„Ich hab die Fassung verloren“, murmelte er fast zu sich selbst. Mit einem distanzierten Ausdruck wischte er sich die Hände ab. Dann sah er Sylara an, die ihn immer noch vorsichtig beobachtete, und sagte: „Entschuldige, Sylara. Ich … hab mich hinreißen lassen.“ Seine Stimme klang flach, aber seine Worte hatten Gewicht, als würde es ihm wehtun, einen Fehler zuzugeben.
Er sah auf, seine Augen waren scharf, und sein Auftreten wurde wieder befehlend. „Komm schon. Lass uns gehen. Hol die Chimären.“
Sylara sah ihm noch einen Moment lang nach, eine Frage auf den Lippen, aber sie schluckte sie herunter und nickte stattdessen. Sie winkte die Chimären herbei, die schweigend zugesehen hatten und deren dunkle Gestalten noch immer schwach von der Magie schimmerten, die sie zuvor konsumiert hatten. Gehorsam trotteten sie herbei und senkten ihre monströsen Köpfe.
Sylara schloss sich Draven an, als sie sich durch die unterirdischen Kammern bewegten. Schließlich gewann ihre Neugierde die Oberhand. „Wohin gehen wir?“, fragte sie.
Draven antwortete nicht sofort, sein scharfer Blick war auf den Gang vor ihm gerichtet. Er bewegte sich mit einer Entschlossenheit, die keinen Raum für Zweifel ließ, und es schien, als kenne er jede Wendung, jeden schmalen Pfad wie seine Westentasche.
Nach einer Weile sah Sylara ihn an und kniff die Augen leicht zusammen. Da wurde ihr klar: Draven wanderte nicht einfach nur umher. Er wusste genau, wohin er ging, so wie sein Blick über die Wände huschte und wie selbstbewusst er schritt. Er kannte diesen Ort viel zu gut, als hätte er ihn schon tausend Mal in Gedanken durchlaufen.
Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag. Hier ging es nicht darum, Menschen zu retten oder auch nur zu befreien. Draven spielte nicht den Helden. Er wurde nicht von Mitgefühl für die Dorfbewohner oder gar Wut darüber getrieben, dass sie wie Vieh behandelt wurden. Nein, hier ging es um etwas Tieferes. Die Orks hatten die Würde der Menschen mit Füßen getreten, und Draven empfand das als persönliche Beleidigung.
Er sah, wie sie mit Menschenleben umgingen, und empfand das als Angriff auf etwas Grundlegendes – auf die Menschheit selbst. Er war nicht wegen der einzelnen Opfer wütend, sondern weil die Vorstellung von dem, was die Orks taten, eine Beleidigung war, die er nicht hinnehmen konnte.
Sie warf ihm einen Blick zu, aber bevor sie etwas sagen konnte, unterbrach Draven ihre Gedanken mit kalter, schneidender Stimme. „Folge mir einfach.“
Sylara hielt ihre Worte zurück und nickte nur, den Blick nach vorne gerichtet, obwohl ihr Kopf von Fragen schwirrte.
Sie gingen, was ihr wie Stunden vorkam, tiefer in das Höhlensystem hinein. Die Wände wurden dunkler, enger, und es fühlte sich an, als würden sie in etwas Altes und Vergessenes hinabsteigen.
Sylara wurde langsamer, weil sie sich unwohl fühlte. Die Chimären, die sonst immer unruhig waren, waren ungewöhnlich still, ihr Knurren war nur noch ein leises Murmeln.
Draven blieb schließlich stehen und starrte mit scharfem Blick auf eine massive Felswand vor ihnen. Sylara runzelte die Stirn und suchte die Oberfläche ab. Es war eine Sackgasse. Sie wollte etwas sagen, hielt sich aber zurück, als sie Draven beobachtete.
Er bewegte sich zielstrebig, als hätte er etwas vor. Seine Hände bewegten sich geschickt, griffen in seinen Mantel und holten seine Sammlung magischer Stifte hervor. Jeder Stift schwebte vor ihm und strahlte in der düstren Dunkelheit der Höhle.
Sylara riss die Augen auf, eine Frage formte sich auf ihren Lippen, doch Dravens Stimme durchbrach die Stille.
„Zerstört es.“
Die Stifte bewegten sich gleichzeitig, ihre Kräfte vereinigten sich und die magische Energie wirbelte in leuchtenden Farben. Die Luft um sie herum schien zu summen, die schiere Kraft, die von den Stiften ausging, drückte gegen Sylara’s Brust. Der Boden unter ihnen bebte und dann, mit einem ohrenbetäubenden Krachen, begann die Wand zu bröckeln, große Steine fielen herunter und gaben den Blick auf etwas dahinter frei.
Sylara blinzelte und hielt den Atem an. Die Wand fiel vollständig weg und an ihrer Stelle war eine Öffnung – ein dunkler Weg, der weiter hinunterführte, tiefer ins Unbekannte.
Sie machte einen Schritt nach vorne und spähte mit großen Augen in die Dunkelheit. „Was … was ist das?“, flüsterte sie mit ehrfürchtiger Stimme. Sie drehte sich zu Draven um. „Wo gehen wir hin, Draven?“
Draven schaute sie nicht einmal an, sein Blick war starr nach vorne gerichtet. Er trat durch die neu entstandene Öffnung, seine Stimme ruhig und ohne zu zögern. „Wir machen uns auf zur nächsten Quest.“
Sylara neigte den Kopf, Verwirrung in ihrem Blick. „Die nächste Quest?“, wiederholte sie mit unsicherer Stimme.
