„Glaubst du an Reinkarnation?“, wiederholte Klaus die Frage langsam und runzelte dabei die Stirn. Das war keine Frage, über die er jemals ernsthaft nachgedacht hatte. Reinkarnation – die Vorstellung, nach dem Tod wiedergeboren zu werden, als jemand völlig Neues, ohne Erinnerung an sein vergangenes Leben – war etwas, das er nur aus Geschichten kannte.
Klaus war sich unsicher. Wie sollte er etwas beantworten, das er kaum verstand? Sein Leben war geprägt von Kämpfen, Überleben und dem Trotz gegen den Himmel – nun ja, noch nicht ganz, aber wer fragt schon nach dem? Der Gedanke, von vorne anzufangen und alles zu verlieren, was er gelernt und für das er gekämpft hatte, war ihm fremd.
Er warf einen Blick auf die Gestalt ihm gegenüber, die ihn mit geduldigen Augen ansah und auf eine Antwort wartete. Klaus wollte nicht verwirrt oder schwach wirken, also rang er sich eine Antwort ab, die ihm sicher erschien, wenn auch nicht ganz ehrlich.
„Ich denke, das ist möglich“, sagte Klaus mit zurückhaltender Stimme.
Haus lächelte über seine Antwort, als amüsiert über Klaus‘ Zögern. In diesem Lächeln lag ein stilles Verständnis, als wüsste der Fremde, dass Klaus‘ Unsicherheit tiefer ging, als er zugeben wollte.
Klaus rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und nahm dann einen Schluck von dem Tee in seiner Hand, wobei er die Wärme in seiner Brust spürte. Der Geschmack war reichhaltig, aber anders als alles, was er bisher getrunken hatte. Neugierde packte ihn.
„Woraus ist dieser Tee gemacht?“, fragte Klaus mit leichter Stimme, um das Gespräch von dem schweren Thema der Reinkarnation abzulenken.
Haus‘ Lächeln vertiefte sich, und ein verschmitztes Funkeln erschien in seinen Augen. „Ah, das ist eine Frage, die sich lohnt.“
„Was wäre, wenn ich dir sagen würde, dass du gerade Erinnerungen aus deinem früheren Leben getrunken hast?“, fragte Haus mit einem amüsierten Lächeln.
Klaus erstarrte mitten im zweiten Schluck und senkte die Tasse langsam. Seine Gedanken rasten, während er die Worte der Gestalt verarbeitete. Erinnerungen? Aus seinem früheren Leben?
„Das ist doch ein Scherz, oder?“, sagte Klaus mit ruhiger Stimme, aber sein Herz pochte. „Erinnerungen kann man doch nicht … trinken.“
Haus‘ Lächeln wurde breiter, als würde er Klaus‘ Reaktion genießen. „Ist das wirklich so schwer zu glauben? Du bist immerhin ein Paragon.“
Klaus spürte das Gewicht der Teetasse in seiner Hand, die plötzlich schwerer war als zuvor. Er wusste nicht viel über diese Paragons, aber er wusste, dass er mit der Zeit alles herausfinden würde. Im Moment war das alles einfach zu verrückt für ihn.
„Wie?“, fragte Klaus mit ernsterer Stimme.
Haus lehnte sich zurück und lächelte immer noch. „Der Tee, den du getrunken hast, ist kein gewöhnliches Getränk. Er wird aus der Essenz deiner vergessenen Leben hergestellt und in eine Form destilliert, die du konsumieren kannst. Jeder Schluck schaltet Fragmente dessen frei, wer du einmal warst.“
Klaus blickte auf den Tee, dessen Oberfläche ruhig und unscheinbar war, doch nun schien er ihm unheimlich. „Und was, wenn ich mich nicht erinnern will?“
Haus zuckte lässig mit den Schultern. „Das ist das Problem mit Erinnerungen – sie fragen nicht um Erlaubnis. Du hast sie bereits konsumiert. Ob du sie anerkennen willst oder nicht, bleibt dir überlassen.“
Klaus wollte etwas erwidern, aber es kam kein Wort heraus. Plötzlich überkam ihn eine Welle von Schwindel, und bevor er begreifen konnte, was los war, hallte Haus‘ Stimme in seinem Kopf wider.
