Es fühlte sich an, als würde die Welt untergehen.
Alles um ihn herum verschwamm, als hätte sich die Luft in eine grausame Fata Morgana verwandelt.
Sein Verstand, sein Herz und sogar seine Sinne – alles fühlte sich an wie eine Lüge. Die Realität, die einst so klar und deutlich gewesen war, wirkte nun vage und hohl, wie ein verzerrtes Echo dessen, was sie eigentlich sein sollte.
Der Boden unter ihm kam ihm fremd vor, als würde er in einem endlosen Abgrund schweben. Nichts ergab mehr einen Sinn. Alles, wofür er gekämpft hatte, war vor seinen Augen zu Staub zerfallen.
Atticus kniete vor Freyas Grabstein, seine Knie sanken in die Erde, während Tränen über sein Gesicht liefen. Sein Körper zitterte heftig, sein Atem kam in unregelmäßigen Schluchzern.
„Nein … nein, nein, nein …“, murmelte er zwischen den Schluchzern, seine Brust zog sich mit jedem Atemzug zusammen.
„Nach allem … nach all der harten Arbeit … habe ich versagt. Ich habe sie im Stich gelassen … Ich hätte härter arbeiten sollen … Ich hätte sie beschützen sollen …“
Jedes Wort, das seine Lippen verließ, war schwer von Selbstvorwürfen, die Schuld nagte an ihm wie ein hungriges Tier.
Er vergrub sein Gesicht in den Händen, Tränen benetzten seine Handflächen.
Es fühlte sich an, als würde die Welt über ihm zusammenbrechen, als würde ihn das Gewicht seiner eigenen Unzulänglichkeit unter seiner unerträglichen Last erdrücken.
Anastasia kam bald am Friedhof an, ihr Herz brach bei dem Anblick ihres Sohnes, der vor dem Grab kniete und so in seiner Trauer versunken war, dass er sie nicht einmal bemerkte.
Sie wischte sich die Augen und rief leise, ihre Stimme zitterte.
„Atticus …“
Aber Atticus hörte sie nicht. Er konnte sie nicht hören. Er war in seiner eigenen Welt, sein Geist war von der überwältigenden Traurigkeit und Schuldgefühlen erfüllt, die seinen Körper zerfraßen.
Der Schmerz war so tief, so roh, dass er etwas in ihm zum Schwingen brachte, von dem er nicht gewusst hatte, dass es möglich war.
Bis jetzt war Atticus nicht klar gewesen, dass diese Emotionen so mit den Elementen mitschwingen konnten.
Aber jetzt wusste er, dass er sich geirrt hatte.
Seine Gefühle, die so eng mit seiner Elementarbezogenheit verbunden waren, begannen in die Luft um ihn herum zu sickern.
Wasser.
Traurigkeit und Kummer schwangen tief mit dem Element Wasser mit. Wasser wurde oft mit Emotionen, Gelassenheit und Frieden in Verbindung gebracht, aber im Moment eher mit Trauer und Tränen.
Es stand für die Fließfähigkeit von Gefühlen, das Auf und Ab des Lebens und die stille, aber überwältigende Natur der Trauer, wie ein tiefer, trauriger Fluss.
Die Luft begann sich zu verändern. Zuerst war es kaum wahrnehmbar – ein Hauch von Feuchtigkeit, der sich um ihn herum sammelte.
Aber bald wurde es schwerer, die Atmosphäre verdichtete sich, als die Wassermoleküle in der Luft auf Atticus‘ Trauer reagierten und mit einer unsichtbaren Kraft um ihn herumwirbelten.
Tränen liefen ihm über das Gesicht, aber es waren nicht nur seine Tränen, die die Erde benetzten. Die Feuchtigkeit in der Luft verdichtete sich, Tröpfchen bildeten sich in der Atmosphäre und umkreisten ihn wie ein Sturm.
Seine Trauer, seine Schuld, seine Verzweiflung – all das nährte das Element Wasser, das Element, das mit dem Auf und Ab der Gefühle verbunden ist. Und jetzt war es wie eine Flutwelle der Trauer.
Der Boden unter ihm war total durchnässt, und die Feuchtigkeit drohte, genau die Stelle, an der er kniete, zu überfluten.
