Der Geruch von Blut und Dreck war ein krasser Gegensatz zu der Erinnerung, die Leona durch den Kopf schoss, als sie ohnmächtig wurde …
In ihrem Kopf war die Küche im Wohnheim noch so sauber wie immer, dank der Putzfrauen der Akademie. Der Duft von frisch gekochtem Essen lag in der Luft, und am Herd stand ein junger Typ in einer Akademieuniform mit finsterer Miene.
Es war eine Erinnerung aus jüngster Zeit – sie und Damon schlichen sich nach Feierabend in die Kriegssäle, um einen Mitternachtssnack zu suchen. Nun ja, der Snack war für sie, obwohl sie Damon dazu gebracht hatte, ein ganzes Menü zu kochen. An manchen Tagen war er ungewöhnlich hungrig und aß am Ende genauso viel wie sie.
„Bester Freund, was machst du da?“, hatte sie gefragt und sich mit einem Grinsen über die Arbeitsplatte gebeugt.
Damon drehte den Kopf, sein Gesicht von Verärgerung überschattet.
„Ich werde dafür bezahlt, für dich zu kochen, Leona. Nenn mich noch einmal ‚beste Freundin‘, und ich mache dir das Essen salzig.“
Sie schmollte und blies die Backen auf.
„Du bist so mürrisch und negativ. Kein Wunder, dass ich deine einzige Freundin bin.“
Damon grinste höhnisch.
„Ich habe keine Freunde. Wir sind auch keine Freunde.“
Leona biss sich auf die Lippe, bevor ihr verspieltes Lächeln zurückkehrte.
„Ich geb dir zehntausend Zeni, wenn du sagst, ich bin deine beste Freundin.“
Damons Stirn glättete sich und ein verschmitztes Grinsen huschte über seine Lippen.
„Du bist die Beste, beste Freundin.“
Leona schüttelte den Kopf, während die Erinnerung an glücklichere Tage sie tiefer in die Ohnmacht zog. In Gedanken flüsterte sie eine kleine Entschuldigung …
„Es tut mir leid … Ich konnte es nicht töten, Damon …“
Evangeline starrte auf das Schlachtfeld, wo Leona ihren verheerenden Blitzangriff entfesselt hatte. Der Kriegstroll stand in der Mitte, seine Haut war jetzt verkohlt und schwarz gefleckt, sein Atem ging schwer.
Matlock biss die Zähne zusammen. „Es hat Leonas Angriff überlebt …“
Xander senkte seine Barriere und eilte zu Leona, kniete sich hin und überprüfte ihren Zustand. Seine Augen weiteten sich vor Schock.
„Sie … sie hat die erste Klasse erreicht …“
Die anderen waren sprachlos. Das war eine tolle Leistung – unter normalen Umständen hätten sie gefeiert. Aber im Moment war das bedeutungslos. Leona war bewusstlos, völlig erschöpft und nicht mehr in der Lage zu kämpfen.
Xanders Blick wanderte zurück zu dem Kriegstroll, der sie jetzt mit einem dunklen, mörderischen Blick anstarrte. Allein seine bloße Präsenz machte ihn noch furchterregender als zuvor.
„So wie wir sind, können wir dieses Ding nicht besiegen … wir werden einfach sterben …“
Sylvia trat vor und warf ihren Bogen beiseite. Ihre Hände griffen nach ihrer Taille und zogen die beiden kurzen Klingen hervor, die dort befestigt waren. Ihr Griff wurde fester, ihre Knöchel wurden weiß.
„Von mir aus … vorwärts oder sterben.“
Das hätte Damon gesagt, wenn er hier gewesen wäre. Sie fragte sich, ob er noch am Leben war.
Leona hatte ihnen den Weg gewiesen. Sie hatte diesen Kriegstroll mit ihrem Angriff in die Knie gezwungen.
„Mal sehen, wie viele Angriffe es noch aushalten kann.“
Evangeline riss die Augen auf, als sie Sylvia ansah. Ihre Freundin war normalerweise zurückhaltend, aber seit sie Damon kennengelernt hatte, hatte sie sich verändert. Das hatten sie alle. Diese arrogante, eigensinnige, unverblümte Person hatte sie gezwungen, sich selbst so zu sehen, wie sie wirklich waren.
„Was bin ich dann … w-wer bin ich …?“
Sie umklammerte ihr Schwert fest. Etwas in ihr sagte ihr, dass dieser Kampf ihr die Antworten geben würde, die sie brauchte.
Sylvia wusste bereits, was sie wollte – das war offensichtlich. Sie würde es ohne zu zögern versuchen. Leona war reinherzig und tat immer, was sie wollte. Xander war standhaft und unerschütterlich, eine Mauer gegen jeden Sturm.
Evangeline wandte ihren Blick zu Matlock. Sie wusste nicht viel über den Elf, obwohl sie Klassenkameraden waren. Aber auch er hatte sich verändert. Die Angst, die einst in seinen Augen gestanden hatte, war verschwunden und durch pure Entschlossenheit ersetzt worden. Er bewegte sich durch die Luft wie eine Schneeflocke und tanzte zwischen Leben und Tod.
Aber was war mit ihr?
