Trotz des Stolzes in seiner Stimme konnte Lein eine Spur von Trauer heraushören.
Lein nickte leicht. Kein Wunder, dass Zanthor so viel über diese Angelegenheit wusste. „Übrigens, was würde passieren, wenn ich die Gesetzeszone ohne Aufsicht betreten würde?“, fragte er, während er zur Mitte der Insel blickte.
In der Ferne sah er eine transparente Kuppel, die einen felsigen Bereich schützte, der wie Fragmente eines Asteroiden aussah.
Tiefe Risse zierten die Oberfläche der Felsen, während leuchtende Energieströme in einem geheimnisvollen Rhythmus durch sie hindurchschlängelten und unaufhörlich flossen.
Zanthor lächelte, aber seine Stimme klang entschlossen, als er antwortete: „Die unmittelbaren Auswirkungen wären wohl vernachlässigbar, Ältester Lein. Aber im schlimmsten Fall besteht die Gefahr einer Seelenschädigung, wenn man sich zu lange in einer instabilen Gesetzeszone aufhält.“
Lein runzelte die Stirn. „Seelenschäden?“, murmelte er und verspürte bei diesem Gedanken ein leichtes Unbehagen. Das war nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen konnte. Er legte eine Hand an sein Kinn und dachte über diese Information nach. „Ziemlich tödlich.“
„Solche Fälle sind sehr selten, Ältester Lein. Mit deiner Stärke wird es sicher keine Probleme geben“, fuhr Zanthor fort, seine Stimme voller Zuversicht, sogar mit einem Hauch von Schmeichelei. Lein spürte jedoch, dass Zanthor ihn absichtlich zu beruhigen versuchte, was er faszinierend fand.
Neugierde zog ihn näher heran.
Lein ging auf die schimmernde Kuppel zu, deren Glanz schwach, aber beständig war. Mit einem leichten Energieschub schoss sein Körper nach vorne und erreichte schnell den Eingang zur Manifestationszone.
Er stand vor dem großen silbernen Tor und ließ seinen scharfen schwarzen Blick über das Innere schweifen. Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. „Dieselbe Zone … Sie haben wirklich ihr Wort gehalten“, murmelte er, zufrieden mit der Professionalität der Invictus-Sekte.
Hinter dem Tor sah das felsige Gelände genauso aus wie die Manifestationszone, die er einst erobert hatte. Schwebende Landfragmente trieben in der Leere und wurden von schnellen Energieströmen durchschnitten, die chaotische, aber seltsam geordnete Muster bildeten. Lein konnte die Kraft spüren, die von innen ausging, wie Fäden des Gesetzes, die in ihrem eigenen Rhythmus pulsierten.
„Schauen wir mal rein“, sagte er, als er sich dem Tor näherte.
Neben der Tür war ein spezieller Mechanismus eingebaut, um den Zugang zu aktivieren. Lein holte mit einer lässigen Bewegung sein Abzeichen hervor und drückte es gegen die dafür vorgesehene Fläche.
Sofort leuchteten die Ränder der Tür hellblau auf, und komplizierte Linien bildeten sich auf ihrer Oberfläche. Langsam öffnete sich das Tor mit einem fast unhörbaren Summen und gab den Blick auf das Innere der Manifestationszone frei.
„Ein Übergangsbereich?“, flüsterte Lein, etwas überrascht von dem Sicherheitssystem. Vor ihm erstreckte sich eine Pufferzone, die die Außenwelt von der Manifestationszone trennte. Die Luft in der Kammer fühlte sich schwerer an, erfüllt von einem subtilen, aber unverkennbaren Energiedruck. Lein kniff die Augen zusammen und versuchte, diesen Mechanismus besser zu verstehen.
„Sollte die Manifestationszone nicht von der Außenluft getrennt sein?“, fragte er sich.
Lein dachte nach und erinnerte sich an Zanthors Worte von vorhin.
In der Ferne sah man Zanthor schnell näher kommen, seine dünnen, aber breiten Flügel auf seinem Rücken schlugen in schnellem Rhythmus. Sein Gesicht strahlte vor Aufregung, wie das eines Kindes, das Angst hat, ein großes Abenteuer zu verpassen. Lein hob eine Augenbraue und seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. „Der will wirklich nicht zurückbleiben“, murmelte er.
