Hinter der Barriere der Akademie lag eine berüchtigte Gegend: der Böse Wald.
Dieser Wald war nicht nur ein Stück Wildnis, das die Akademie umgab. Er erstreckte sich über weite Teile des Kontinents Soltheon und reichte bis an die Küste des Centros-Meeres. Als Reich des Todes beherbergte er unzählige Monster unterschiedlicher Stärke, deren Macht und Gefährlichkeit zunahmen, je tiefer man in seine schattigen Tiefen vordrang.
Der Böse Wald war eine der vielen unerforschten Regionen in der mystischen Welt von Aetherus, voller unerschlossener Dungeons und alter Ruinen. Es war ein Ort voller Gefahren – und voller Versprechen.
Die monströsen Bewohner des Waldes vermehrten sich unkontrolliert und lösten oft katastrophale Monsterstürme aus, wenn ihre Populationen ihr Territorium überstiegen. Diese Stürme entfesselten Horden von Kreaturen auf das Land der Menschen und zerstörten alles, was ihnen im Weg stand.
Um dieser ständig drohenden Gefahr entgegenzuwirken, schlossen sich in längst vergangenen Zeiten die Helden und Weisen der Göttinnenrassen zusammen. Mit göttlicher Führung errichteten sie eine massive Barriere, um den Bösen Wald einzuschließen. Diese Barriere, die von mehreren über den Kontinent verstreuten Knotenpunkten gespeist wurde, fungierte als Bollwerk gegen das vordringende Chaos. Unter diesen legendären Gestalten befand sich auch Athor, der Gründer der Akademie selbst, der sein Leben der Befestigung eines dieser wichtigen Knotenpunkte widmete.
Die Barriere war der Grund, warum die Akademie und die Hauptstadt Valerion so nah am Wald lagen. Die Strategie des Reiches war klar: Das Militär sollte mitten im Gefahrenherd stationiert werden, um allen Kreaturen, die die Barriere durchbrachen, entgegenzutreten. Diese Nähe ermöglichte es Abenteurern, Gelehrten und Soldaten, sich in den Wald zu wagen, um die Monsterpopulation zu dezimieren und unter Kontrolle zu halten.
Außerdem war es ein Testgelände für ältere Studenten der Akademie, die ihre Fähigkeiten in Außenposten und Garnisonen verfeinerten, die zur Überwachung und Eindämmung des Einflusses des Waldes errichtet worden waren.
Diese Verantwortung lag nicht allein bei Valerion. Alle Nationen, die an den Bösen Wald grenzten, trugen zu seiner Eindämmung bei, da sie ihn als gemeinsame Last – als schreckliches Geschenk – betrachteten.
Warum dieser düstere Name? Weil der Böse Wald trotz der endlosen Gefahren mit seinen unermesslichen Reichtümern Abenteurer und Königreiche gleichermaßen lockte. In seinen Tiefen verbargen sich unvorstellbare Schätze: alte Relikte, magische Minen, seltene Kräuter, Monsterteile und verzauberte Bücher. Die Dungeons im Wald versprachen den Mutigen – oder den Törichten –, die sich hineinwagten, unvorstellbare Belohnungen.
Je tiefer man vordrang, desto größer waren die Belohnungen, aber der Preis war hoch. Millionen von Menschen hatten in dem Wald ihr Leben verloren, ihre Träume von Ruhm und Reichtum waren in seiner gnadenlosen Umklammerung zerbrochen.
Und doch blieb der Ruf bestehen.
Für einige war es das Versprechen von Ruhm. Für andere war es die Verlockung unvorstellbaren Reichtums. Aber allen, die den Wald betraten, flüsterte er dieselbe Herausforderung zu:
Komm, wenn du dich traust.
Natürlich konnte Damon sich solche Gedanken nicht leisten, nicht während er auf das Geweih der monströsen Kreatur vor ihm starrte. Ihre dünnen, knochigen Klauen zuckten, während ihre blutroten Augen bedrohlich leuchteten. Die haarige, hoch aufragende Gestalt des Wendigos ragte vor ihm auf, seine gezackten Reißzähne glänzten von dickflüssigem Speichel, der wie Säure auf den Boden tropfte.
Damon wich instinktiv zurück, bewegte sich langsam und atmete ruhig, aber flach.
„Es ist immer noch hinter der Barriere. Es kann mich nicht erreichen.“
Er klammerte sich an diesen Gedanken, um sich selbst zu beruhigen. Wenn der Wendigo die Barriere durchbrechen könnte, wäre er schon längst tot.
Damon wusste, dass er bisher Glück gehabt hatte. Es war nicht das erste Mal, dass er sich in der Nähe des Waldrandes oder der Barriere aufgehalten hatte, aber es war das erste Mal, dass er einem Monster so nahe gekommen war.
Die Abwesenheit von Monstern bei seinen früheren Abenteuern hatte ihn verwirrt. Zuerst hatte er es auf das dunkle, zähflüssige Wesen zurückgeführt, das sich mit seinem Schatten verbunden und ihm das System gegeben hatte.