„Was ist mit mir …?“
Das Schlachtfeld donnerte, als Sylvia brüllte und ihre beiden Klingen im trüben Licht blitzten. Sie stürzte sich auf den Kriegstroll, ihr Körper war ein silberner Streifen in der Nacht. Der Aufprall schleuderte sie durch die Luft, ihr Körper schlug auf den Boden auf. Verletzt, aber ungebrochen, rappelte sie sich auf.
Xander stand fest, benutzte seinen Körper als Schutzschild und steckte einen Schlag nach dem anderen ein. Matlock schwebte über ihnen, schlängelte sich durch die Luft und lenkte die Aufmerksamkeit des Trolls von der bewusstlosen Leona ab.
Die Schlacht tobte weiter.
Evangeline sah eine Chance und stürzte sich auf den Troll, um ihm in den Kopf zu zielen. Aber sie war nicht schnell genug. Ein verirrter Schlag traf sie und schleuderte sie durch die Luft. Blut spritzte, als sie auf dem Schlachtfeld aufschlug und nach Luft schnappte.
Was war mit ihr? Was wollte sie? Sie hatte ihr ganzes Leben lang an Gerechtigkeit geglaubt. Aber Damon …
Damon Grey …
Sie rappelte sich auf, hob ihr Schwert und stürmte brüllend vorwärts.
Der Kriegstroll erwischte Xander in voller Bewegung und schlug ihn zu Boden. Sein Körper hätte völlig zerfetzt sein müssen, aber er stand auf, blutüberströmt und zerschlagen, die Lanze noch in der Hand.
Evangeline schlug auf seinen Arm und schnitt ihm in das Fleisch. Der Troll heulte auf. Er hob seine massive Faust, um sie zu zerschmettern, aber Matlocks Eis schoss hervor und fror seine Gelenke ein.
In diesem Moment verstand Evangeline. Damon … er war jemand, der tat, was er wollte, ein Mann, getrieben von einem gebrochenen Willen, der nur Dunkelheit sah. Er hatte ihre Gerechtigkeit als schwach bezeichnet, als Produkt eines blinden Elitismus.
Evangeline entfesselte eine Welle von Lichtmagie, die das Schlachtfeld erhellte. Das Blut des Trolls färbte die Erde rot.
„Wie waren seine genauen Worte …?“
Sie schüttelte den Kopf. Hier kämpfte sie um ihr Leben, und doch konnte sie nur an eine ihrer unzähligen Auseinandersetzungen mit Damon denken.
„Wem hast du jemals geholfen? Du redest von Gerechtigkeit, aber nur die Schwachen klammern sich an diesen Gedanken. Die Starken schaffen Gerechtigkeit und zwingen sie den Schwachen auf.“
Das war nur eine seiner zynischen Überzeugungen.
„Du bist wie die Gerechtigkeit, Evangeline. Geblendet von deinem Glanz. Gerechtigkeit ist blind und mächtig – deshalb bestraft sie nur die Schwachen, während die Starken ihr entkommen. Du bist wie die Gerechtigkeit … geblendet von deinem Glanz.“
Ihr stockte der Atem. Ihr Körper erstarrte.
Der Kriegstroll holte aus.
Xanders Augen weiteten sich. „Evangeline, pass auf –!“
Er sprang vor, riss sie aus dem Weg und schirmte sie hinter einem Felsbrocken ab.
Evangeline wirkte abwesend.
„Du hast in Luxus gelebt. Wem hast du jemals geholfen?“
murmelte sie leise. Nicht seine genauen Worte … aber die Bedeutung war klar. Der Zweifel. Die Wahrheit, die sie ignoriert hatte.
„Wenn ich mich irre, was ist dann Gerechtigkeit …?“
Sie schüttelte den Kopf.
„Ich habe mich geirrt … Ich habe mich geirrt … Ich will Gerechtigkeit, aber was ist Gerechtigkeit?“
Das Schlachtfeld verschwamm. Die Welt verschob sich.
Dann –
Eine Stimme. Uralt. Warm. Einladend, doch fern.
[Du bist geblendet von deinem eigenen Glanz … verloren in der Dunkelheit trotz deines blendenden Lichts … Suche das Licht der wahren Gerechtigkeit … inmitten deines falschen Glanzes.]
[Du hast die einzigartige Klasse „Dawn Seeker“ freigeschaltet.]
[Klasse: Dawn Seeker]
„Dein Licht ist blendend und lässt dich in der Dunkelheit zurück. Trotz deiner Ausstrahlung macht es dich blind für die Wahrheit.“
[Fähigkeit – Säuberung]
„Absorbiert die Unreinheiten, die dein Licht abgelehnt hat, und reinigt diese Welt mit deinem verrottenden Fleisch.“
Evangeline spürte es – ihr Körper veränderte sich, entwickelte sich weiter. Ihre Kraft wuchs. Ihre Mana wurde schärfer, dichter und überwältigend. Klarheit überkam sie wie die Morgendämmerung, die die Nacht durchbricht.
Ein blendender Schein ging von ihr aus.
Langsam stand sie auf.
Licht strömte durch ihre Adern und erleuchtete ihr ganzes Wesen.
Sie wandte sich dem Kriegstroll zu, ihre Augen brannten vor neu gewonnener Erkenntnis.
Dann stürmte sie mit einem Ausbruch von Strahlkraft vor.