Er springt hoch, dann stürzt er sich nach unten – und schlägt wie ein Meteor auf den Boden, wobei allein der Aufprall ein Dutzend Soldaten unter ihm zerquetscht. Blut und Staub füllen die Luft.
Weitere versuchen zu fliehen.
Weitere scheitern.
Seine Klauen reißen sich durch Fleisch. Seine Reißzähne versinken in Kehlen. Jede seiner Bewegungen ist ein verschwommener Todesschatten, seine Geschwindigkeit und Kraft sind unübertroffen. Soldaten sterben in Scharen, ihre Schreie gehen in dem unerbittlichen Gemetzel unter.
Aber trotz seiner Kraft, trotz seiner Geschwindigkeit kann er sie nicht alle töten.
Sie rennen. So schnell es ihre zerbrochenen Körper zulassen.
Und Varkas?
Er lacht nur.
Als der letzte Soldat der Koalition am Horizont verschwindet, ist das Schlachtfeld unheimlich still. Der Boden ist mit Blut getränkt, die Luft ist schwer vom Geruch des Todes und verbrannten Fleisches.
Von den Festungsmauern aus beobachten die Soldaten das Geschehen in fassungsloser Stille. Niemand spricht. Niemand bewegt sich.
Dann –
„Bei den Göttern …“, bringt Nyssara endlich hervor, ihre goldenen Augen weit aufgerissen vor Unglauben. „General Varkas ist unglaublich!“
Sie ist nicht die Einzige, die das denkt.
Thurn verschränkt seine massigen Arme und schüttelt langsam den Kopf. „Monströs. Das ist das einzige Wort, das ihn beschreibt.“
Nyssara dreht sich zu ihm um, den Blick immer noch auf das Schlachtfeld gerichtet. „Glaubst du, wir könnten jemals so stark werden?“
Thurn schnaubt und wirft ihr einen Blick zu. „Sorin vielleicht. Du? Bestenfalls fifty-fifty.“
Nyssara schaut ihn genervt an. „Ach, halt die Klappe.“
Veltha, die sich in der Nähe zusammengerollt hat, zischt amüsiert, während sie einen Heiltrunk trinkt. Die zerrissenen Schuppen an ihrem schlangenartigen Körper heilen langsam, die Wirkung des Tranks setzt ein. „Ich weiß nicht, Thurn“, sagt sie mit sanfter Stimme. „Nyssara könnte uns eines Tages überraschen.“
Groth, der immer noch seine Axt umklammert, atmet tief aus. „Wenn wir uns alle anstrengen, wenn wir niemals aufgeben …“ Seine scharfen roten Augen blicken zum Horizont, wo die letzten Überreste der menschlichen Armee um ihr Leben fliehen. „… und mit der Führung Seiner Majestät werden wir alle Stufe 5 erreichen.“
Sorin, die bisher geschwiegen hat, meldet sich endlich zu Wort. „Wir müssen.“ Ihre Stimme ist leise, aber fest und voller Überzeugung. „Wenn wir an der Seite Seiner Majestät stehen wollen, müssen wir stärker werden.“
Die Gruppe verstummt, das Gewicht dieser Worte lastet auf ihnen.
Sie alle wissen es.
Sie haben heute gesehen, wie wahre Macht aussieht.
Und jetzt – sehnen sie sich danach.
—–
Das teure Glas zerspringt auf dem Marmorboden, seine Scherben verteilen sich im Raum. Der purpurrote Wein sickert wie vergossenes Blut in die Ritzen, aber Darius bemerkt es kaum. Seine Hände zittern, sein Atem geht stoßweise.
Das hätte nicht passieren dürfen.
Er krallt sich so fest an die Armlehnen seines Stuhls, dass seine Knöchel weiß werden. Seine Gedanken kreisen um die Worte, die er gerade gehört hat. Die gute Nachricht, auf die er gewartet hat – der Sieg, den er schon so gut wie sicher hatte – ist nie gekommen.
Stattdessen –
„Warum ist das passiert?“, brüllt Darius, und seine Stimme hallt durch den prächtigen Saal. Sein Körper zittert vor Wut. Seine Sicht verschwimmt vor Unglauben. „Ich war schon so nah dran, Kronprinz zu werden!“
Sein Vater hatte es ihm versprochen. Versprochen. Wenn dieser Feldzug erfolgreich wäre, wenn er Valgros den Sieg bringen würde, dann würde der Thron ihm gehören. Sein Vater hatte sogar einen der Marschälle des Königreichs beauftragt, seinen Erfolg sicherzustellen.
