Nachdem das Treffen vorbei war und alle Brüder wieder im Midnight Manor waren, bestellten sie was zu essen und gingen alle in dasselbe Zimmer. Die Zimmer im Manor waren nicht so groß wie einige andere, weil sie zu den ersten Zimmern gehörten, die gebaut wurden, aber die fünf hatten genug Platz, vor allem, weil sie nur rumsaßen.
Es sah so aus, als würden die Brüder schweigend sitzen und essen, aber das lag nur daran, dass ihre eigentliche Unterhaltung über ihre geistigen Sinne stattfand.
„Was denkst du, William?“, fragte Jotun, dessen Stimme nichts mehr von der Fröhlichkeit der Versammlung hatte.
„Es ist schwer, die Absicht des Gastwirts zu erraten, aber gleichzeitig hätte er die Wahrheit nicht deutlicher machen können.“
In den Köpfen aller tauchte eine Rückblende auf, in der sich alles, was passiert war, Szene für Szene abspielte. Die kaum wahrnehmbare zusätzliche Pause, die der Gastwirt gemacht hatte, als er William ansah, wurde in der Rückblende enorm vergrößert, sodass der Gruppe klar wurde, was passiert war.
„Von dem Moment an, als wir reinkamen, hat er uns schon durch subtile Hinweise Informationen gegeben. Indem er mich länger als die anderen ansah, hat er mich herausgegriffen, mir dann aber keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Stattdessen hat er ganz normal das Gespräch begonnen. Aber denkt mal darüber nach, was war das Erste, worüber er gesprochen hat?“
Die Rückblende ging weiter, und gleich nachdem Jotun die Gruppe vorgestellt hatte, sprach der Gastwirt als Erstes über das Ereignis vor ein paar Tagen, bei dem die Sternrangliste erhöht worden war.
„Das ist der zweite Hinweis. Wir können individuell aus dem gesamten Treffen ableiten, was das bedeutet, aber ich denke, alle Teile fügen sich zu einem Puzzle zusammen, und kein einzelnes Teil ist wichtiger als das andere. Jetzt haben wir also zwei Hinweise.
Als unser idiotischer Bruder genug davon hatte, nach seiner Frau zu fragen, tat er so, als würde er uns fragen, wie uns der Aufenthalt gefallen hat, aber bevor wir antworten konnten, lenkte er das Thema auf mich und meine … Vergangenheit mit dem Teufel. Jetzt hat er sich also zweimal auf mich konzentriert und die Teufel ins Spiel gebracht. Der dritte Hinweis.
Dann kommt das Thema auf Umwegen auf die Jugend, der vierte Hinweis.
Schließlich kam das Thema Familie auf, der fünfte Hinweis. Danach erfuhren wir, dass der Gastwirt seine Familie verlassen hat, weil sie ihm in seiner Jugend nie geholfen hat, aber jetzt, wo er stark ist, kommen sie wahrscheinlich zurück und versuchen, sich bei ihm einzuschmeicheln.“
William holte tief Luft, während er still alle Informationen analysierte.
„In all dem, von mir über das Sternereignis bis hin zur Sukkubus, zur Jugend und zur Familie, gibt es nur eine Sache, die der Gastwirt uns sagen will. Er erzählt uns seine Geschichte. Und was haben all diese Dinge gemeinsam? Teufel.
Der Gastwirt will uns sagen, dass er ein Teufel ist, der die Teufel verlassen hat. Jetzt tun sie alles in ihrer Macht Stehende, um ihn zurückzuholen.“
„Das macht Sinn! Teufel kümmern sich nur um Profit, und der Gastwirt hat sogar seinen Beitrag zum Krieg zu einer Marketingmasche für sein Gasthaus gemacht“, sagte Batu.
„Vergiss nicht, wer am meisten vom Sternenrang-Event profitiert hat: die Teufel“, sagte Nisar.
„Es gibt ein Gerücht, dass das Gasthaus letztes Jahr ein Event speziell für die Teufel veranstaltet hat“, sagte Henry.
Da die Brüder bereits eine Schlussfolgerung gezogen hatten, fanden sie immer mehr Beweise, die diese stützten. Die Frage war nun, ob sie ihre Vermutungen melden oder für sich behalten sollten.
*****
Nach dem Treffen saß Lex noch ein paar Stunden in seinem Büro. Er ging alles, was passiert war, immer wieder im Kopf durch. Dass so viele Dinge seine Aufmerksamkeit auf sich zogen, war dabei nicht gerade hilfreich.
Da war die Sache mit William, der wie sein Zwilling aussah. Da war die Sache mit den Henali, die eine Art Tribut verlangten. Da war die Sache mit einer möglichen Kriegskampagne, die in Zukunft von der Herberge aus geführt werden könnte.
Es war gut, dass Lex gelernt hatte, seine Gefühle im Zaum zu halten, sonst wäre er vielleicht überwältigt gewesen. Aber obwohl er nicht überwältigt war, fiel es ihm auch nicht leicht.
Zumindest was seine Familie anging, kam Lex immer wieder zu dem klaren Entschluss, zur Erde zurückzukehren und sich ihnen zu stellen. Aber gleichzeitig wollte er seine Familie auch nicht sehen. Es war eine anstrengende Achterbahnfahrt der Gefühle.
Schließlich beschloss er, erst mal zu schlafen und dann weiter darüber nachzudenken, wenn er aufwachte. Außerdem hatte er noch andere Dinge zu tun – er konnte nicht seine ganze Zeit damit verbringen.
Er teleportierte sich in seine Wohnung und seufzte tief und erschöpft. Er schloss die Augen und ließ die mentale Erschöpfung einen Moment lang auf sich wirken, bevor er die Augen wieder öffnete und sein Hemd auszog. Eine schöne Dusche würde seinen Schlaf noch verbessern.
Doch kaum hatte er sein Hemd ausgezogen und bevor er etwas anderes tun konnte, erfüllte ein vorgetäuschtes Husten den Raum.
Lex erstarrte, seine Wachsamkeit stieg auf das Maximum und in seinem Kopf schlugen Panikalarmglocken. Er scannte den Raum mit seinem geistigen Sinn und überprüfte mit seiner Intuition, aber er bekam keine Antwort.
Das Geräusch von jemandem, der sich räusperte, ertönte aus einer Ecke seines Zimmers, diesmal viel lauter und deutlicher.
Langsam, als wolle er keinen Alarm auslösen, drehte sich Lex zu der Ecke, aus der das Geräusch kam.
Dort, auf einem unbekannten kastanienbraunen Ledersofa, saß eine dunkle Gestalt und wartete auf ihn. Obwohl Lex ihn direkt ansah, konnte er keine seiner Gesichtszüge erkennen und spürte seine Anwesenheit nicht, obwohl er ihn direkt ansah.
Plötzlich, mit einem Gedanken, legte er die Host-Kleidung an, aber er konnte die Gestalt in der Ecke seines Zimmers immer noch nicht erkennen.
„Du bist ein sehr interessanter Kerl, Lex Williams“, sagte die Gestalt, nachdem sie sich noch einmal geräuspert hatte.
