Damon stand vor den anderen … alle in Rüstungen. Das waren keine gewöhnlichen Rüstungen – nein, das waren die, die die Beldam einst wie Dekorationen aufbewahrt hatte, stolz in ihrer Höhle ausgestellt, unberührt von Staub oder Verfall. Seltsamerweise waren sie anders als die anderen Artefakte, die sie gefunden hatten – von denen die meisten verflucht oder von dunkler Magie zerfressen waren.
Sie waren rein. Unbefleckt. Fast ehrfürchtig in ihrem Design.
Jede Rüstung war ein Set, komplett mit einer Waffe … bis auf eine.
Diese eine … wurde „Blasse Krone“ genannt.
Sie kam ohne alles – keine Klinge, kein Speer, kein Stab. Nur die Rüstung allein.
In den letzten Tagen hatten sie überlegt, diskutiert und getestet, wer was tragen würde. Und nach vielen Versuchen hatten sie sich entschieden. Die Rüstungen sahen zunächst leblos aus – stumpf, glanzlos, wie Grabbeigaben, denen die Seele entzogen worden war. Aber in dem Moment, als sie angelegt wurden, reagierten sie. Sie erwachten zum Leben. Sie veränderten sich und passten sich den magischen Eigenschaften ihres neuen Trägers an.
Sein Blick fiel auf Sylvia.
Sie hatte ihr Buch wiederbekommen, und aus irgendeinem Grund war es diesmal nicht so schwer, Informationen daraus zu entlocken. Nur zwei Tage Kopfschmerzen. Trotzdem hatte sie im Bett gelegen, in fiebrige Stille gehüllt, unter kalten Laken zitternd.
Ein Preis war immer noch ein Preis.
Aber so erfuhren sie die Namen dieser Rüstungen.
Damon warf einen Blick auf Xander, dessen Körper nun von einer glänzenden silbergrauen schweren Rüstung verschlungen war. Sie verlieh dem ohnehin schon hochgewachsenen Jungen eine fast monströse Silhouette, mit Schultern wie Bastionen und Schritten wie Ambosse. Die dazugehörige Waffe war ein massiver Speer, dick und unnachgiebig, der bereits vor Gravitationskraft pulsierte, die den Boden um seine Spitze herum krümmte. Er blieb auch nicht lange starr, sondern verschob sich und passte sich seiner Schwerkraftmagie an.
Dieses Set hieß „Rüstung des gebundenen Kolosses“.
Ihre Verzauberung – „Gewichtsbrecher“: Verstärkt Speerstöße mit Schwerkraft und verwandelt jeden Schwung in eine Schockwelle.
Keine dieser Waffen war ein gewöhnliches Relikt. Sylvias Buch hatte sie gezeigt – es handelte sich um „Ascendant-Rüstungen“. Es gab nur sechs davon. Keine Nachbildungen. Keine Duplikate.
Damon hätte beinahe laut gelacht.
Die Beldam … Sie musste viel durchgemacht haben, um sie zu sammeln, sie aus den Ruinen von Lysithara zu holen … nur damit sie sie töten und sich den Preis holen konnten.
Er wandte seinen Blick wieder Sylvia zu.
Sie trug jetzt eine viel leichtere Rüstung – eher eine Robe als eine Rüstung. Ein Brustpanzer umschloss ihren Oberkörper, dünne Schulterpanzer bedeckten ihre Schultern und fließender Stoff fiel an ihren Seiten herab. Es war elegant. Subtil. Gefährlich. Dies war eine der drei Formen, die jede Rüstung annehmen konnte.
Die erste Form – die erweckte Form – bestand mehr aus Stoff als aus Metall. Sie war beweglich und reaktionsschnell.
Die zweite – der Mantel des Aufsteigenden – eine ausgewogene Mischung aus Stoff und Stahl. Immer noch beweglich. Immer noch leicht.
Die letzte – der Mantel des Souveräns – eine vollständige schwere Rüstung von Kopf bis Fuß. Das war die Form, die Xander jetzt trug.
Natürlich tat er das.
Er war der Tank der Gruppe.
„… Sylvia“, murmelte Damon, „du hast uns nicht alles erzählt, bevor du ohnmächtig geworden bist.“
Sie nickte und strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Ich habe euch fast alles erzählt … oder?“ Ihre Stimme war heiser, aber fest. „Die Rüstungen wurden für sechs der mächtigsten Champions von Lysithara geschmiedet. Sie wurden geschaffen, um gegen die Fäulnis zu kämpfen. Jede Rüstung hat einen Seelenkern, der sich mit deiner Magie verbindet. Und jede Rüstung enthält vier Zauber …“
Ihr Blick huschte über die Gruppe. Alle hörten ihr aufmerksam zu. Still. Gepanzert.
Sie fuhr fort.
