraute Wärme des Feuergeistes. Die sanfte Hitze, die unter ihrer Robe hervordrang, begleitete sie schon so lange, dass sie sie kaum noch bemerkte. Aber jetzt, da der magische Kreis geschlossen war, spürte sie die Verbindung noch intensiver.
Ifrit wachte nicht nur über sie – er nährte den Zauber mit seiner Wärme und verstärkte ihre Entschlossenheit mit jedem Flackern der Flammen, die unter der Oberfläche tanzten.
Das Gefühl, beobachtet zu werden, verstärkte sich, und Amberines Puls beschleunigte sich. Ihre Augen huschten durch den Raum, halb in der Erwartung, jemanden im Schatten stehen zu sehen, der ihre Arbeit beobachtete. Aber der Raum war leer. Die einzige Präsenz war die Magie selbst, die vor Energie summte. Sie beugte sich noch näher vor, ihr Atem war kaum mehr als ein Flüstern, als sie murmelte: „Was bist du?“
Die Runen leuchteten heller als Antwort, und Amberine spürte, wie ihr plötzlich alles klar wurde.
Der magische Kreis war nicht nur ein Werkzeug – er war eine Erweiterung ihrer Gefühle, ihres Willens. Er hatte ein Eigenleben angenommen, nährte sich von ihrer Entschlossenheit und kanalisierte sie in etwas Größeres. Ihre Erschöpfung, ihre Frustration, sogar ihre Angst – all das war Teil des Zaubers geworden, eingewoben in das Gewebe der Runen.
Amberine blinzelte, und in diesem Moment veränderte sich die Welt um sie herum.
Sie befand sich in einer weitläufigen, ätherischen Landschaft, wie sie nur in Träumen oder den tiefsten Reichen der Magie existierte. Die Luft war warm und von dem Geruch von Rauch und geschmolzenem Gestein erfüllt, aber es war nicht unangenehm. Stattdessen fühlte es sich vertraut an, wie ein zweites Zuhause. Sie stand am Rand eines ruhigen Vulkans, dessen Oberfläche schwach im sanften Licht der weit unten fließenden Lava glühte.
Um sie herum stand ein Holzhaus – wunderschön, rustikal und an den Berghang geschmiegt. Das Haus strahlte Wärme und Geborgenheit aus, ein Zufluchtsort inmitten der feurigen Landschaft. Im Inneren war alles friedlich und ruhig. Das Licht fiel in goldenen Strahlen durch die Fenster und warf sanfte Schatten auf den Holzboden.
Amberine atmete tief ein, ihre Augen weiteten sich vor Staunen. Das war nicht nur eine zufällige Vision – dieser Ort gehörte ihr. Er war Ausdruck ihrer Entschlossenheit, ihrer Willenskraft, die hier Gestalt angenommen hatte. Die ruhige und doch kraftvolle Präsenz des Vulkans spiegelte ihr feuriges Wesen wider, das zwar unter der Oberfläche brodelte, aber stets unter Kontrolle war.
Das robuste und schützende Haus symbolisierte die Stärke, die sie in sich selbst nicht immer erkannte.
Sie ging auf das Haus zu, angezogen von der Wärme und Geborgenheit, die es ausstrahlte. Jeder Schritt fühlte sich leicht an, als würde sie durch die Luft gleiten. Als sie sich der Tür näherte, erhaschte sie einen Blick auf sich selbst im Fenster. Ihre Augen, die normalerweise von Frust oder Müdigkeit getrübt waren, waren jetzt klar und konzentriert.
In ihrem Blick lag eine Stärke, die sie noch nie zuvor gesehen hatte – eine ruhige Zuversicht, die immer da gewesen war, aber unter Schichten von Zweifeln verborgen.
Zum ersten Mal verstand Amberine, was Draven ihr beibringen wollte. Magie bestand nicht nur darin, Zaubersprüche zu wirken oder Techniken zu erlernen. Es ging darum, Emotionen zu kanalisieren, Kraft aus dem Inneren zu schöpfen und sie die Magie formen zu lassen, die man einsetzte. Sie sprach nicht einfach nur einen Zauberspruch – sie schuf etwas Einzigartiges, etwas, das ihr innerstes Wesen widerspiegelte.
Die Schönheit der Vision, der ruhigen Landschaft und des Hauses, das ihre Stärke symbolisierte, erfüllte Amberine mit einem Gefühl des Friedens, das sie schon lange nicht mehr empfunden hatte. Es war, als wären all das Chaos und der Stress von ihr abgefallen und nur Klarheit und Zielstrebigkeit zurückgeblieben. Sie war fasziniert, hypnotisiert von der Einfachheit und Schönheit des Ganzen.
Sie blinzelte erneut, und die Vision verschwand.
Amberine war wieder in ihrem Zimmer, das sanfte Leuchten des magischen Kreises lag noch immer auf dem Bildschirm vor ihr. Aber etwas hatte sich verändert. Die Erschöpfung, die sie bedrückt hatte, war verschwunden und hatte einer ruhigen Konzentration Platz gemacht. Sie hatte es geschafft – sie hatte die letzte Herausforderung gemeistert.
Sie hatte nicht nur Draves unmögliche Frage beantwortet, sondern auch einen tiefgreifenden Durchbruch in ihrem Verständnis der Magie selbst erzielt.
Ein langsames Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie sich in ihrem Stuhl zurücklehnte und ihr Kopf vor Aufregung brummte. Der magische Kreis war vollständig, seine leuchtenden Runen pulsierten sanft im Takt ihres Herzschlags.
Sie griff nach dem Zauberprüfungsbogen und tippte schnell ihre Erklärung des Zauberspruchs – wie Entschlossenheit die Magie antrieb, ihre Kraft verstärkte, während die Gegenrunen sie in Schach hielten und verhinderten, dass der Zaubernde von seiner Besessenheit überwältigt wurde.
Amberine streckte sich und spürte, wie Stolz in ihr aufstieg. Sie war erschöpft, frustriert und kurz davor gewesen aufzugeben, aber sie hatte durchgehalten. Und jetzt war sie stärker als zuvor. Sie war nicht mehr nur eine Schülerin der Magie – sie beherrschte sie. Sie hatte sich ihren eigenen Zweifeln und Ängsten gestellt und war als Siegerin hervorgegangen.
Als sie sich in ihrem Stuhl zurücklehnte, kam ihr plötzlich ein Gedanke. Diese Vision – irgendetwas daran hatte eine Idee in ihr geweckt. Ihre Abschlussarbeit. Das Projekt, mit dem sie sich so lange herumgeschlagen hatte, schien ihr plötzlich klar. Sie wusste jetzt, was ihr gefehlt hatte. Sie hatte es aus dem falschen Blickwinkel angegangen und sich zu sehr auf die technischen Aspekte konzentriert und zu wenig auf die emotionale Verbindung, die die Magie antrieb.
„Natürlich“, murmelte sie, und ihre Augen leuchteten vor Inspiration. „Das ist es. Das habe ich übersehen.“ Erlebe neue Geschichten im Imperium
Ihre Erschöpfung war nun völlig vergessen. Sie schnappte sich ein frisches Stück Pergament und begann, Notizen zu machen, während ihr die Ideen nur so durch den Kopf schossen. Das war es – der Durchbruch, nach dem sie gesucht hatte. Sie hatte nicht nur Dravens Test bestanden, sondern auch den Schlüssel zu ihrer Abschlussarbeit gefunden.
Amberine lächelte vor sich hin und verspürte ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Sie hatte es so weit geschafft und war nun bereit für alles, was als Nächstes kommen würde.