„Atticus!“, rief Anastasia mit panischer Stimme, während sie beobachtete, wie sich der Sturm zusammenbraute. Sie versuchte, zu ihm zu gehen, ihr Herz raste, aber Atticus‘ Trauer wurde zu einer Naturgewalt. Er murmelte weiter, seine Stimme schwach, aber voller Reue.
„Ich habe versagt … Es tut mir leid … Ich hätte stärker sein müssen …“
Bevor Anastasia einen weiteren Schritt machen konnte, grollte der Himmel.
GRÖLEN.
Ein Donnerschlag krachte, sein ohrenbetäubendes Dröhnen zeriss die Luft, während sich der Himmel über ihnen verdunkelte. Dicke Wolken zogen auf, schwer und bedrohlich, als wäre der Himmel selbst herbeigerufen worden, um diesen Moment zu bezeugen.
Magnus, der schweigend vor Freyas Grab gestanden hatte, sprach endlich. Seine Stimme war tief und donnernd, wie der herannahende Sturm selbst.
„Du magst mein Enkel sein … den ich von ganzem Herzen liebe.“
DONNER!
Ein weiterer Blitz zuckte durch den Himmel und tauchte den Friedhof in ein gleißendes Licht. Sein intensiver, unerschütterlicher Blick war auf Atticus gerichtet, dessen Emotionen alles um sie herum zu zerstören drohten.
„Aber ich werde nicht zulassen, dass du ihre letzte Ruhestätte schändest.“
Die Kraft in Magnus‘ Stimme war unbestreitbar, wie das Grollen eines herannahenden Sturms. Ein weiterer Donnerschlag ertönte, noch lauter, und die Atmosphäre schien unter seiner Wucht zu beben.
„Beherrsch deine Gefühle“, dröhnte Magnus‘, „oder ich werde dich töten.“
Atticus‘ Augen waren vor Schock weit aufgerissen und auf seinen Großvater geheftet.
Er hörte das meiste von dem, was Magnus sagte, nicht, aber die Worte über die Schändung ihrer letzten Ruhestätte trafen ihn wie ein Hammerschlag.
„Es tut mir leid“, flüsterte Atticus mit heiserer Stimme und wiederholte die Worte wie ein Mantra. „Es tut mir leid … Es tut mir so leid …“
Das Wasser, das um ihn herum gewirbelt war, begann sich zu beruhigen, und der heftige Sturm der Gefühle legte sich, als Atticus‘ Schuldgefühle und Trauer ihn überkamen.
Das Wasser legte sich, sickerte zurück in die Erde und hinterließ nur noch das Geräusch von Atticus‘ unterdrückten Schluchzern.
„Ich bin nutzlos … Ich habe sie enttäuscht …“, flüsterte er immer wieder, seine Stimme kaum zu hören.
Anastasia, Tränen liefen ihr über das Gesicht, eilte zu ihrem Sohn, schlang ihre Arme um ihn und hielt ihn fest, während er weinte. „Nein, Atticus … du hast sie nicht enttäuscht … Das hast du nicht …“
Aber Atticus konnte die Tränen nicht zurückhalten, konnte die überwältigende Schuld, die ihn ergriff, nicht unterdrücken. Er vergrub sein Gesicht in den Armen seiner Mutter und murmelte mit gedämpfter Stimme immer wieder Entschuldigungen.
Magnus stand regungslos da, die Kiefer zusammengebissen, die Fäuste an den Seiten fest geballt. Er schloss die Augen und zwang sich, den Sturm zu beruhigen, der sich über ihnen zusammengebraut hatte.
Langsam lichteten sich die Wolken, der Himmel klarte auf, als die Spannung in der Luft nachließ.
„Es tut mir leid“, dachte Magnus still und wandte sich wieder Freyas Grabstein zu. Sein Herz war schwer, sein Blick auf den Stein geheftet. Er verstummte und lauschte den Schreien seines Enkels, die den Friedhof erfüllten.
Atticus weinte, bis ihn die Erschöpfung übermannte und sein Körper endlich nachgab. Er schlief in Anastasias Armen ein, sein Gesicht noch immer tränenüberströmt.
Anastasia hob ihren Sohn vorsichtig hoch und wiegte ihn, als wäre er noch ein kleines Kind. Sie warf einen Blick auf Magnus, der immer noch schweigend vor Freyas Grab stand, und trug Atticus dann langsam zurück zum Anwesen, ihre Schritte schwer von der Last der Trauer.