Die Café-Tür quietschte beim Öffnen und ließ einen kalten Luftzug mit Spuren von Schnee herein. Drinnen war die sonst so ruhige Atmosphäre total durcheinander. Die Gäste standen dicht gedrängt um einen großen Bildschirm, der eine ganze Wand einnahm, und schauten mit angespannten Gesichtern auf das, was wie eine riesige, lebhafte Kriegsszene aussah.
Derjenige, der hereinkam, war ein Mann in einem dicken Mantel, dessen blonde Haare vom eisigen Wind zerzaust waren. Neben ihm stand ein kleines Mädchen, nicht älter als fünf Jahre, das seine Hand fest umklammerte.
„Ich habe so einen Hunger. Ich möchte etwas essen“, sagte das Mädchen.
Der Mann zögerte und warf einen Blick auf die Menge. Er zog sie sanft an der Hand und beugte sich leicht zu ihr hinunter.
„Willst du wirklich hier essen? Sollen wir nicht lieber woanders hingehen?“
„Nein, Papa“, antwortete das Mädchen. „Du hast mir versprochen, dass wir heute Morgen hier essen.“
„Okay.“ Mit einem leisen Seufzer gab er nach und führte sie zu dem Tisch, der am weitesten von der Menge entfernt stand.
Er half ihr aus ihrer Schultasche und stellte sie auf einen Stuhl, bevor sie ein Buch herausholte und darin zu blättern begann. Während sie las, baumelten ihre Beine untätig unter dem Tisch.
Für einen Moment wanderte ihr Blick zurück zum Bildschirm und den faszinierten Gästen.
„Papa …“, begann sie.
„Ja, May?“
„Ich habe dich schon lange nicht mehr spielen sehen“, sagte sie und zeigte auf den Bildschirm. „Vermisst du es nicht?“
Der Mann lächelte leicht und schüttelte den Kopf. „Ich bin gerade etwas beschäftigt und …“ Er hielt inne und sah sie mit sanftem Blick an. „Ich möchte mehr Zeit mit dir verbringen.“
Das kleine Mädchen nickte, ihre Neugierde geweckt, als plötzlich laute Rufe aus der Menge ertönten.
„Nein, nein, nein! Jemand muss Charmelyn retten!“
„Verdammt! Sie ist eine Attentäterin, um Himmels willen! Wie soll sie gegen so einen fliegenden Dämon kämpfen?“
„Das ist so deprimierend. Es muss endlich jemand eingreifen.“
„Wo sind die anderen Vensalor-Mitglieder?“
„Ja, Elincia, Kingsley – sogar Broken! Wo zum Teufel sind sie?“
„Goldrich und Jovina kämpfen auch auf ihrer Seite.“
„Aber der ganze Ruhm gebührt diesem reichen alten Mann. Er ist wirklich der Größte!“
May neigte den Kopf und blickte neugierig zwischen dem Tumult und ihrem Vater hin und her.
„Papa, reden sie über deine Freunde?“, fragte sie.
Aber ihr Vater antwortete nicht. Er blieb regungslos stehen und starrte auf den großen Bildschirm am anderen Ende des Raumes. Seine Hand, die immer noch den Krug umklammerte, aus dem er ihr Wasser eingeschenkt hatte, zitterte leicht, während die Flüssigkeit überlief und in einer leisen Kaskade über den Tisch lief.
Als May seinen Gesichtsausdruck bemerkte, runzelte sie die Stirn. Sie beugte sich schnell vor, hielt den Krug fest, stellte ihn wieder aufrecht und schob dann sanft seine Hand weg.
„Papa! Du machst alles nass!“
Ihre Worte rissen ihn aus seiner Benommenheit. „Ah, entschuldige. Das wollte ich nicht …“ Er lachte leise und griff nach einer Serviette, um die Flüssigkeit aufzuwischen.
May kicherte leise. „Du bist so albern, Daddy.“
Kurz darauf waren der Mann und seine Tochter mit dem Essen fertig. Er half ihr, ihren Mantel und ihren Schal anzuziehen, nahm dann sanft ihre Hand und führte sie eilig aus dem Café.
