Auf der besonderen Tribüne des Göttlichen Himmelsreichs saß Lein ganz entspannt und schaute mit einem zufriedenen Ausdruck auf die Bühne unten. Alle Vorbereitungen von Haikal, Laras und den anderen waren super gelaufen. Die Veranstaltung lief gut, ohne größere Probleme.
Unten gingen die künstlerischen Darbietungen in vollem Gange weiter. Isabel, die für die Veranstaltung verantwortlich war, wirkte sehr beschäftigt. Ab und zu schaute sie mit nervösem Blick in Leins Richtung, als hätte sie Angst, in seiner Gegenwart einen Fehler zu machen. Nicht nur Isabel – auch viele Darsteller warfen heimlich Blicke auf ihn, vielleicht in der Hoffnung, einen genaueren Blick auf Lein zu erhaschen.
Die Cui und die Elfen aus dem Stillen Wald nahmen ebenfalls an den Darbietungen teil, wenn auch nicht so zahlreich wie die Erdmenschen. Dennoch zeigten sie ihre besten Künste. Interessanterweise unterschieden sich ihre Darbietungen nicht allzu sehr von denen der Menschen auf der Erde.
„Die Bewegungen erinnern an den Samba-Tanz aus Brasilien“, murmelte Lein und starrte auf eine Elfen-Tänzerin, die sich anmutig in der Mitte der Bühne bewegte. Ihre Hüften schwangen fließend im Rhythmus der Musik und boten einen faszinierenden Anblick.
Auch die Requisiten, die sie bei ihren Darbietungen verwendeten, waren ziemlich ähnlich. Sie nutzten Materialien aus Pflanzen und Tieren als Teil ihrer Accessoires und Bühnenrequisiten. Tausende bunte Vogelfedern schwebten in der Luft und erzeugten einen Effekt, der an Konfetti erinnerte, wie es oft bei Konzerten verwendet wird.
„Als Nächstes erleben wir den Sufi-Tanz der türkischen Allianz!“, verkündete Isabel laut.
Mehrere Tänzer tauchten hinter der Bühne auf, gekleidet in lange weiße Gewänder.
Sie begannen, sich endlos zu drehen und bildeten einzigartige Formationen auf der Bühne, als würden sie in einem Strudel spiritueller Energie tanzen.
„Ah … dieser Tanz“, murmelte Lein und erinnerte sich an die Sufi-Tanzaufführungen, die er zuvor im Fernsehen gesehen hatte. Er hatte sich dabei immer unwohl gefühlt. Etwas in den ausdruckslosen Gesichtern der Tänzer beunruhigte ihn, als wären sie keine Menschen, sondern mechanische Puppen ohne Seele.
Dann wanderte sein Blick zu den Zuschauern auf den Tribünen. Ihre Gesichter strahlten vor Freude, sie genossen jeden Moment der Aufführung in vollen Zügen. Begeisterte Jubelrufe hallten durch die Arena. Lein spürte, wie eine Wärme sich in seiner Brust ausbreitete. Er war nicht jemand, der sich dafür verantwortlich fühlte, alle glücklich zu machen, aber ihre begeisterten Gesichter zu sehen, gab ihm ein Gefühl der Erleichterung. Das war die Art von Leben, von der er geträumt hatte – eine Welt, in der die Menschen ohne Angst Schönheit genießen konnten.
Leins Gedanken schweiften in die Vergangenheit, als er und die anderen Menschen zum ersten Mal in diesem Reich angekommen waren. Damals hatten sie nur Dunkelheit und Angst empfunden. Es gab keinen Ort, an dem sie sich sicher fühlen konnten, keine Gewissheit über die Zukunft.
Aber jetzt hatte sich alles verändert. Sie hatten begonnen, sich der Außenwelt zu öffnen, Beziehungen zu anderen Rassen aufzubauen und sogar eine Zusammenarbeit vorzubereiten.
Während er darüber nachdachte, kniff Lein die Augen zusammen. Der Gedanke an die von Aleron vorgeschlagene Zusammenarbeit kam ihm wieder in den Sinn.
„Hmm …“, sagte Lein, atmete tief ein und ließ seine Gedanken weiter schweifen.
