Atticus fühlte sich schwach.
Es war, als würde ihm mit jedem Atemzug die Energie aus dem Körper gesaugt.
„Genau wie ich erwartet habe“, dachte er und biss die Zähne zusammen.
Der Nebel war dicht und umhüllte ihn wie eine erstickende Decke, kalt und bedrückend. Er klebte an seiner Haut, drang in seine Lungen ein und raubte ihm mit jeder Bewegung Energie.
Atticus hatte schon geahnt, dass das passieren würde. In dem Moment, als der Nebel den Hügel umhüllte, wusste er, dass er keine Wahl hatte. Es ging nicht darum, ihm auszuweichen, es war unvermeidlich.
Als er vom Gipfel des Hügels sprang, tauchte er in den Nebel ein und teilte ihn wie Wasser. Seine Landung war präzise und geräuschlos. Eine Rolle trug ihn vorwärts, sein Körper bewegte sich flüssig und effizient.
Seine Beine arbeiteten wie Kolben, lautlos und unglaublich schnell. Jeder Schritt berührte den Sand kaum und hinterließ weder Geräusche noch Spuren. Sein Atem verlangsamte sich zu einem Flüstern, sein Herz schlug in einem kontrollierten Rhythmus.
Atticus bewegte sich wie ein Schatten, leise und unsichtbar.
Aber er war nicht allein.
Er konnte sie hören.
Das Geräusch unzähliger Schritte hallte hinter ihm wider, eine Armee unsichtbarer Bestien. Das leise Knirschen des Sandes, das Vibrieren ihrer Krallen auf dem Boden, das entfernte Heulen ihres Hungers.
Sie kamen näher.
„Kannst du mich hören?“ Atticus versuchte, mit seinem Geist durch Gedanken zu kommunizieren.
Dies war eine Prüfung, die vom Katana entworfen worden war. Es schien unwahrscheinlich, dass er so etwas nicht berücksichtigt hatte, es sei denn, er war wild entschlossen, dies so höllisch wie möglich zu gestalten.
Glücklicherweise war das nicht der Fall.
„Ja, ich kann dich hören.“
Die tiefe Stimme seines Begleiters in seinem Kopf zu hören, verschaffte ihm immense Erleichterung. Atticus verschwendete keine Zeit.
„Erzähl mir alles über diesen Nebel“, verlangte er, während sein Geist raste, während sein Körper vorwärts drängte.
Jetzt, wo er sich im Nebel befand und direkt von ihm beeinflusst wurde, konnte der Geist ihm Antworten geben.
Der Geist zögerte nicht. „Dies ist der Nebel der Leere. Er erscheint nur nachts und entzieht allen Lebewesen, die sich in ihm befinden, Energie. Je mehr du dich anstrengst, desto schneller entzieht er dir Energie.“
Atticus kniff die Augen zusammen. „Wie kann ich verhindern, dass er mir meine Energie raubt?“
„Ganz einfach“, antwortete der Geist. „Je weniger du dich anstrengst, desto weniger absorbiert er. Wenn du dich nicht anstrengst, nimmt er dir nichts weg.“
Diese Information traf Atticus wie ein Blitz. Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren und stellte verschiedene Möglichkeiten zusammen.
„Wie kann ich ihm entkommen?“
„Das kannst du nicht“, sagte der Geist unverblümt. „Du sollst nicht entkommen. Selbst mit deiner Höchstgeschwindigkeit wird es dich einholen. Du kannst ihm nicht entkommen.“
„Was ist mit den Bestien? Sind sie nicht betroffen?“
Der Geist schüttelte den Kopf. „Sie sind ein Produkt des Nebels. Er hat keine Wirkung auf sie. Das ist ihr Reich.“
Atticus presste die Kiefer aufeinander. „Eine Falle.“
Er blickte zurück. Die unsichtbaren Bestien holten auf, ihre Schritte wurden immer zahlreicher. Trotz der vielen, die er bereits getötet hatte, waren es immer noch unzählige.
Still zu sein war jetzt sinnlos. Die Bestien hatten ihn mit ihrem Geruch markiert. Wegzulaufen würde ihn nur noch mehr erschöpfen. Kämpfen würde noch mehr Blut vergießen und Lärm verursachen, was noch mehr von ihnen anlocken würde.
Für einen Beobachter sah es wie Schachmatt aus.
Aber der Blick des Geistes wanderte zu Atticus und verengte sich neugierig. Ein einziger Fehler würde den sicheren Tod bedeuten, und doch blieb der Ausdruck des Jungen trotz allem ruhig.
Atticus‘ kalte Augen flackerten, während seine Gedanken rasten, jede Möglichkeit abwägten und jedes Ergebnis abwägten.
Der Geist konnte nicht anders, als ihn zu bewundern. „Selbst in dieser Situation?“, murmelte er.
