Damon öffnete das Systemfenster und hoffte irgendwie, dass was Neues auftauchen würde – eine Änderung, ein Update, irgendwas. Seine Schattenenergie war fast bei 100, aber sonst war die Oberfläche frustrierend unverändert.
„Hmmm, wahrscheinlich ist es gesperrt …“, murmelte er.
Das hatte er sich schon gedacht. Die gesperrten Funktionen des Systems musste er erst freischalten.
Er erinnerte sich vage an Quests und Herausforderungen, die erwähnt worden waren, als das System zum ersten Mal aktiviert worden war, aber er war noch nie auf welche gestoßen.
„Wahrscheinlich, weil mein Level noch zu niedrig ist“, überlegte er.
Nicht, dass er sich besonders nach Quests gesehnt hätte. Das System verlangte schon genug von ihm – zum Beispiel, andere zu verschlingen, um stärker zu werden. Allein der Gedanke an die Art von Quests, die das System generieren könnte, ließ ihm den Magen umdrehen.
Damon seufzte und bewegte seine zerfetzten Finger. Die Taubheit war seine einzige Erholung von den qualvollen Schmerzen.
„Wenigstens habe ich meinen eigenen einzigartigen Zauber erschaffen …“
Allerdings war es übertrieben, ihn als „perfekt“ zu bezeichnen. Die Meisterungsmechanik des Systems hatte ihm einen kurzen Blick darauf gewährt – 4 % –, bevor sie wieder verschwunden war. Es lag noch ein langer Weg vor ihm, und er freute sich darauf, die Meisterungsfunktion freizuschalten, um seinen Fortschritt zu verfolgen.
Aber es gab dringendere Probleme. Das heutige Ziel lastete wie ein Schatten auf ihm: Rein Ambridge zu töten. Zumindest war er nicht allein. Marcus Fayjoy, ein mittlerweile verrückter Mann, der ihm auf beunruhigende Weise helfen wollte, war sein Handlanger. Marcus zu überzeugen war erschreckend einfach gewesen – schließlich glaubte Marcus, dass er „Gottes Werk“ tat.
„Dieser Idiot …“, Damon schüttelte den Kopf.
Trotzdem war seine Ausbildung noch nicht abgeschlossen. Es gab noch eine letzte Sache, die er versuchen musste.
Damon ignorierte die stechenden Schmerzen in seinen gebrochenen Fingern und ging auf den Wald zu. Seine Gewissenslosigkeit setzte ein, dämpfte seine Angst und beruhigte seine Nerven.
Er holte tief Luft und warf einen Blick auf die Vorrichtung, die unter seinem Ärmel versteckt war – das omnidirektionale Gerät. Mit geübter Präzision schoss Damon die pfeilförmigen Haken in einen Baum und katapultierte sich nach oben.
Die dünnen Drähte, straff wie Stahl, ermöglichten ihm, sich frei zu schwingen. Mit schwindelerregender Geschwindigkeit manövrierte er sich zwischen den Bäumen hindurch, wobei jeder Schwung kontrollierter war als der vorherige.
Zwei Tage voller Versuche und Irrtümer hatten seine Bewegungen verfeinert und den Schmerz zu einem unerbittlichen Lehrer gemacht. Aber jetzt wollte er eine der schwierigeren Manöver ausprobieren.
Er zielte mit seinen Haken auf den höchsten Baum, deren Spitzen sich tief in die Rinde bohrten.
Mit einem Knall schleuderte ihn die Ausrüstung in die Höhe und katapultierte ihn über die Baumkronen. Sonnenstrahlen trafen sein Gesicht, der Wind heulte in seinen Ohren, und für einen flüchtigen Moment war er schwerelos und starrte auf die endlose Weite des Waldes unter ihm.
Es war berauschend.
Damon schoss die Haken schnell zurück auf die Stämme unter ihm, um sich mit gleicher Kraft nach unten zu ziehen.
„Oh nein … verdammt!“
Er hatte daneben gezielt. Die Haken verfehlten ihr Ziel und bohrten sich stattdessen in den Boden. Die dadurch entstehende Kraft verdoppelte seine Fallgeschwindigkeit.
Bei diesem Tempo würde er als blutiger Fleck auf dem Waldboden landen.
Damon reagierte schnell, ließ einen Haken los und schoss einen anderen auf einen nahe gelegenen Baum. Der plötzliche Rückstoß riss ihn zur Seite, und die Wucht schleuderte ihn gegen den Stamm.
„Ahhh!“
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Der Aufprall spaltete den Baum und ließ splitternde Äste herabregnen. Damon stürzte durch das Blätterdach, wobei jeder Ast an seinem Fleisch riss, bis er mit einem widerlichen Knall auf dem Boden aufschlug.
Schmerz durchzuckte seinen Körper. Sein linkes Bein war zertrümmert, die Knochenfragmente ragten grotesk hervor. Blut sickerte aus unzähligen Wunden und sammelte sich unter ihm.