Vor ein paar Tagen hatte er mit Aleron über die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen der Menschheit und seiner Fraktion gesprochen. Der wichtigste Punkt, den Aleron angesprochen hatte, war die Unterstützung bei der Bewältigung einer sogenannten kosmischen Katastrophe. Wie der Name schon sagte, war die kosmische Katastrophe keine gewöhnliche Bedrohung. Es handelte sich um ein katastrophales Phänomen, das die Existenz eines ganzen Reiches gefährden konnte.
Als er zum ersten Mal von der kosmischen Katastrophe hörte, nahm Lein das nicht so ernst. Für ihn war das nur ein weiteres typisches Phänomen – vielleicht so was wie eine von Monstern befallene Insel, wie sie sie schon mal gesehen hatten. Die Realität sah aber ganz anders aus. Aleron betonte, dass das Guandu-Reich komplett ausgelöscht werden würde, wenn man sich nicht schnell um diese Bedrohung kümmerte. Deshalb wollte Aleron unbedingt zusammenarbeiten.
Um Lein ein klareres Bild zu vermitteln, erklärte Aleron, dass mindestens fünf Wächter der mittleren Königsklasse und ein Wächter der späten Königsklasse erforderlich seien, um der Bedrohung entgegenzutreten. Die Zahlen klangen gewaltig, und Lein, der das Konzept der Königsklasse erst seit kurzem begriff, wurde sofort klar, wie schrecklich die bevorstehende Katastrophe war.
Zum Glück blieb noch ein Jahr, bis die kosmische Katastrophe das Guandu-Reich erreichen würde. In kosmischen Maßstäben war ein Jahr jedoch keine lange Zeit. Für die Menschen auf der Erde mag ein Jahr lang erscheinen, aber für höhere Wesen war es nicht mehr als ein Wimpernschlag.
„Nun … bevor es soweit ist, muss ich meine Kernkraft stärken, bevor ich aufreise“, murmelte Lein leise. Seine Augen waren auf die Bühne gerichtet, aber seine Gedanken waren weit weg. Er würde das Reich des Göttlichen Himmels nicht verlassen, bevor er sicher war, dass die Weltmarkt-Handelsallianz stark genug war, um auf eigenen Beinen zu stehen.
„Bruder … diese Frau, sie ist diejenige, die während der Kosmischen Vereinigung in dem weißen Raum erschienen ist“, sagte Nita plötzlich neben ihm. Ihre Stimme war ruhig, aber ihr Blick war nach vorne gerichtet und voller Überzeugung.
Lein schreckte aus seinen Gedanken auf. Er drehte sich leicht verwirrt zu Nita um. „Diese Frau?“, fragte er beiläufig, während Neugier in seinen Augen aufblitzte. Der Name Tauriel kam ihm sofort in den Sinn.
Sie war die Frau, die von ihm eine Flasche mit einem Segenselixier bekommen hatte, als er das Guandu-Reich besucht hatte. Damals war sie die Anführerin einer Gruppe, die sie alle auf dem Schlachtfeld angeführt hatte. Nachdem das Portal für das Interrassische Kriegsevent geschlossen worden war, hatte er jedoch keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt.
„Ja, ich bin mir sicher, Bruder“, sagte Nita fest. „Damals hat sie mich gebeten, ihre Schülerin zu werden, und sie hat mir auch versprochen, mir unbegrenzte Ressourcen zur Verfügung zu stellen“, fuhr sie fort und erzählte alles, was in der weißen Fläche passiert war.
Lein kniff die Augen zusammen und überlegte angestrengt. Er spürte, dass etwas an dieser Situation nicht stimmte.
„Zu dieser Zeit war sie doch Großmeisterin, oder?“, fragte er, um sich zu vergewissern.
„Ja, warum, Bruder?“ Nita hob eine Augenbraue, ohne zu verstehen, was Lein dachte. Doch innerhalb von Sekunden dämmerte es ihr, und sie verstummte, ihre Augen weiteten sich leicht.
Lein holte tief Luft, legte eine Hand an sein Kinn und dachte über alles Mögliche nach. „Nita, hat sie was gesagt, als du ihr das Veranstaltungsprogramm gegeben hast?“, fragte er mit ruhiger Stimme, aber seine Augen verrieten sein Interesse.
„Nein, Bruder. Sie hat nichts über Machtstufen gesagt“, antwortete Nita etwas zögerlich.
