Aus der Sicht einer dritten Person
Es war ein flatterndes, unbekanntes Gefühl in ihrer Brust, das sie nicht beschreiben oder genau lokalisieren konnte.
„Was guckst du so, junger Herr Erydor? Hast du noch nie eine Frau gesehen? Und warum hast du mich so festgehalten?“
Die letzte Frage kam ihr in ihrer Aufregung über die Lippen und selbst ihr kam sie lächerlich vor.
Ethan hob leicht die Augenbrauen und lachte kurz.
Ihr stockte der Atem und er kicherte, während er von ihrer Reaktion völlig überrascht war und sichtlich Spaß daran hatte.
Mit einem Funkeln in den Augen und einem Grinsen auf den Lippen antwortete er:
„Du hast heimlich einen sehr persönlichen und intimen Moment zwischen mir und meiner Frau beobachtet, vielleicht mit unbekannten Absichten.
Und jetzt fragst du mich, warum ich dich gefangen genommen habe?“
Er trat einen Schritt näher und neigte leicht den Kopf.
„Komm schon, Miss Aurae. Eine scharfsinnige Dunkelelfe wie du kann sich das doch sicher selbst zusammenreimen, oder?“
Als sie seine sanfte Stimme hörte, während er mit einem leichten Lächeln sprach, errötete Aurae tief und senkte den Blick.
Ihr Gesicht war vor Verlegenheit und Scham gerötet, als sie bemerkte, wie ihre Kurven durch die Ketten deutlich hervorgehoben wurden.
Ein tiefes Gefühl der Demütigung stieg in ihr auf, das so intensiv war, dass sie es nicht in Worte fassen konnte.
Noch nie in ihrem Leben war ihr Körper vor einem Mann so unanständig und verletzlich entblößt worden, nicht einmal indirekt.
Doch statt Wut auf Ethan zu empfinden, weil er sie auf diese kompromittierende Weise gefesselt hatte, verspürte sie nur brennende Scham und den überwältigenden Drang, im tiefsten Loch zu verschwinden.
Bei aller Kühnheit war Ethan nicht völlig ohne Anstand, denn er hatte darauf geachtet, ihre Brüste nicht direkt zu fesseln, obwohl ihre Taille und ihre Beine dem Griff seiner dunklen Ketten nicht entgangen waren.
„Bitte … lassen Sie mich los, junger Meister Eryndor“, flehte sie leise, während ihre Stimme vor Verletzlichkeit zitterte.
„Ich hatte keine bösen oder verletzenden Absichten Ihnen oder Miss Virese gegenüber. Ich war nur … neugierig.
Ich wollte nur sichergehen, dass du dich sicher aus dem Kampf mit dem Dämonenritter zurückgezogen hast.“
Die Aufrichtigkeit in ihrer Stimme war kaum zu überhören.
Als er ihre Bitte hörte und die echte Sorge hinter ihren Worten erkannte, gab Ethan schließlich nach.
Mit einem Gedanken lösten sich die dunklen Ketten und zerfielen zu dünnen Rauchschwaden, die in seinen Handflächen verschwanden, als hätten sie nie existiert.
Aurae beobachtete den Vorgang fasziniert und schweigend.
Die Ketten, die noch vor wenigen Augenblicken so fest und bedrückend gewirkt hatten, verschwanden, als wären sie bloße Illusionen und flüchtige Schatten, die nur durch seinen Willen zusammengehalten wurden.
Wie versprochen, machte sie keine plötzlichen Bewegungen und versuchte nicht zu fliehen.
Stattdessen schaute sie auf ihre Zehen und begann nervös mit den Daumen zu spielen wie ein gescholtenes Kind, während all ihre frühere Kühnheit in stille Nachdenklichkeit überging.
Ethan lächelte leicht und ging zum Rand des Turms, wo er sich lässig hinsetzte.
Ein sanfter, kühler Wind wehte ihm durch die Haare, während sein Blick über die leuchtende Stadt unter ihm schweifte.