„Vielleicht hat es sie verscheucht“, dachte er und erinnerte sich daran, wie die Energie der Gestalt mit einer urzeitlichen Dominanz zu pulsieren schien.
Andere Male schrieb er es einfach dem blinden Zufall zu. Oder vielleicht mieden die Monster instinktiv die Barriere selbst. Er ging diese Möglichkeiten in Gedanken durch, während er auf den Baum zulief, an dem er die linke Halterung seiner omnidirektionalen Ausrüstung befestigt hatte.
Seine dunklen Augen blieben auf den Wendigo geheftet.
Als Damon den Baum erreichte, zog er die Drähte zurück, die mit einem leisen Klicken wieder in die Halterungen schnappten. Nachdem er seinen Fluchtweg gesichert hatte, kam ihm eine Idee:
„Wenn es die Barriere nicht überqueren kann … ist es dann nicht ein bewegliches Ziel?“
Dieser Gedanke ließ ihn innehalten. Er zog seinen zusammenklappbaren Bogen hervor und spannte einen Pfeil mit einer Spitze aus verfluchtem Erz. Er legte den Pfeil an, zog den Bogen zurück, zögerte jedoch, als ihm eine erschreckende Erkenntnis dämmerte.
„Die Pfeile sind aus verfluchtem Erz … und verfluchtes Erz zieht Monster an.“
Seine Gedanken kreisten, während er eins und eins zusammenzählte. Blut. Der böse Wald. Verfluchtes Erz. Das war eine Katastrophe, die nur darauf wartete, sich zu ereignen.
Monster, die auf Flüche reagieren – wie Wendigos, Untote, Hautwandler und Gesichtsdiebe – würden sich auf ihn stürzen, wenn er ungeschütztes verfluchtes Erz bei sich trug.
Vorausgesetzt, sie waren nah genug, um es zu spüren.
Damon biss die Zähne zusammen und entschied sich, nicht zu schießen.
„Ich muss mein Unglück nicht noch vergrößern.“
Stattdessen behielt er den Wendigo im Auge, seine Schattenwahrnehmung breitete sich wie ein Radar aus und überwachte jede Bewegung der Kreatur.
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Der Schatten des Wendigos war seltsam. Er hatte nicht die gleiche reaktive Energie wie menschliche Schatten, sondern war gedämpft und weckte kaum den Hunger seines Schattens. Es war das Risiko einer Jagd nicht wert, nicht dass er einen Wendigo jagen könnte, selbst wenn er es versucht hätte.
„Flüchten ist die einzige Option“, entschied er.
Er steckte die verfluchten Pfeile in ihre Hülle und löschte alle Spuren ihrer Aura. Damon hielt seine Schattenwahrnehmung bis zum Äußersten aufrecht und zog sich langsam zurück, ohne den Wendigo aus den Augen zu lassen.
Nach ein paar Minuten kehrte er zu der Stelle zurück, an der der Kampf begonnen hatte, sammelte vorsichtig seine Sachen ein und vergewisserte sich, dass keine Spuren zurückblieben. Sein Blick wanderte über seine zerfetzte Uniform – zerrissene Ärmel, aufgeschlitzte Säume. Es war nicht seine Uniform, was ihn etwas beruhigte.
„Marcus‘ Uniform“, überlegte Damon mit einem leichten Grinsen. „Er wird Ärger bekommen, wenn die Akademie Nachforschungen anstellt.“
Trotzdem war Damon nicht leichtsinnig. Er beseitigte alle Spuren, die er konnte, hinterließ aber subtile Hinweise, die nur ein professioneller Ermittler bemerken würde. Seine Tage, in denen er in den Hintergassen der Hauptstadt überlebt und mit Schmugglern zusammengearbeitet hatte, erwiesen sich erneut als nützlich.
Nachdem alles erledigt war, zog Damon seine Schattenwahrnehmung zurück, verließ den Wald und zog sich die Augenbinde über die Augen, bevor er in der Nacht verschwand.
—
Als er sein Zimmer erreichte, war das perfekte Verbrechen in weniger als 15 Minuten vollbracht. Genug Zeit, um ein Bad zu nehmen und vielleicht einen Mitternachtssnack mit Leona zu genießen.
Aber zuerst musste Damon seine neue Fähigkeit überprüfen. Er hatte ihre Wirkung noch nicht gespürt, nicht wie bei [Skrupellos]. Außerdem hatte er das seltsame Gefühl, dass sein Schatten sich ernährte, ohne sich satt anzufühlen.
Ohne entdeckt zu werden, schlich er sich in die Kriegsräume. Er kletterte in den Wäschekorb, tauschte die Uniformen aus und schlüpfte wieder in seine eigene. Zufrieden kehrte er in sein Zimmer zurück und öffnete das Systempanel.
[Wasserfest]