Und doch –
„Draven – tot?“ Seine Stimme bricht. „Das ist unmöglich! Er kann doch nicht von einem Niemand getötet worden sein!“
Er läuft auf und ab, sein Verstand zerbricht mit jedem Schritt.
Draven, der Donnergott von Valgros, der unbesiegte Kriegsherr, war gefallen. Nicht in einer epischen Schlacht gegen einen rivalisierenden Champion, nicht gegen eine gleich starke Armee – sondern durch ein Monster.
Ein Monster.
Darius rauft sich die Haare, sein Atem geht in kurzen, unregelmäßigen Stößen. „Nein … nein, es muss eine andere Erklärung geben!“ Seine Augen huschen wild hin und her, seine Gedanken klammern sich an eine verzweifelte Theorie. „Das muss das Werk des Königreichs Ordeya sein! Ja! Die müssen sich eingemischt haben! Es kann nicht sein – auf keinen Fall – dass ein Monster Draven getötet hat!“
Seine Worte sind voller Hysterie, aber er klammert sich an sie wie ein Ertrinkender an einen Strohhalm. Er weigert sich zu glauben, dass eine unbekannte Bestie, eine namenlose Kreatur, seine Ambitionen zunichte gemacht hat.
Seine Brust hebt und senkt sich. Sein Herz pocht.
Dann wird seine Wut kalt. Sein Zittern hört auf.
„Das akzeptiere ich nicht.“ Seine Stimme wird leiser, seine Augen verdunkeln sich vor gefährlicher Entschlossenheit. „Ich werde nicht zulassen, dass dieser Rückschlag mich ruiniert.“
Sein Vater wird ihn zum Kronprinzen ernennen.
——–
Die Spannung im Thronsaal ist greifbar. Die Luft ist stickig, als König Rewalt auf seinem Thron sitzt und mit langsamen, abgemessenen Bewegungen mit den Fingern auf die Armlehne klopft. Sein Gesichtsausdruck ist unlesbar, aber die Wut, die unter der Oberfläche brodelt, ist unübersehbar.
Vor ihm kniet Darius, sein Körper ist angespannt, sein Verstand sucht verzweifelt nach den richtigen Worten.
„Vater, bitte hör mir zu!“, Darius‘ Stimme zittert leicht, aber er zwingt sich, ruhig zu bleiben. „Das war nicht meine Schuld! Das Königreich Ordeya – die müssen sich eingemischt haben!“ Er ballt die Fäuste. „Draven wäre niemals einem unbekannten Monster zum Opfer gefallen! Da muss Verrat im Spiel sein …“
SLAM!
König Rewalts Faust schlägt auf die Armlehne des Throns, und der Klang hallt wie Donner durch den Saal.
„Genug.“
Darius zuckt zusammen, seine Kehle schnürt sich zusammen. Er wagt es, aufzublicken. Der Blick seines Vaters ist wie Stahl – kalt, gnadenlos und voller Enttäuschung.
„Darius.“ Die Stimme des Königs ist leise, aber das Gewicht dahinter ist erdrückend. „Du enttäuschst mich.“
Darius stockt der Atem.
„Hast du überhaupt eine Ahnung?“, fährt Rewalt fort, sein Tonfall scharf wie eine Klinge. „Wie groß dein Versagen ist? Der Verlust von Draven ist ein großer Verlust. Und du? Anstatt Verantwortung zu übernehmen, stehst du vor mir und redest Unsinn?“
„Das ist kein Unsinn!“, protestiert Darius und seine Stimme wird verzweifelt. „Unter normalen Umständen hätte Draven niemals verlieren können! Das muss Sabotage gewesen sein …“
„Schweigen!“
Die schiere Kraft hinter dem Befehl des Königs lässt Darius die Worte in der Kehle ersticken.
König Rewalt beugt sich vor, seine Präsenz ist überwältigend. „Dein Fehler allein reicht mir, um dir das Recht zu nehmen, um den Thron zu kämpfen. Hast du das verstanden?“ Seine goldenen Augen brennen vor kaum unterdrückter Wut. „Noch ein Fehler, Darius … und ich werde nicht mehr so gnädig sein.“
Darius‘ Atem geht schneller. Er ballt die Fäuste so fest, dass seine Fingernägel sich in seine Handflächen graben.
Das ist nicht fair. Das hätte nie passieren dürfen.
Aber er weiß, dass es sinnlos ist, weiter zu diskutieren.
Er senkt den Kopf, beißt die Zähne zusammen und presst die Worte heraus. „Ich verstehe, Eure Majestät.“
Der König atmet langsam aus und lehnt sich in seinem Thron zurück. „Gut. Denn es wird keinen zweiten Fehler geben.“
Stille herrscht zwischen ihnen.