Er klopfte auf den Platz neben sich und gab ihr ein stilles Zeichen.
Aurae warf ihm einen Blick zu und verstand seine stumme Einladung. Sie ging hinüber und setzte sich neben ihn.
Sie schlang ihre Arme um ihre Knie und hob den Blick zu dem Blutmond, der feierlich am Himmel stand.
Einen Moment lang saßen sie beide schweigend da und starrten wie zwei Schatten unter einem blutroten Mond in den Himmel.
Ethan drehte den Kopf leicht zur Seite und betrachtete ihr Profil.
Im silbernen Schein schienen ihre Gesichtszüge ätherisch zu schimmern.
Sie sah unglaublich schön aus, wie etwas, das aus Mondlicht und Träumen geschnitzt war.
Aber mehr noch fiel seinem scharfen Blick etwas unter ihrer Eleganz auf.
Es war eine unverkennbare Spur von Melancholie und stiller Einsamkeit, die normalerweise hinter der Fassade von Reife und Stärke verborgen war.
In diesem Moment, als hätte sie seinen Blick gespürt, drehte sie sich abrupt zu ihm um, ihre Wangen noch immer rosa gefärbt von ihrer früheren Verlegenheit.
Mit einem leisen Seufzer und zusammengekniffenen Augen fragte sie:
„Was guckst du so?“
Ethan konnte sich ein leises Lachen nicht verkneifen.
Ihr verwirrter Gesichtsausdruck war absolut bezaubernd und so anders als die selbstbewusste und gelassene Person, die sie in der Abenteurergilde kennengelernt hatten.
Das ließ sie jünger, echter und unendlich liebenswerter wirken.
„Ich schaue nur die schöne Miss Aurae an.
Sie ist die Frau, die ihre Brillanz und Kraft so sorgfältig unter einer Schicht gesellschaftlicher Höflichkeit verbirgt, um sich nun vor mir so ungeschützt und atemberaubend elegant zu zeigen.
Du bist wie der weiße Mond, den dieser Kontinent so lange vermisst hat.
Du bist eine ätherische Schönheit, die ruhig und distanziert ist, aber dennoch warm genug, um einen den endlosen Blutmond vergessen zu lassen, der über uns hängt.
Heute Nacht hat dieser arme Eryndor das Glück, etwas zu erleben, was nur wenige jemals erleben dürfen: die wahre Gestalt einer Frau, deren Strahlkraft selbst unter diesem verfluchten blutroten Himmel ungetrübt bleibt.“
Seine Stimme blieb leise, tief und fast ehrfürchtig, und jedes seiner Worte war voller Aufrichtigkeit und stiller Ehrfurcht.
Jeder Satz war ein Faden der Bewunderung, der zart zu einem Teppich aus Lob gewebt war, den Aurae kaum begreifen konnte.
Ihre Augen weiteten sich und ihr Herz pochte, als sie ihn ungläubig anstarrte.
Niemals – nicht ein einziges Mal in ihrem Leben, in dem sie geflohen war, sich versteckt hatte und ums Überleben gekämpft hatte – hatte jemand so mit ihr gesprochen.
Sie, die im Schatten gelebt hatte, der Familie, Liebe und Geborgenheit beraubt worden war, stand nun sprachlos da, überwältigt von der Intensität seiner Worte.
Unbewusst öffnete sie die Lippen und war unendlich schockiert, als ihr Atem irgendwo zwischen Staunen und Ungläubigkeit stockte.
Und als sie bemerkte, wie sein Blick sanft und unverhohlen auf ihren leicht geöffneten Mund wanderte, durchfuhr sie ein Schauer der Erkenntnis.
Sie schloss ihn schnell, während ihre Wangen sich wie die Dämmerung auf silberner Haut röteten.
„W-was sagst du da, junger Meister Eryndor?“, platzte es aus ihr heraus, obwohl ihre Stimme unsicher war und zunächst sogar leicht zitterte.