Draven warf ihr einen flüchtigen Blick zu, seine Augen waren hart. Er ging nicht weiter darauf ein, sondern ging einfach weiter, mit langen, entschlossenen Schritten. Sylara schluckte ihre Fragen herunter und nickte sich selbst zu, während sie ihm folgte. Die Chimären bewegten sich hinter ihnen, ihre Augen leuchteten in der Dunkelheit, ihre Anwesenheit ließ die Luft noch schwerer werden.
Während sie gingen, konnte Sylara das Gefühl nicht abschütteln, dass etwas anders war. Die Luft schien sich zu verändern, die kalten Steinwände der Höhle schmolzen zu etwas völlig anderem dahin. Sie fühlte sich desorientiert, als hätte sich der Boden unter ihr verändert, obwohl sie das nicht bemerkt hatte. Es war fast so, als wären sie teleportiert worden, in einem Augenblick von einem Ort zum anderen versetzt.
Sie sah sich um und kniff die Augen zusammen. Die einst enge Höhle hatte sich zu einer weiten, öden Landschaft geöffnet. Sie standen inmitten der Überreste eines Waldes – hohe, uralte Bäume, deren Äste knorrig und verdreht waren, aber jetzt welk. Die Blätter waren verkohlt, als wären sie verbrannt, und der Boden war mit Asche bedeckt.
Draven ging weiter, ohne einen Blick auf den Wald zu werfen, sein Blick war fest auf das Ziel gerichtet. Sylara hingegen wurde langsamer und starrte mit großen Augen auf die Szene. Der Ort hatte etwas Unheimliches an sich, die Stille war bedrückend, die Luft roch nach etwas, das schon lange tot war.
„Was ist das für ein Ort?“, flüsterte sie mit leicht zitternder Stimme.
Draven antwortete nicht, sondern ging weiter, den Blick scharf auf den Weg vor ihm gerichtet. Sylara schluckte, schüttelte leicht den Kopf und eilte ihm nach. Sie gingen durch den welken Wald, dessen Bäume wie Skelettüberreste über ihnen aufragten, während der Weg unter ihren Füßen eine gewundene Spur aus verbrannter Erde war.
Endlich kamen sie an. Sylara riss die Augen auf und hielt den Atem an.
Vor ihnen stand eine Ansammlung von Häusern – Häuser, die aus den Bäumen selbst zu wachsen schienen. Sie waren in die Stämme gebaut, ihre Formen waren verdreht und mit den Ästen verschmolzen, das Holz verkohlt und geschwärzt, als wären sie in einem Feuer gefangen gewesen. Es war klar, dass sie verlassen waren, die Fenster waren dunkel, die Türen standen offen, die Luft war dick von Rauch und Verwesung.
Sylara machte einen Schritt vorwärts, ihre Augen weit aufgerissen vor Schock. „Sag mir nicht, dass das die Überreste eines Elfen Dorfes sind?“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, voller Unglauben.
Draven blieb endlich stehen und drehte sich zu ihr um. Sein Blick war kalt und distanziert, aber da war noch etwas anderes – etwas, das für einen Moment in seinen Augen aufblitzte.
„Ja“, sagte er mit tonloser Stimme, ohne jede Emotion. „Die Überreste eines Elfen-Dorfes. Ein Dorf, das einst blühte, bis die Orks beschlossen, dass es zu nichts anderem taugt, als als Brennstoff für ihre Feuer zu dienen.“
Sylara schluckte und ließ ihren Blick über das zerstörte Dorf schweifen. Die Luft war schwer, eine Last schien auf ihrer Brust zu lasten.
Sie konnte die Echos dessen spüren, was einst gewesen war – ein Dorf voller Leben, voller Lachen, jetzt nur noch Asche und Stille.
Draven ging vorwärts und näherte sich dem nächsten Haus. Er legte seine Hand auf das verkohlte Holz und starrte in die Ferne. „Sie haben es niedergebrannt“, sagte er mit leiser Stimme, fast flüsternd. „Alles verbrannt. Nichts übrig gelassen.“
Sylara beobachtete ihn, ihr Herz pochte in ihrer Brust. Jetzt konnte sie es sehen – die Dunkelheit, die ihn antrieb, die Wut, die unter der Oberfläche brodelte. Es ging nicht nur um die Menschen, um die Dorfbewohner. Es ging um etwas Tieferes, etwas, das jeden Teil dieser Welt berührte. Die Orks hatten nicht nur Menschenleben zerstört, sondern auch die der Elfen.
Sie hatten jede Rasse, jedes Wesen behandelt, als wären sie nichts weiter als Werkzeuge, Dinge, die man benutzt und wegwirft.
Und Draven, kalt wie er war, würde das nicht zulassen.
Er wandte sich vom Haus ab und sah Sylara an. „Deshalb müssen wir weitermachen“, sagte er mit kalter Entschlossenheit in der Stimme. „Deshalb können wir nicht aufhören, bis jeder einzelne von ihnen vernichtet ist.“
Sylara nickte, ihre Augen weit aufgerissen, ihr Herz pochte. Jetzt spürte auch sie es – die Last dessen, wofür sie kämpften. Es ging nicht nur um Rache, um Wut. Es ging um etwas viel Größeres. Es ging darum, sicherzustellen, dass niemand mehr leiden musste, dass kein anderes Dorf – ob von Menschen, Elfen oder anderen Wesen bewohnt – in Schutt und Asche gelegt wurde.
Draven drehte sich um, sein Blick war scharf, seine Augen fixierten den Weg vor ihm. Er machte einen Schritt vorwärts, seine Haltung war angespannt, jede seiner Bewegungen strahlte Entschlossenheit aus.
„Los geht’s“, sagte er, seine Stimme durchbrach die Stille.