Fünf Minuten waren vergangen, und sie war kaum vorangekommen.
Ihr Notizbuch war voll mit Kritzeleien, groben Entwürfen des magischen Kreises. Sie hatte ihn perfekt nachgezeichnet, Strich für Strich, aber das reichte nicht. Es ging nicht darum, ihn zu kopieren, sondern ihn an ihre eigene Magie anzupassen. Und genau da steckte Amberine fest. Egal, wie sehr sie sich auch bemühte, die Formel zu manipulieren, es fühlte sich nicht richtig an. Weiterlesen auf empire
Das Feuer in ihr widersetzte sich jedem Versuch, den Kreis nach ihrem Willen zu formen.
Sie sah sich im Raum um und beobachtete die anderen. Elara saß wie immer gelassen da, ihr goldenes und blaues Mana wirbelte in perfekter Harmonie um sie herum. Ihr Notizbuch war ordentlich organisiert, und sie bewegte bereits ihre Hand in der Luft und zeichnete den Kreis präzise nach.
Maris, die nur ein paar Plätze entfernt saß, hatte einen entschlossenen Ausdruck im Gesicht, ihre Stirn war gerunzelt, während sie ihre eigene Version der Barriere skizzierte. Selbst sie schien Fortschritte zu machen, ihre Finger bewegten sich selbstbewusst über das Papier.
Amberine wurde immer frustrierter. Warum fiel es den anderen so leicht? Sie schienen es zu verstehen, als hätte sich in ihren Köpfen ein magischer Kreis geschlossen. Für sie aber war es unerreichbar – so nah, dass sie es spüren konnte, aber zu weit weg, um es zu begreifen. Sie umklammerte den Stift fester, ihre Knöchel wurden vor Anspannung weiß.
„Verdammt“, murmelte sie leise und schüttelte den Kopf.
Die Minuten vergingen, und ihre Konzentration begann nachzulassen. Die Kritzeleien auf ihrem Blatt verschwammen, als sie sie anstarrte und versuchte, ihrem Gehirn das Verständnis aufzuzwingen. Aber je mehr sie sich bemühte, desto weiter schien die Lösung entfernt zu sein. Panik nagte an ihr. Alle anderen verstanden es. Warum nur sie nicht?
Du bist eine Flamme. Du bist nicht dazu bestimmt, den anderen zu folgen.
Die Stimme war leise und ruhig, aber sie durchdrang ihre Frustration wie ein Messer. Amberine blinzelte und riss die Augen auf, als sie erkannte, dass es Ifrit war. Der Feuergeist regte sich unter seiner Robe, seine Präsenz war warm und beständig.
Beruhige dich. Konzentriere dich.
Amberine atmete zittrig aus, ihr Herz raste immer noch. Aber irgendetwas an Ifrits Stimme beruhigte den Sturm in ihr. Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte, sich zu sammeln und zuzuhören.
Du bist Feuer, fuhr Ifrits Stimme fort, sanft und beruhigend. Du musst nicht wie sie sein. Brenne. Verdichte dich. Das ist es, was Feuer tut. Es folgt nicht, es verzehrt.
Amberines Hände entspannten sich, ihr Griff um den Stift lockerte sich. Sie war nicht wie Elara oder Maris. Ihre Magie konnte nicht auf dieselbe Weise kontrolliert werden. Feuer war anders. Es musste mit Kraft kontrolliert werden, aber nicht mit Starrheit. Es ging nicht darum, sich anzupassen.
Sie musste die Form um ihr Feuer herum gestalten.
Gerade als Ifrits Worte zu ihr durchdrangen, schnitt Dravens Stimme scharf und befehlend durch den Raum. Seine Augen waren geschlossen, aber seine Stimme klang klar.
„Bei Magie dreht sich alles um Vorstellungskraft“, sagte er mit ruhiger, aber eindringlicher Stimme. „Ja, es gibt genaue Gleichungen, Regeln und Strukturen. Aber ohne Vorstellungskraft sind sie nutzlos.
Du kannst die Verteidigung von jemandem nicht durchbrechen, wenn du dir nicht vorstellen kannst, wie du sie durchbrichst. Willenskraft und Vorstellungskraft sind die Grundlage jedes Zaubers. Ohne sie ist die Formel bedeutungslos.“
Amberine spürte, wie es in ihr klickte. Vorstellungskraft. Sie hatte sich so sehr darauf konzentriert, die Formel perfekt zu lernen und die Zeilen genau zu kopieren, dass sie sich nicht erlaubt hatte, die Magie wirklich zu spüren. Bei Feuer ging es nicht um Struktur – es ging um Instinkt, um Willenskraft.
Sie holte tief Luft, schloss die Augen und versuchte, sich den Kreis vorzustellen. Aber anstatt sich zu zwingen, ihn mit dem auf dem Brett in Übereinstimmung zu bringen, ließ sie sich von den Flammen in ihrem Inneren leiten. Der magische Kreis war nichts, in das sie ihre Magie zwingen musste – er war etwas, das sie mit ihrer Magie formen musste.
Die Flammen wirbelten in ihrem Kopf herum, und langsam begannen sich die Linien des Kreises zu verdrehen und sich ihrem Willen zu beugen.
Brennen. Verdichten.
Sie riss die Augen auf und zum ersten Mal ergab der Kreis einen Sinn. Jetzt konnte sie sehen, wie er fließen sollte, wie er sich bewegen und an ihre Feuermagie anpassen konnte. Die starren Linien auf dem Brett sollten sie nicht zurückhalten – sie waren nur der Ausgangspunkt.