Im Handumdrehen war Zanthor vor Lein und zitterte leicht, während er schnell atmete. Sobald seine Füße den Boden berührten, verschwanden seine Flügel sofort und wurden wieder in seinen Körper aufgenommen. Etwas außer Atem rief er: „Ältester Lein … warte!“ Seine Stimme klang dringend, als hätte er Angst, die Gelegenheit zu verpassen.
Doch bevor Zanthor seine Bitte äußern konnte, hatte Lein ihn bereits mit einem strengen Blick bedacht. „Nein.“
Zanthor erstarrte. Sein zuvor aufgeregter Gesichtsausdruck wurde ausdruckslos, seine Augen weiteten sich leicht, als könne er nicht glauben, dass er ohne zu zögern abgelehnt worden war.
Lein ignorierte seine Reaktion und fuhr in einem beiläufigen Ton fort: „Die Manifestationszone sollte nicht der Außenwelt ausgesetzt werden?“
Zanthor atmete langsam aus und fand seine Fassung wieder. Mit ruhigerer Stimme antwortete er: „Ja, Ältester Lein. Wenn sie offenbart wird, wird die Essenz des Gesetzes erheblich geschwächt.“
Lein nickte verständnisvoll. „In Ordnung, bleib hier und komm nicht herein.“ Sein Tonfall war leicht, aber bestimmt.
Es war nicht so, dass er Zanthor nicht hereinlassen wollte. Er wollte nur zuerst etwas testen.
„Die Essenz des Gesetzes, hm?“ Lein grinste leicht. Wenn die Essenz des Gesetzes etwas war, das man wie einen Gegenstand behandeln konnte, dann sollte er sie theoretisch duplizieren können.
Mit gelassener Miene drückte er das Zeichen seines Ältesten gegen die Verkleidung neben der zweiten Tür. Ein blaues Licht flackerte kurz auf, bevor Lein hinter sich das Geräusch von Mechanismen hörte, die sich bewegten. Die erste Tür schloss sich fest und isolierte den Übergangsbereich.
Dann öffnete sich die zweite Tür sanft und gab den Blick auf einen vertrauten Anblick frei.
Massive, raue Steine lagen unregelmäßig verstreut und bildeten eine Landschaft, die einer fremden Welt glich. Die Luft fühlte sich hier dichter an, als ob sie etwas Unsichtbares enthielt, das dennoch wahrnehmbar war. Lein atmete tief ein und ließ seinen Blick über jeden Winkel der Manifestationszone schweifen.
Als er eintrat, überkam ihn ein Gefühl der Vertrautheit. Diese Umgebung war genau dieselbe wie damals, als er um die Eroberung einer Manifestationszone gekämpft hatte.
Er gab ein wenig von seiner Essenz frei und ließ sein Bewusstsein sich in der Umgebung ausbreiten. Für einen Moment spürte er eine Instabilität in der Luft, als ob diese Welt in einem anderen Rhythmus pulsierte als die Außenwelt. Dünne Energiefäden flackerten schnell, zu flüchtig, um sie mit bloßem Auge zu erkennen.
„Ist das, was man die Essenz des Gesetzes nennt?“, murmelte er und runzelte leicht die Stirn. Diese Energie war so zart, dass es fast unmöglich schien, sie mit den normalen Sinnen zu erfassen.
Fünf Minuten vergingen, doch Lein gelang es nicht, auch nur einen einzigen Strang der Energie des Gesetzes einzufangen. Seine Stirn runzelte sich tiefer, sein Blick schweifte über das felsige Gelände, auf der Suche nach einem Bereich mit einer höheren Energiekonzentration.
Ohne zu zögern hob sein Körper vom Boden ab. Mit einer schnellen Bewegung schoss Lein wie ein tief fliegender Adler durch die Luft und überquerte die riesige Lücke zwischen zwei schwebenden Landmassen. In der Spalte zuckten Blitze wild hin und her und erzeugten Funken, die in alle Richtungen sprühten. Lein verlangsamte sein Tempo und betrachtete die Energieblitze mit Neugier und Vorsicht.