Als sie zum Ausgang gingen, warfen mehrere Gäste ihnen Blicke zu, einige beugten sich zu einander und flüsterten leise.
„Bist du sicher? Das kann doch nicht sein!“
„Ja, ganz sicher! Das ist er. Maylock! Ich würde ihn überall erkennen.“
„Unmöglich! Wenn er im Spiel gewesen wäre, wäre der Kampf nicht halb so schwer gewesen!“
„Oh Mann. Ich würde so gerne zu ihm hingehen und etwas sagen.“
„Ich habe gehört, dass er mit privaten Problemen zu kämpfen hat. Deshalb hat er sich in letzter Zeit nicht ins Spiel eingeloggt.“
„Er muss wissen, was los ist. Das muss er einfach.“
„Soll ich rübergehen? Nur um ihm zu sagen, wie sehr er uns alle in Immortal Legacy inspiriert hat?“
„Er hat wahrscheinlich seine Gründe. Das geht uns nichts an.“
***
Nordtor.
Charmelyn, Skywarden und Kingsley gegen Marquis Orias.
Etwas Außergewöhnliches beherrschte das Schlachtfeld. Ein riesiger Grizzlybär von monströser Größe stand da, gekleidet in eine zerklüftete schwarze Rüstung mit leuchtenden goldenen Akzenten. Die Rüstung hatte stachelige Schulterpanzer und eine stark verstärkte Brustplatte.
Aus der Ferne war der Grizzly ein wahrhaft atemberaubender Anblick. Die schiere Größe und das Gewicht seiner Rüstung machten ihn noch furchterregender. Sein massiger Körper zerschmetterte das Schlachtfeld und schlug wild um sich, während gespenstische Löwen aus verschiedenen Richtungen auf ihn zustürmten und versuchten, ihn zu überwältigen.
„Nennen wir dieses Biest Dawnbreaker, Max“, schlug Tora vor, während er die Kämpfe an den vier Toren im Auge behielt.
„Der Name ist echt cool, Tora“, antwortete Max. „Die Rüstung sieht wahnsinnig solide aus und macht Kingsleys Verwandlung noch furchterregender! Aber … erlaubt ihm seine neue Klasse, so eine Rüstung zu tragen?“
„Haha, nun, das ist einfach ausgedrückt. Ja, das ist einer der Vorteile“, gab Tora mit einem Grinsen zu.
„Aber da steckt definitiv noch mehr dahinter. Ich glaube, Kingsley hat noch nicht alles über seine Fähigkeiten verraten.“
„Trotzdem“, fuhr Max fort, „Kingsleys Verwandlung ist unglaublich vielseitig. Er kann sich auf rohe Gewalt konzentrieren oder sogar in die Luft gehen. Ich würde sagen, Charmelyn hat in diesem Kampf einen massiven Schub bekommen.“
Der Kampf mit dem aktuellen Team tobte eine gefühlte Ewigkeit lang. Alle Spieler setzten ihre Hoffnungen in diesen gewaltigen Kampf und gingen bis an ihre Grenzen, um das Blatt zu wenden. Doch an einer anderen Front war die Zahl der Dämonen nach wie vor überwältigend, und trotz aller Bemühungen konnten viele Spieler die Stellung nicht halten und mussten sich geschlagen geben.
Westtor.
Die Lage verschlimmerte sich, als Mitglieder der Vensalor-Gilde ins Straucheln gerieten. Ivana und Optimus wurden beide von den riesigen Händen von König Balam erfasst. Eine Flut von lodernden Flammen verschlang sie, doch Ivanas Schutzschild hielt stand und bewahrte sie vorerst vor dem Tod – aber es war klar, dass der Schild nicht ewig halten würde.
„Trison! Wir müssen sie retten!“, schrie Toberry. „Wenn wir nichts tun, werden sie sterben! Ivana … wir dürfen sie nicht fallen lassen!“
„Toberry, glaubst du wirklich, wir können nah genug herankommen?“, gab Trison zurück. „Die Dämonen sind unzählbar! Wir können diese Position kaum halten, so wie es ist.“
„Auf keinen Fall! Wir dürfen Ivana nichts passieren lassen!“
