Lex erzählte noch mal alles, was passiert war, weil er mittlerweile ziemlich sicher war, dass seine Vermutung stimmte. Kaum hatte Lex fertig erzählt, sagte Lord Belmont, als würde er Lex‘ Gedanken bestätigen: „Der ‚Älteste‘, der dich eingeladen hat, ist einer unserer am strengsten bewachten Gefangenen und sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis.
Er ist seit mehreren hundert Jahren in Einzelhaft, also hätte er dich unmöglich einladen können. Entweder hat sich jemand als er ausgegeben oder er hat einen Weg gefunden, unter unserer Nase aus dem Gefängnis zu entkommen.“
Lex machte sich nicht die Mühe, sein Seufzen zu unterdrücken. Natürlich würde er in irgendeinen großen Plan verwickelt sein. Ehrlich gesagt war ihm das sogar egal. Seine größte Sorge war, dass er vorhatte, die Position des Ältesten, der ihn eingeladen hatte, während der bevorstehenden Hochzeit ein Treffen der Anführer in seiner Taverne zu veranstalten, zu nutzen.
Das war jetzt offensichtlich keine Option mehr. Aber Lex hatte schon eine Alternative parat. Dieser Lord Belmont schien eine wichtige Person zu sein. Wenn er eine wichtige Rolle bei der Lösung dieser Situation spielen würde, könnte er vielleicht eine Beziehung zu ihm aufbauen, die stark genug wäre, um ihn zu sich zu holen. Dafür würde er alles versuchen, sogar den goldenen Schlüssel für das Midnight Inn einsetzen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.
„Was machen wir jetzt?“, fragte Lex, obwohl er bereits wusste, wie es wahrscheinlich weitergehen würde.
„Wir müssen natürlich Nachforschungen anstellen. Dazu brauchen wir deine Mithilfe, da du Ezio treffen musst, um seine Identität zu bestätigen.“
Lex nickte, als würde er einer Bitte zustimmen. Silvia hatte ihm zwar schon gesagt, dass er kooperieren müsse, falls er in einen Rechtsstreit verwickelt sei, aber das traf auf ihn nicht zu. Wenn er gehen wollte, wer könnte ihn schon aufhalten? Er musste nur daran denken, um den Teleportationsprozess zur Herberge zu starten.
„Lord Belmont“, sagte Lex zu dem Mann und beschloss, vorerst seinen Titel zu verwenden. „Obwohl sich die Lage geändert hat, seit ich weiß, dass Ezio ein Verbrecher ist, bin ich wegen einer Angelegenheit in die Kristallnation gekommen, die für das ganze Reich von großer Bedeutung ist. Ich hatte gehofft, dass er mir, nachdem ich ihm bestimmte wichtige Informationen gegeben habe, helfen könnte, jemanden mit höherer Autorität zu kontaktieren.“
Lord Belmont lächelte, als hätte er etwas Niedliches von einem Kind gehört.
„Wir brauchen zwar deine Hilfe, um herauszufinden, ob die Person, die du getroffen hast, Ezio war, aber sobald das geklärt ist, kannst du dein Gespräch führen. Er mag zwar ein Verbrecher sein, aber er hat immer noch großen Einfluss auf die Nation. Dein Ziel kann vielleicht noch erreicht werden. Wenn es sich nicht um eine geheime Angelegenheit handelt, kann ich auch zuhören. Wenn es wirklich eine Angelegenheit ist, die das gesamte Reich betreffen könnte, werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, um sie zu lösen.“
Wäre die Angelegenheit nicht so ernst gewesen, hätte Lex irgendwie bezweifelt, dass sie wirklich helfen würden. Schließlich hatten sie einen Krieg im ganzen Reich zugelassen, ohne sich um die Folgen zu kümmern. Oder vielleicht gab es noch einige Geheimnisse, in die er nicht eingeweiht war.
So oder so, das war das Beste, was er im Moment tun konnte.
Da die Sache entschieden war, zögerte Lord Belmont nicht lange. Er schickte Silvia zurück, legte seine Hand auf Lex‘ Schulter und teleportierte die beiden an einen völlig neuen Ort. Während dieses einzigen Sprungs war Lex den Gesetzen des Weltraums stärker ausgesetzt als je zuvor, was ihm einen Einblick in die Teleportation verschaffte.
Bevor er Zeit hatte, über diese Erfahrung nachzudenken, führte Belmont ihn durch eine Reihe von bewachten Räume, bis sie endlich ihr Ziel erreichten.
Da er sie schon so oft benutzt hatte, erkannte Lex sofort die Teleportationsformation, die in der Mitte des Raumes errichtet worden war. Doch wie konnte es sein, dass etwas, das von der Kristallrasse benutzt wurde, von derselben Qualität war wie andere?
Die Formation war größer und komplexer als alles, was er je gesehen hatte, und gleichzeitig unglaublich schön. An den meisten anderen Orten wurde die Formation unter den Bodenfliesen versteckt, aber die Kristallrasse hatte sie zur Schau gestellt, damit man sie bewundern konnte.
Natürlich hatte Lex keine Zeit, sie zu bewundern oder etwas daraus zu lernen, denn Lord Belmont zögerte keine Sekunde.
Über eine Verbindung zum Kontrollraum, wahrscheinlich über seine geistigen Sinne, befahl er der Formation, Valesco anzuvisieren. Lex konnte nichts anderes tun, als zu folgen.