„Nun, ich hätte nicht gedacht, dass ich mich selbst unter Drogen setzen würde“, lachte die Gestalt, aber Klaus war zu benommen, um zu antworten. Seine Sicht verschwamm, und dann wurde alles schwarz, als er in Ohnmacht fiel.
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„Meine Königin, wir werden angegriffen!“, schrie eine junge Magd und stürmte in einen Raum. Dort stand sofort eine bezaubernde Frau mit so auffälligen Gesichtszügen auf, dass sie mit einem einzigen Lächeln ganze Nationen hätte vernichten können.
Neben ihr lag friedlich auf dem Bett ein kleiner Junge, der nicht älter als sieben Jahre alt sein konnte. Sein unschuldiges Gesicht strahlte eine Ruhe aus, die wie die Essenz von Frieden und Liebe wirkte.
Die Königin drehte sich um, als sie die panische Stimme der Jungfrau hörte. Sie ging zum Fenster, warf einen Blick hinaus und sah das Chaos draußen. Tausende schwarz gekleidete Menschen kämpften gegen ihre Wachen und Soldaten, und vor den Toren ihrer Stadt tobte eine Schlacht.
„Der König sagt, du musst Haus mitnehmen und fliehen.
Komm nicht zurück, bevor er dich holt“, drängte die junge Magd, reichte der Königin eine Jadetafel, spannte einen Pfeil in ihren Bogen und stürmte zur Tür.
Die Königin brauchte keine weitere Aufforderung. Schnell hob sie den noch schlafenden Jungen auf und nahm ihn auf den Arm. Die Magd führte sie zu einem versteckten Durchgang und lotste sie durch die geheimen Tunnel des Palastes. Innerhalb weniger Augenblicke waren sie außerhalb der prächtigen Stadt und flohen in die Wildnis.
Aber kaum waren sie entkommen, tauchten zehn maskierte Gestalten aus dem Schatten auf und jagten ihnen mit alarmierender Geschwindigkeit hinterher. Die Königin und die Jungfrau rannten so schnell sie konnten, den Jungen fest in ihren Armen.
„Meine Königin“, sagte die Jungfrau plötzlich atemlos, „es war mir eine Ehre, Ihnen in diesem Leben zu dienen. Wenn es ein nächstes Leben gibt, hoffe ich, dass ich Ihnen wieder dienen darf.“
Die Königin drehte sich um, Angst und Erkenntnis traten ihr in die Augen. „Haniva, nein!“
Aber es war zu spät. Haniva hatte sich bereits entschieden. Mit einer schnellen Bewegung entzündete sie ihre Seele, und ihr Körper ging in blitzenden Flammen auf, die wie ein Leuchtfeuer strahlten. Die Lichtexplosion schuf eine Barriere, die der Königin und ihrem Sohn wertvolle Zeit zur Flucht verschaffte.
Tränen liefen über das Gesicht der Königin, während sie rannte, ihr Herz schwer vor Trauer. Sie hielt nicht an, konnte nicht anhalten. Nicht, bevor ihr Sohn in Sicherheit war.
Der Junge regte sich in ihren Armen und blinzelte wach. „Mama, warum weinst du?“, fragte er leise und blickte zu ihrem tränenüberströmten Gesicht, während sie durch den Wald rannten.
„Nichts, mein Schatz“, flüsterte sie und versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten. „Wir sind fast da.“
Haus drehte den Kopf, um hinter sie zu schauen. Seine Augen weiteten sich in unschuldiger Verwirrung, als er fünf maskierte Gestalten sah, die sie verfolgten. „Mama, sind das die bösen Leute, von denen du mir erzählt hast?“
Das Herz der Königin zog sich bei dem Klang seiner Stimme zusammen. „Ja, Haus“, sagte sie und zwang sich zu einem sanften Lächeln. „Aber heute werden sie uns nicht erwischen. Mutter wird dich beschützen.“
Die kleine Hand des Jungen streckte sich aus, um eine Träne von der Wange seiner Mutter zu wischen, und sie küsste ihn auf die Stirn, während ihr der Kopf rauchte, was sie als Nächstes tun sollte.
