Die anderen Teilnehmer waren total baff. Die beiden Gestalten, die heimlich den Friedhof beobachteten, waren total baff. Die Zuschauer, die den Wettbewerb im Stream verfolgten, waren total baff – obwohl sie zugegebenermaßen erst zugeschaltet hatten, als alles schon vorbei war. Alle waren total baff.
Doch Lex stand einfach nur da, mitten in der Luft, und beobachtete mit ausdruckslosem Gesicht, wie das Feuer herabregnete.
Der Friedhof war wirklich riesig, so groß, dass er kein Ende sehen konnte. Deshalb hatte man damit gerechnet, dass es Monate dauern würde, ihn zu säubern, doch jetzt würde es vielleicht noch vor Ende des Tages geschafft sein.
Der Himmel stand in Flammen, es regnete flüssiges Feuer, das auch die Leichen auf dem Boden verbrannt und ihnen endlich Erlösung von all dem Grauen verschafft hat.
Giselle, die allein im Feuer stand, ungeschützt von Lex, da selbst er sie nicht entdeckt hatte, sah zu ihm auf und war ein bisschen genervt. Sie hatte hier noch was vor. Es war schwer, einen Ort mit so reiner Yin-Energie zu finden, der perfekt war, um ein paar bestimmte profane Schätze zu pflegen. Doch jetzt war das unmöglich.
Sie seufzte, setzte sich und überdachte all ihre Zukunftspläne. Es war sehr wahrscheinlich, dass Lex sich stark in alle ihre Pläne einmischen würde, also musste sie sich besonders anstrengen, wenn sie alle ihre Ziele erreichen wollte.
Alle anderen Teilnehmer, die voller Selbstvertrauen in das Vorrundenturnier gestartet waren, schauten mit einem Hauch von Angst zu Lex auf und fragten sich, was in seinem Kopf vor sich ging.
Was sie nicht wussten, war, dass Lex seinen Fluchtplan evaluierte, mit dem er den größten Teil der Explosion abgewehrt hatte. Nur weil eine Explosion stark war, hieß das nicht, dass sie ein Loch in den Raum reißen konnte – sonst würden alle Supernovae genau das tun, ganz zu schweigen von den Angriffen der stärkeren Erdunsterblichen und darüber.
Stattdessen würden nur Angriffe, die speziell auf den Raum selbst abzielten, überhaupt Schaden anrichten. Indem er sich im Himmelsofen einschloss und sich mit einer Schicht aus Raum umgab, sorgte er dafür, dass die Wucht der Explosion buchstäblich den ihn umgebenden Teil des Raums wegriss und so das Loch verursachte.
Indem er in die Leere geschleudert wurde, entging er der Hauptwucht der Explosionskraft. Der Himmelsofen schützte ihn dann vor dem Druck der Leere, bis er zurückkam.
Obwohl er dies vorerst nur nutzte, um zu viel Druck auf seine Siegel zu vermeiden, war es ein guter Fluchtplan für die Zukunft, falls er ihn jemals brauchen sollte.
Ein lauter Schrei aus der Ferne lenkte Lex ab. Ein Beben ging durch den Boden und sogar durch die Feuerwand in der Luft, aber es dauerte nur eine Sekunde. Das Nächste, was Lex wahrnahm, war, dass er durch den Raum zurückgezogen wurde.
Er tauchte wieder in der Lobby auf, ebenso wie alle anderen. Doch noch bevor Lex mit der Rezeptionistin sprechen konnte, wichen alle um ihn herum ein paar Schritte zurück. Lex sah sich um, zuckte mit den Schultern und kehrte dann in sein Zimmer zurück. Die nächste Prüfung würde in 20 Stunden beginnen und es würde die letzte sein, an der er teilnehmen musste.
In der Zwischenzeit verbreitete sich die Nachricht von dem Vorfall sogar unter den anderen Teilnehmern. In einem anderen Stream fand mitten in einer Wüste eine Schlacht statt. Blut tränkte den reinweißen Sand und Leichen fielen zu Boden, um ebenfalls zu Sand zu werden.
Zehntausende Krieger kämpften wild gegen eine endlose Flut schlanker, weißer Monster aus Sandstein. Doch trotz ihrer reinen Farbe stanken die Monster nach purem Bösen und wurden von einem bösartigen Willen angetrieben, die gesamte Realität in Sand zu verwandeln. Tatsächlich verwandelte sich alles, was sie mit ihren scharfen Klauen zerfetzten, irgendwie ebenfalls in Sand.