Unter den Katana-Kämpfern war Atticus der mit Abstand jüngste, der jemals die vierte Prüfung versucht hatte. Der Geist konnte sich noch lebhaft an seine eigene Prüfung erinnern, an die Angst, die ihn in einer ähnlichen Situation erfasst hatte. Und doch stand hier dieser junge Mann, völlig ruhig.
Gerade als der Geist seine Gelassenheit bewunderte, verhärtete sich Atticus‘ Blick.
Seine rasante Bewegung kam abrupt zum Stillstand. Er drehte sich abrupt um und stellte sich der heranstürmenden Horde, seine Aura veränderte sich.
Er hatte sich entschieden.
Weglaufen war unmöglich. Still zu bleiben war unmöglich.
Also würde er kämpfen.
Seine Haltung war angespannt, seine Füße fest auf dem Boden, beide Arme erhoben und ruhig. Seine durchdringenden blauen Augen leuchteten schwach und durchdrangen die bedrückende Dunkelheit.
Der Nebel wurde dichter um ihn herum, kalt und schwer, und verschleierte alles. Aber Atticus verließ sich nicht nur auf seine Augen. Seine Sinne waren total geschärft.
Er spürte sie.
Die Luft bewegte sich, ganz leicht, und der Nebel trug winzige Schwingungen mit sich.
Die Schritte der Bestien wurden lauter.
Ein schrilles, kehliges Heulen zeriss die Stille.
Atticus‘ Körper spannte sich an.
Er spürte es, eine Welle in der Luft. Fünfzig Meter. Näher. Die Bestien stürmten vorwärts, ihre unsichtbaren Gestalten durchschnitten den Nebel. Die Luft teilte sich unter ihrer Geschwindigkeit, der Luftstrom wurde unterbrochen, als sie vorwärts stürmten.
Zwanzig Meter.
Sie teilten sich, fächern sich auf und umzingelten ihn wie Raubtiere, die mit ihrer Beute spielen.
Sie rannten im Kreis, ihre Bewegungen schnell und unerbittlich. Das Geräusch ihrer Schritte hallte im Gleichklang wider, ein eindringlicher Rhythmus, der die Leere füllte.
Aber Atticus rührte sich nicht.
Seine Haltung schwankte nicht. Seine Arme blieben erhoben, ruhig und unbeweglich.
Die Bestien schienen zu warten, als wollten sie ihn testen.
Atticus‘ Gedanken waren ruhig, kalt.
„Sie hören ihre eigenen Geräusche nicht. Nur meine.“
Es gab kein Entkommen. Der offene Platz bot keine Deckung, keinen Rückzug. Jeder Schlag würde Geräusche machen. Jede Bewegung würde weitere anlocken.
Aber das war egal.
Er war bereit. Und er würde kämpfen.
Der erste Angriff kam.
Drei Bestien stürzten sich gleichzeitig auf ihn, ihre Umrisse zerrissen den Nebel.
Atticus schloss die Augen. Sein Atem wurde langsamer.
Stille.
Dann bewegte sich seine Hand.
Wie eine Viper.
Schnell. Präzise. Tödlich.
Seine Finger durchbohrten die Luft und trafen in schneller Folge die Kehlen der Bestien. Der Nebel zitterte, als ihre Körper zu Boden sanken und schwache, flackernde Abdrücke im Sand hinterließen.
Das Heulen brach erneut los.
Weitere Bestien stürzten sich schneller aus allen Richtungen auf ihn.
Atticus zuckte nicht mit der Wimper. Seine Füße blieben fest auf dem Boden, unbeweglich. Nur sein Oberkörper drehte sich, seine Arme bewegten sich blitzschnell, seine Finger schlugen mit rasender Geschwindigkeit zu.
Dumpfer Aufprall. Dumpfer Aufprall. Dumpfer Aufprall.
Das leise Geräusch seiner Schläge hallte scharf und tödlich durch den Nebel.
Seine Finger bewegten sich wie eine Gatling-Kanone und zerschnitten die Luft mit einem Pfeifen, während sie eine Bestie nach der anderen trafen.
Jeder Angriff war minimal. Effizient. Perfekt.
Die Bestien fielen in schneller Folge und ihre Körper türmten sich um ihn herum. Die Luft stank nach Blut, aber Atticus machte weiter.
Der Nebel wurde dichter. Die Angriffe wurden immer heftiger.
Bestien brachen aus den Haufen ihrer Gefallenen hervor und sprangen mit brutaler Wildheit auf ihn zu.
Aber Atticus geriet nicht in Panik. Sein Verstand arbeitete wie eine Maschine.
Endlich bewegte sich sein Fuß.
Er stampfte mit voller Kraft auf den Boden und schleuderte die unsichtbaren Körper in alle Richtungen.