Dann winkt König Rewalt mit einer Handbewegung, dass er gehen kann. „Geh.“
Darius steht steif auf, seine Beine fühlen sich wie Blei an, als er sich umdreht und zu den massiven Türen des Thronsaals geht.
Nachdem sich die Türen hinter Darius vollständig geschlossen haben, durchbricht endlich eine tiefe Stimme die Stille.
„Eure Majestät.“
Marschall Zinov, der während des gesamten Gesprächs geschwiegen hat, ergreift endlich das Wort. Seine Stimme ist ruhig, aber seine Worte haben Gewicht.
König Rewalt reibt sich die Schläfen, seine Geduld ist bereits am Ende. „Was gibt es, Zinov?“
König Rewalt reibt sich die Schläfen, seine Geduld ist bereits am Ende. „Was gibt es, Zinov?“
Zinov tritt vor, sein purpurroter Umhang streift den polierten Boden. Er ist ein Mann weniger Worte, sein Gesichtsausdruck unter seinem silbergrauen Bart ist unlesbar. „Die westliche Grenze, Eure Majestät. Die Region, in der Marschall Draven stationiert war.“ Er hält kurz inne, damit seine Worte wirken können. „Wenn wir nicht bald einen neuen Kommandanten stationieren, werden die Monster aus der Schlucht in das Königreich strömen.“
König Rewalt atmet tief aus, seine Kopfschmerzen werden schlimmer.
Das Königreich Valgros war schon immer stark. Selbst nach Dravens Tod haben sie immer noch mehr Krieger der Stufe 5 als ihre Rivalen. Das Königreich Ordeya hat nur einen. Raltheon? Die haben nicht mal einen einzigen Kämpfer der Stufe 5.
Und doch – Stärke allein reicht nicht aus.
Jeder seiner Marschälle hat eine unersetzliche Aufgabe.
Draven hatte die westliche Grenze bewacht und die endlose Flut von Monstern zurückgehalten, die aus der Abgrundspalte auftauchten. Ohne ihn würde dieses verfluchte Land bald überflutet werden, und keine gewöhnliche Armee könnte es zurückhalten.
Marschall Tesvin war an der südöstlichen Grenze stationiert und wehrte die unerbittlichen Barbarenstämme ab. Egal wie oft Valgros sie vernichtete, diese Wilden kehrten immer wieder zurück, als würde das Land selbst sie endlos hervorbringen.
Tesvin zu versetzen würde nur eine Katastrophe durch eine andere ersetzen.
Damit blieb nur noch Zinov selbst übrig.
Der Blick des Königs ruht auf dem erfahrenen Marschall. „Kannst du deinen Posten verlassen?“
Zinov schüttelt den Kopf. „Ich kann nicht. Die Verteidigung der Hauptstadt ist meine Pflicht. Wenn ich gehe, ist das Herz des Königreichs ungeschützt.“
Rewalt reibt sich die Stirn. „Verdammt.“
Zum ersten Mal seit Jahren mangelt es Valgros an Macht.
Der Verlust eines Kriegers der Stufe 5 war nicht nur ein Schlag – es war ein Riss in ihrem Fundament.
Plötzlich kommt Rewalt ein Gedanke. Seine Finger hören auf, gegen die Armlehne zu trommeln, und seine Augen verengen sich nachdenklich.
„Was ist mit General Rostri?“, fragt er mit bedächtiger Stimme. „Er ist bereits auf dem Höhepunkt der Stufe 4 … Level 499.“
Zinov denkt über den Vorschlag nach und streicht sich über den Bart. Nach einem Moment nickt er. „Er sollte das schaffen, Eure Majestät.“ Sein Tonfall ist ruhig und zuversichtlich. „Schließlich ist noch nie ein Monster der Stufe 5 aus dieser Spalte aufgetaucht. Solange das so bleibt, kann Rostri die Verteidigung aufrechterhalten.“
Rewalt atmet langsam aus, und ein Teil der Anspannung fällt von seinen Schultern. „Dann machen wir das so.“
Aber während er spricht, schwingt ein unverkennbarer Anflug von Bedauern in seiner Stimme mit. Er lehnt sich in seinem Thron zurück, seine goldenen Augen sind vor Unzufriedenheit dunkel. „Schade, dass Rostri nicht den Sprung in die Stufe 5 geschafft hat“, murmelt er. „Trotz allem, was wir getan haben, um ihn voranzubringen … er hat es einfach nicht geschafft.“
Zinov schweigt. Es gibt nichts zu sagen.
Manche Krieger sind dazu geboren, ihre Grenzen zu überschreiten. Andere, egal wie talentiert sie sind, egal wie nah sie kommen, werden diesen letzten Schritt nie schaffen.