Auf einer Düne mit Blick auf das Schlachtfeld standen zwei Männer. Beide waren Menschen, und einer sah aus wie ein normaler Mensch, während der andere wie ein wandelnder Muskelberg aussah. Marlo hatte durch jahrelanges Training seine frühere gigantische Größe wiedererlangt, sehr zum Leidwesen seiner Frau.
„Was denkst du, Rafa?“, fragte Marlo mit Blick auf den Kampf. Auch wenn die Krieger stärker waren als die Steinmonster, waren diese einfach zu zahlreich.
„Ja, das sieht für mich nach dem sicheren Tod aus“, meinte Rafael. Anders als sein verrückter Vater war Rafael ein echter Profi im Kommandieren von Truppen. Sein angeborenes Gespür für große Schlachtstrategien war echt beeindruckend und ermöglichte ihm, das Unmögliche möglich zu machen. Aber das war nur so eine Redensart.
Das hieß nicht, dass er wirklich so was Dummes machen würde, wie mit nur einer Handvoll Soldaten gegen unendlich viele Feinde anzutreten. Leider war das genau die Situation, in die sein Vater sie gebracht hatte.
„Es lässt sich nicht ändern. Mein Weg der Kultivierung hat sich geändert. Ich kann nicht mehr wie normal kultivieren“, sagte Marlo. „Nur wenn ich dem Tod ins Auge sehe, kann ich stärker werden. Das ist der Weg des Ersten.“
„Nur weil ein Glückskeks klug klingt, musst du ihn nicht zu ernst nehmen. Diese Orakel sind nicht vertrauenswürdig. Wenn du auf sie hörst, bringst du uns beide um. Niemand kann die Zukunft vorhersagen.“
Marlo sah seinen Sohn an und schnaubte. Ihm war nicht entgangen, dass sein Sohn zufällig Dinge vorhersagen konnte, die noch nicht passiert waren. Seine lahmen Ausreden und Erklärungen konnten niemanden täuschen.
Das bedeutete, dass Rafael einen Weg gefunden hätte, Marlo aufzuhalten, wenn das Orakel, das ihm seinen Weg aufgezeigt hatte, wirklich gelogen hatte.
„Ich habe gerade Neuigkeiten erhalten“, sagte Marlo, während er mit den Fingerknöcheln knackte und seine Nano-Talismane aktivierte. „Ein einzelner Teilnehmer im Realm der Neugeborenen hat eine ganze Prüfung in weniger als einem Tag alleine absolviert.“
„Unmöglich“, spottete Rafael.
Doch beide wussten, dass es nicht unmöglich war. Es war eine Tatsache.
„Der Typ, der das geschafft hat, ist ein ehemaliger Schüler von mir“, sagte Marlo, während ihn eine mächtige Aura umhüllte. „Ich kann nicht zulassen, dass meine Schüler mich überholen.“
Bevor Rafael etwas sagen konnte, sprang Marlo vor und landete direkt inmitten der Steinmonster.
„Dragonsbane …“, murmelte Rafael und fragte sich, warum sich die Zeitlinie erneut veränderte. Was hatte es für einen Sinn, die Zukunft zu sehen, wenn sie sich ständig änderte? Nicht, dass er seine Fähigkeit besonders gut verstanden hätte.
Er hatte herausgefunden, dass er zufällig sein ganzes Leben vor sich sehen und sich klar daran erinnern konnte. Wenn er aus der Vision erwachte, verlief die Zukunft meist so, wie er sie gesehen hatte. Aber jedes Mal schien sich etwas extrem Wichtiges zu verändern.
Selbst jetzt, noch bevor das Turnier überhaupt begonnen hatte, gab es bereits Veränderungen, und das konnte er sich nicht leisten. Sie mussten so stark wie möglich werden, wenn sie das überleben wollten, was auf sie zukam. Deshalb hatte er einen Hinweis gegeben, wie sein Vater seine Kultivierung vorantreiben konnte.
Der Weg der Primes … er war zu schwierig, aber er war auch ihre einzige Hoffnung.
Rafael seufzte und sprang ebenfalls hinunter.