„Ob du es glaubst oder nicht, du bist der erste Mensch, der Valesco betreten darf.“
„Hat das eine besondere Bedeutung?“, fragte Lex, wobei seine Frage einen Mangel an Respekt gegenüber der Kristallrasse erkennen ließ. So etwas war selten genug, um aufgefallen zu sein. Belmont hob eine Augenbraue, oder das, was bei seiner Rasse einer Augenbraue entsprach, und sagte nur: „Ich glaube nicht. Es ist eher eine Frage der Sicherheit. In Valesco sitzen die gefährlichsten Verbrecher unserer Rasse fest.
Wenn sie entkommen, würden sie Chaos und Zerstörung anrichten, die sich niemand vorstellen kann.“
Lex hielt sich mit Kommentaren zurück, fragte sich aber, ob ihre Gefahr mit dem Chaos vergleichbar war, das die Kraven angerichtet hatten. Er bezweifelte es, denn wie können Einzelne es mit einer ganzen feindlichen Rasse aufnehmen?
Die Formation wurde aktiviert, und Lex befand sich wieder in den vertrauten Raumfalten, durch die sie beim Teleportieren reisten. Das Besondere war jedoch, dass Lex nicht von der Kraft des Raums unterdrückt wurde und gezwungen war, in einer festen Position zu bleiben. Er konnte herumlaufen und sogar sprechen, solange er auf der Plattform unter ihnen stand, die ebenfalls zu teleportieren schien.
„Wie gefährlich ist Ezio?“, fragte Lex unwillkürlich. „Als ich ihn traf, kam er mir nicht wie ein Verbrecher vor.“
„Ezios Verbrechen sind anderer Art. Er hat niemandem Schaden zugefügt, aber er ist für die Zerstörung der Geschichte des Reiches verantwortlich. Im Alleingang hat er die Geschichte und das Erbe nicht nur der Kristallrasse, sondern auch unzähliger anderer Rassen vernichtet.
Mir ist klar, dass so ein Verbrechen für andere vielleicht nicht so schlimm klingt, aber für das unsterbliche Kristallvolk ist die Zerstörung der Geschichte eines der schlimmsten Verbrechen!
Ohne Kunst, Kultur und Geschichte, die unser Leben bereichern, wird das ewige Leben eher zu einem Fluch als zu einem Segen. Viele der Kristalle, die in einen langen Winterschlaf gehen, tun dies, um eine ganze Reihe neuer Geschichten zu entdecken.“
Lex nickte. Das ergab irgendwie Sinn. Außerdem schien Ezio, als er ihn traf, alle Ruinen zu zerstören, die irgendwelche Infos über die Ankunft der Kraven enthalten könnten. Es schien, als wäre seine Begründung vielleicht nicht so einfach.
Bevor das Gespräch weitergehen konnte, endete die Teleportation und Lex fand sich in einem ähnlich gestalteten Raum wieder.
„Auch wenn es nicht besonders wichtig ist, dass du der erste Mensch bist, der hierher darf, solltest du die Gelegenheit nutzen, um so viel wie möglich zu sehen. Wir Kristalle sind sehr stolz auf unsere Kunst, und Architektur ist eine der Arten, wie wir Kunst in dieser Welt zum Leben erwecken.“
Lex lachte innerlich. Es schien Belmont zu stören, dass Lex ihn nicht so verehrte, wie es die anderen normalerweise taten. Er nutzte diese Gelegenheit, um anzugeben.
Lex folgte Belmont aus dem Gebäude, neugierig darauf, was ihn erwarten würde. Er hatte nicht erwartet, beeindruckt zu sein, aber als er hinaus trat, musste er zugeben, dass er sich geirrt hatte.
Das Teleportationsgebäude schien auf einem Hügel zu stehen, sodass man beim Verlassen des Gebäudes den gesamten Valesco-Komplex überblicken konnte. Eine riesige, umgekehrte Pyramide, die eher in den Boden zu sinken schien als sich zu erheben, kam in Sicht.
Die Pyramide schien unzählige Ebenen zu haben, je näher man der Mitte kam, und jede Ebene war ein riesiger offener Raum, gefüllt mit exquisiten kleineren Bauwerken, die wie Kapellen und Theater aussahen. Überall waren Mosaike zu sehen, begleitet von endlosen Legenden, die in Wandmalereien an den Gebäudewänden dargestellt waren.
Nicht nur die Aussicht von Valesco war beeindruckend, sondern auch die Aura, die von ihm ausging. Durch den cleveren Einsatz von Geistesteinen als Fliesen und Marmor wurde eine riesige Formation verborgen, die das Gebäude wie den Palast einer Gottheit erscheinen ließ und nicht wie ein Gefängnis für gefährliche Verbrecher.
Tausende von Soldaten patrouillierten auf jeder Ebene und bewegten sich synchron, sodass der Palast wie lebendig wirkte und die sich bewegenden Soldaten den Puls des Ortes bildeten.
Die tolle Verwendung von Farben, von dezenten Tönen wie Beige und Creme bis hin zu leuchtenden Farben wie Rot und Orange, verlieh dem Ort zusätzliche Lebendigkeit und ließ ihn in bemerkenswerter Pracht erstrahlen. Er musste zugeben, dass es selbst im Midnight Inn keine Gebäude wie dieses gab. Für Lex bedeutete das nur eines: Er musste sich einen Architekten der Kristallrasse besorgen!