Mit neu gewonnener Klarheit beschwor Amberine ihre Mana herbei und formte mit ruhigem Atem den Kreis vor sich. Die Flammen tanzten um ihre Finger und verdichteten sich zu einer fokussierten, präzisen Form. Der magische Kreis materialisierte sich vor ihr und leuchtete mit einem feurigen Licht. Er war nicht derselbe wie der auf dem Brett – er war ihrer. Er hatte sich leicht verschoben, die Linien waren fließender, die Striche schärfer.
Es passte perfekt zu ihrer Magie.
Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, als sie sah, wie die Barriere Gestalt annahm. Sie war wunderschön, schöner, als sie es sich vorgestellt hatte. Es war nicht nur eine Feuerwand – sie war präzise, kontrolliert, aber dennoch voller roher Kraft, die sie so liebte.
Amberines Hände bewegten sich, und der magische Kreis folgte ihnen, passte sich mühelos an, während sie die Linien veränderte und die Striche optimierte. Draven’s Worte aus vergangenen Vorlesungen hallten in ihrem Kopf wider.
„Verstehe den Mechanismus eines magischen Kreises“, erinnerte sie seine Stimme. „Das ist der Schlüssel zur Abstimmung von Magie.“
Amberine nickte vor sich hin und murmelte leise. „Verstehen. Analysieren. Kontrollieren.“
Die Barriere vor ihr verfestigte sich, die Flammen flackerten intensiv, blieben aber perfekt geformt. Jetzt konnte sie es spüren, die Kraft ihrer Magie, wie sie auf ihren Willen reagierte. Sie zwang sie nicht mehr – sie lenkte sie.
Mach dir deine Magie zu eigen. Dravens Stimme hallte erneut in ihrem Kopf wider.
Amberine grinste und vollendete mit ruhigen Händen den letzten Strich des Kreises. „Nimm sie in Besitz.“
Und das tat sie. Die Barriere gehörte ihr – mächtig, präzise und vollständig unter ihrer Kontrolle. Als das letzte Flackern der Flammen erlosch, spürte sie, wie die Energie um sie herum summte, stark und unerschütterlich.
Amberine trat einen Schritt zurück und bewunderte ihr Werk. Aber es war nicht nur sie. Sie spürte es – Elara’s goldenes Mana und Maris‘ Illusionen, die gleichzeitig ihre Barrieren bildeten.
Es war, als hätten sie alle gleichzeitig dieselbe Entscheidung getroffen, ihre Magie floss in perfekter Harmonie zusammen.
Sie drehte den Kopf leicht zur Seite und sah Elaras Barriere neben sich schimmern, eine perfekte Mischung aus goldenem Licht und Wasser. Sie war makellos, wie erwartet, jede Linie des Kreises war fehlerfrei. Und dann war da noch Maris, deren Barriere eine wirbelnde Mischung aus Illusionen und verfestigtem Mana war, ein Beweis dafür, wie weit sie gekommen war.
Amberine konnte nicht anders, als stolz zu sein – nicht nur auf sich selbst, sondern auf alle. Sie hatten es geschafft.
Als hätten sie ihren gemeinsamen Erfolg gespürt, drehten Amberine, Elara und Maris sich alle nach vorne.
Draven stand da, seine scharfen Augen musterten ihre Arbeit, sein Gesicht war wie immer unlesbar. Aber diesmal war etwas anders – ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Es war subtil, kaum wahrnehmbar, aber es war da.
Einen Moment lang konnte Amberine es nicht glauben. Draven lächelte? Es war, als würde man einen Riss in einer Steinmauer sehen, etwas Unmögliches und doch unbestreitbares.
Und dann verschwand das Lächeln genauso schnell, wie es aufgetaucht war. Dravens kalte, befehlende Stimme hallte erneut durch den Raum.
„Die Zeit ist um.“
Die Worte hallten durch das Klassenzimmer und holten alle zurück in die Realität. Die Barrieren flackerten einen Moment lang und verschwanden dann, nur die schwachen Spuren von Mana blieben in der Luft zurück. Amberine spürte, wie die Energie aus ihr wich, aber das Gefühl der Erfüllung blieb.
Sie warf einen Blick auf Elara und Maris, die beide genauso fassungslos wirkten wie sie. Sie hatten es alle geschafft. Sie hatten alle ihre Barrieren errichtet, genau wie Draven es ihnen gesagt hatte.
Draven trat vor, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, und sah sich im Raum um. Sein Blick verweilte einen Moment lang auf jedem von ihnen, bevor er sprach.
„Ihr habt den ersten Schritt gemacht, um zu verstehen, was es bedeutet, eure Magie zu kontrollieren“, sagte er mit leiser, aber fester Stimme. „Aber das ist erst der Anfang. Eine Barriere ist nicht das Ziel – sie ist nur ein Werkzeug. Ihr werdet noch viele Herausforderungen meistern müssen und müsst bereit sein, euch anzupassen, zu verändern und eure Magie mit jedem neuen Hindernis zu verfeinern.“
Amberine stand da, atmete schwer und ihr Herz raste immer noch. Aber diesmal war es nicht aus Angst oder Frustration – es war aus Aufregung. Sie hatte es geschafft. Sie hatte ihre Magie auf eine Weise kontrolliert, wie sie es noch nie zuvor getan hatte, und zum ersten Mal seit langer Zeit hatte sie das Gefühl, dass sie wirklich mit allem fertig werden konnte, was als Nächstes kommen würde.
Dravens Blick traf für einen kurzen Moment den ihren, und Amberine glaubte, ein Anzeichen von Anerkennung in seinen Augen zu sehen, bevor er sich abwandte.
„Zeit, deine Barrieren zu testen“, sagte er einfach.