Die Zeit lief ihnen davon.
Der Wind peitschte ihnen ins Gesicht, während sie weiterrannten, aber die maskierten Gestalten holten auf. Die Königin spürte, wie ihre dunkle Energie stärker wurde. Sie hatte keine andere Wahl, als die Teleportationsformation zu erreichen, die in der Jadetafel enthalten war, die Haniva ihr gegeben hatte.
Die Bäume verschwammen vor ihren Augen, während sie vorwärts rasten, aber die Königin wusste, dass sie dieses Tempo nicht ewig durchhalten konnten. Ihre eigenen Kräfte schwanden, und der Verlust von Hanna lastete schwer auf ihrem Herzen.
Plötzlich zischte ein Pfeil vorbei und verfehlte sie nur knapp. Die Königin schnappte nach Luft, ihr Körper spannte sich an, als sie durch den immer dichter werdenden Wald huschte. Haus klammerte sich an sie, seine kleinen Finger krallten sich in den Stoff ihres Kleides.
Plötzlich tauchten sie vor einem Wasserfall auf. Direkt vor dem Wasser lag eine kreisförmige Struktur auf dem Boden, bedeckt mit leuchtenden Runenzeichen.
Die Königin zögerte nicht, eilte vorwärts und stellte ihren Sohn in die Mitte der Formation.
„Mama?“, fragte Haus mit leiser, verwirrter Stimme, während er beobachtete, wie seine Mutter sich von ihm entfernte und zum Rand des Kreises ging.
„Haus, du musst wissen, dass ich dich mehr liebe als alles andere auf dieser Welt“, sagte sie, während Tränen über ihr Gesicht liefen. Ihre Stimme zitterte vor Emotionen, aber sie hielt ihren Blick fest auf ihren Sohn gerichtet.
In diesem Moment kamen die fünf maskierten Gestalten in Reichweite. Eine von ihnen schrie: „Schlampe! Gib uns das verfluchte Kind und akzeptiere deinen Tod!“
Das Herz der Königin zog sich zusammen, aber sie weigerte sich, Angst zu zeigen. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Formation. Die Runen begannen heller zu leuchten und reagierten auf ihre Anwesenheit und Energie.
„Solange ich lebe, wird niemand meinem Sohn etwas antun“, erklärte die Königin mit entschlossener Stimme. Die Formation unter Haus begann zu summen, und die Magie wirkte.
Bevor die maskierten Männer auf den Jungen zustürmen konnten, aktivierte sich die Formation und hüllte ihn in ein helles Licht. Haus sah seine Mutter an, Tränen traten ihm in die Augen, aber bevor er etwas sagen konnte, verschlang ihn das Licht, und er verschwand.
Die Königin lächelte, ihr Herz war gebrochen, aber sie war fest entschlossen. Sie hatte getan, was sie tun musste.
Einer der maskierten Männer knurrte, als er begriff, was geschehen war. „Haltet sie auf!“, schrie er, aber es war zu spät.
Die Königin entzündete ihre Seele, und ihr Körper ging in strahlenden Flammen auf. „Für meinen Sohn“, flüsterte sie.
BOOM.
Eine ohrenbetäubende Explosion erschütterte die Gegend und vernichtete alles im Umkreis von 20 Meilen. Der Körper und die Seele der Königin gingen in einer Explosion purer Energie auf, die die fünf maskierten Gestalten mit sich riss und dabei die Formation zerstörte.
Mit ihrer letzten Tat der Liebe und Aufopferung stellte sie sicher, dass Haus nie wieder gefunden werden würde, und hinterließ nichts als Asche und Stille an dem Ort, an dem sie ihr Leben gegeben hatte, um ihren Sohn zu beschützen.