„Es gibt noch mehr. Eine Prüfung. Eine Gegenkraft. Wenn ihr zehntausend Feinde besiegt, verbindet sich die Rüstung mit eurer Seele. Für immer.“
Damon runzelte die Stirn. „Du meinst … bis uns etwas tötet.“
Sie nickte leicht. „Die erste Rüstung … die, die du hast … ist die Rüstung der Blassen Krone.“
Damon seufzte. Er wusste bereits, dass seine „Pale Crown“ hieß – die einzige Rüstung, die nicht mit einer Waffe ausgestattet war. Genau wie die anderen hatte sie vier Verzauberungen … aber wie die anderen konnte er auch nur eine davon nutzen.
Seelenschleier – Lässt den Nutzer für kurze Zeit durch feste Objekte hindurchgehen.
Im Grunde konnte er das schon mit seinen Schattenfähigkeiten – nur musste er diesmal nicht in Schattenform gehen. Das hier konnte er in seinem physischen Körper machen.
Sylvia trug eine andere Rüstung – die Rüstung der Mondseherin.
Die Verzauberung, die sie nutzen konnte:
Mondhall – Pfeile, die bei Vollmond abgeschossen werden, verdoppeln sich in Anzahl und Schaden.
Zufall oder nicht, die Waffen, die dazu gehörten – ein Bogen, ein Köcher und zwei kurze Schwerter – waren genau die, die Sylvia immer benutzte.
„Ja, nein, das kaufe ich dir nicht ab … das ist kein Zufall.“
Alle hatten Waffen bekommen, die zu ihnen passten.
Sylvias Rüstung war silberweiß, zart und elegant, mit Halbmondmotiven an den Rändern. Sie schmiegt sich an ihren Körper wie Mondlicht und unterstreicht ihr weißes Haar und ihre grauen Augen mit einer Anmut, die weniger gefertigt als vielmehr … schicksalhaft wirkt. Sie ist zeremoniell, in weiße Stoffe gehüllt, die bei jeder Bewegung schwingen.
Evangeline hat die Rüstung aus Dämmerglas erhalten.
Ihre Verzauberung:
Lichtbrechungshalo – Das Licht wird um ihren Körper herum gebrochen, was ihr Ausweichmanöver erleichtert und illusorische Nachbilder erzeugt.
Sie sah wunderschön aus – schlank und strahlend, wie Sonnenlicht, das in Kristall gefangen ist. Selbst in der dunkelsten Ecke der Kammer leuchtete ihre Gestalt schwach. Silber und Gold zierten ihren Helm, und ihr neuer Degen schimmerte von gespeicherter Lichtmagie. Sie stand still da, lauschte Sylvia und ließ ihren Blick ruhig über die anderen schweifen.
Leona trug die Rüstung der Sturmwache – und im Gegensatz zu den anderen hatte sie direkt die dritte Form gewählt: Vollplatte. Schwer. Einschüchternd. Ein Großschwert hing über ihrem Rücken.
Die Rüstung war zerklüftet, wie Sturmwolken, die zu Stahl geschlagen worden waren. Selbst wenn sie still stand, sprühten Funken um ihre Schultern, als würde die Rüstung mit Donner atmen.
Ihre Verzauberung:
Blitzschritt – Kann während Schwertschwüngen kurze Strecken teleportieren und dabei eine Spur aus Donner hinterlassen.
Dann kam die Ungewöhnlichste der Gruppe.
Matias Rüstung aus zerbrochenem Eis.
Auf den ersten Blick schien sie keine Waffen zu haben. Aber das täuschte. Die Rüstung selbst war die Waffe. Sie musste nur daran denken, und schon formte sich in ihrer Hand eine Waffe, geschmiedet aus mit Seelenkraft erfülltem Eis.
Eine fließende, eisblaue Rüstung, die nie dieselbe Form behielt – sie veränderte sich ständig und weigerte sich, still zu stehen. Sie blieb in ihrer dritten Form, still und regungslos. Schwer und standhaft. Eine Wächterin des Frosts.
Ihre Verzauberung:
Frostarsenal – Kann nach Belieben ätherische Waffen aus mit Seelenkraft erfülltem Eis erschaffen.
Jede Rüstung besaß vier Verzauberungen. Aber sie konnten nur auf eine zugreifen.
Sie waren zu schwach. Sie hatten die Prüfung nicht bestanden.
Die Prüfung, zehntausend zu töten.
Sylvia sah Damon an. Er hatte kein Wort gesagt, seit sie zu sprechen begonnen hatte. Er stand einfach da, gepanzert wie ein gefallener König, der wiedergeboren war. Die zweite Form der Blassen Krone passte viel zu gut zu ihm.
Sie war majestätisch – eine Ganzkörperrüstung, die von Rauchschwaden umhüllt war, die sich ständig mit seinen Bewegungen veränderten. Kein Helm. Nur diese Krone … ein blasser, aschgrauer Lichtring wie ein sterbender Heiligenschein, versteckt in seinem zerzausten Haar.
Sie lächelte sanft.
„Die gehörte einst dem ehemaligen Lord von Lysithara“, sagte sie leise. „Derjenige, der zum Hüter der falschen Wahrheiten wurde …“