Er rang nach Luft, seine Lungen weigerten sich, sich richtig zu füllen.
„Hhh-hhh… hhuhh…“
Mehrere qualvolle Minuten lang lag Damon da, seine Sicht verschwamm und der Blutverlust ließ ihn immer mehr in Ohnmacht fallen. Irgendwie zwang er sich, sich zu bewegen.
Er kroch auf dem Bauch und hinterließ eine blutrote Spur im Dreck, während sein Körper vor Schmerz schrie. Er war zu weit in den Wald hineingeschleudert worden, und jetzt schien das Überleben unmöglich. Aber Damon war keiner, der aufgab.
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte er die vertraute Lichtung, wo er seinen Pager liegen gelassen hatte. Seine Sicht verschwamm, seine Kräfte schwanden, aber er klappte das Gerät auf und drückte den Knopf.
„Leona…“, krächzte er mit kaum hörbarer Stimme.
Einen Moment später kam ihre panische Antwort, in der sie Hilfe versprach. Erleichterung überkam ihn, als er auf den Rücken fiel und in den blutroten Himmel starrte.
Trotz allem huschte ein leichtes Lächeln über seine Lippen.
„Ich hätte es fast geschafft … vielleicht versuche ich es nächstes Mal etwas höher … damit ich den Stamm nicht verfehle.“
Drei Minuten später sprintete Leona Valefier auf die Lichtung, dicht gefolgt von Sylvia Moonveil. Keine von beiden verschwendete Zeit mit Worten – Sylvia begann sofort, ihre Mondmagie zu kanalisieren. Ein sanftes Leuchten umhüllte Damons zerfetzten Körper, während Sylvia sich bemühte, die Blutung zu stillen und seine zerschmetterten Knochen mit größter Sorgfalt wieder einzurenken.
Leona stand daneben, die Fäuste geballt. Mit vor Frustration brennenden goldenen Augen beobachtete sie Damon, der ruhig in den blutverschmierten Himmel starrte und vor sich hin murmelte, was er als Nächstes vorhatte.
Ihre Wut kochte über.
„Was ist los mit dir? Ich habe dir schon so oft gesagt, dass du mit diesem rücksichtslosen, gefährlichen Training aufhören sollst!“
Damon lachte leise und verzog die Lippen zu einem spöttischen Grinsen.
„Du bist doch rechtzeitig hier, oder? Wofür sind Freunde denn da?“
Leonas Augen zuckten, als sie den Drang unterdrückte, ihn zu würgen. Sie seufzte schwer und versuchte, ihre Wut zu zügeln.
Sylvia hielt sich jedoch nicht zurück. Sie warf Damon einen vernichtenden Blick zu.
„Wir hätten es fast nicht geschafft! Ein Fehler und du wärst tot!“
Damon nickte, völlig unbeeindruckt.
„Es war ein kalkuliertes Risiko. Außerdem hatte ich einen Heiltrunk dabei. Für alle Fälle.“
Beide Frauen erstarrten. Dann verschärften sich ihre Blicke gleichzeitig.
„Warum hast du ihn dann nicht getrunken?“, fragte Leona mit erhobener Stimme.
Damon zuckte mit den Schultern, sein Gesichtsausdruck war gleichgültig.
„Das wäre Geldverschwendung gewesen. Warum sollte ich einen teuren Trank trinken, wenn ich einen kostenlosen Heiler habe? Lieber sterbe ich.“
Leonas ganzer Körper versteifte sich, ihre goldenen Augen zuckten vor kaum unterdrückter Wut.
„Du … du …! Ich verstehe nicht … es ist doch nur ein verdammter Trank!“
Sylvia nickte, ebenso wütend.
„Was wäre, wenn wir zu spät gekommen wären? Es ist nur ein Trank, Damon!“
Damon schüttelte den Kopf, unbeeindruckt von ihrer Empörung.
„Nein. Es ist ein teurer Trank. Nicht alle von uns haben unendlich viel Geld zum Verschwenden. Einige von uns müssen dafür sogar arbeiten.“
Er setzte sich mit einem Schmerzgesicht auf und warf einen Blick auf Sylvias unvollendete Heilung.
„Jetzt hör auf zu nörgeln. Ich möchte zu einem richtigen Heiler gehen und mich versorgen lassen.“
Leona klappte die Kinnlade herunter, ihre Wut machte sie für einen Moment sprachlos. Sylvia stöhnte und ihre Hände leuchteten, als sie seine Wunden versorgte.
„Du bist unmöglich, Damon“, murmelte Sylvia leise, obwohl ihr Tonfall einen Hauch von widerwilliger Belustigung verriet.
Leona verschränkte die Arme und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
„Bete lieber, dass ich dich das nächste Mal nicht aus einem Baum werfe.“
Damon lachte leise und wischte sich den Schmutz von seinen zerfetzten Kleidern.
„Das würde mir sehr gefallen, solange du bereit bist, mir eine saftige Entschädigung zu zahlen.“