Klaus wachte in völliger Dunkelheit auf. Es war so stockfinster, dass er nicht mal seine eigenen Hände oder Zehen sehen konnte. Er schaute um sich, aber alles, was er sehen konnte, war mehr vom Gleichen – nur endlose Dunkelheit. Dann tauchte plötzlich etwas am Horizont auf. Es war klein, zunächst fast unbedeutend, aber sobald es auftauchte, wusste Klaus, dass er sich in einem seltsamen kosmischen Raum befand.
Er konnte es nicht genau in Worte fassen, aber tief in seinem Inneren hatte er das Gefühl, dass er aus einem bestimmten Grund hier war, als hätte dieser Ort eine Bedeutung für ihn. Aber als er auf das winzige Licht starrte, wusste er nicht, was er tun sollte. Er fühlte sich klein, fast unbedeutend in der riesigen Dunkelheit, die ihn umgab. Doch die Dunkelheit hielt nicht lange an.
Gerade als er mit diesen Gefühlen kämpfte, begann das kleine Licht zu wachsen. Es wurde von der Größe einer Pille zu der eines Eies, dann zu einer Orange, einer Wassermelone und einem Basketball – es wurde immer größer. Plötzlich schwoll es auf die Größe mehrerer Monde an und explodierte dann ohne Vorwarnung. Seine Sicht wurde wieder schwarz und er verlor das Bewusstsein.
Als Klaus aufwachte, war er wieder an demselben dunklen Ort. Aber diesmal war alles anders. Das Licht erschien wieder, aber jetzt waren es insgesamt neun.
Die neun Lichter wurden immer größer, bis sie die Größe der Sonne hatten. Aber im Gegensatz zur Sonne strahlten sie kein Licht aus.
Sie hingen einfach nur da, riesig und trüb, fast wie blasse Monde mit noch weniger Farbe. Klaus stand still da, wie angewurzelt, und starrte zu den riesigen Kugeln am Himmel hinauf.
Dann, aus dem Nichts, ertönte eine Stimme.
„Aus der Dunkelheit, aus dem Kosmos, aus den Flüssen der Zeit und dem Zeitalter des Schicksals, durch die Kämpfe und durch die Leiden werden sie auferstehen. Neun von ihnen.“
Klaus‘ Herz setzte einen Schlag aus. „Entschuldigung, wer ist da?“, rief er mit zittriger Stimme. Aber die Stimme ignorierte ihn und fuhr mit ihrem seltsamen Gesang fort.
„Die endlosen Flüsse der Zeit werden ihnen niemals erlauben, aufzusteigen, noch werden sie ihnen ein Schicksal zugestehen. Aber was ist Schicksal, was bedeutet es, ein Schicksal zu haben? Die Neun sind nicht, sie waren, sie sind und sie werden sein.“
Klaus hatte keine Ahnung, wovon die Stimme sprach, aber er blieb stehen und konnte seinen Blick nicht von den riesigen Kugeln abwenden.
Während die Stimme weiterredete, passierte etwas mit den Lichtern. Zuerst war es kaum zu sehen. Die Ränder der Kugeln begannen zu schimmern, wie die Oberfläche eines fernen Ozeans, der ein schwaches Licht einfängt. Klaus bemerkte es, war sich aber nicht sicher, ob es echt war oder nur seine Fantasie spielte.
Die Stimme wurde lauter, ihr Tonfall drängender. „Sie werden durch die Feuer der Vergangenheit, die Stürme der Gegenwart und die Schatten der Zukunft gehen. Die Neun sind die Wächter der Zeit, aber die Zeit selbst wird sich ihrem Willen nicht beugen.“
Das Flimmern wurde stärker und breitete sich über die Oberfläche jeder Kugel aus. Klaus stockte der Atem, als ihm klar wurde, dass es sich gar nicht um Monde handelte.
Es waren Sterne, riesig und uralt, aber irgendetwas war anders an ihnen.
„Die Neun werden durch die Ketten des Schicksals gefesselt sein, doch das Schicksal selbst wird ihr Gefangener sein. Der Kosmos wird erzittern, aber die Flüsse der Zeit werden fließen, unerbittlich und ewig.“
Die Sterne begannen zu pulsieren, ihr mattes Leuchten wurde intensiver. Jeder Puls warf eine Lichtwelle durch die Dunkelheit, die die Sterne atmen und lebendig erscheinen ließ.
„Die Neun werden in den Schatten wandeln, doch sie werden selbst keinen Schatten werfen. Denn sie sind weder an das Licht noch an die Dunkelheit gebunden, sondern an den endlosen Kreislauf der Zeit.“
Klaus konnte die Bedeutung dieser Worte spüren, auch wenn er sie nicht verstand. Die Sterne pulsierten weiter, ihr Licht wurde mit jedem Schlag stärker, als würden sie aus einem langen Schlaf erwachen.
„Die Zeit wird ihr Schicksal weben, doch sie werden das Schicksal der Zeit weben. Die Neun werden sich erheben, und mit ihnen der Anbruch eines neuen Zeitalters.“
Die Sterne leuchteten jetzt hell, ihr Licht erfüllte die weite Dunkelheit um ihn herum. Sie waren nicht mehr nur Lichtkugeln, sie waren mächtig, fast göttlich.
„Und so soll es sein: Aus der Dunkelheit, aus dem Kosmos, aus den Flüssen der Zeit und dem Zeitalter des Schicksals werden die Neun sich erheben.“
Klaus stand da, überwältigt vom Anblick der neun Sterne, deren Licht nun die Leere durchdrang und den Raum um ihn herum erhellte. Er wusste nicht, was das alles bedeutete, aber tief in seinem Inneren spürte er, dass das, was hier geschah, weit über sein Verständnis hinausging.
Plötzlich spürte Klaus einen stechenden Schmerz in seinem Kopf, als er auf einen der Sterne starrte. Es war, als hätte etwas sein Gehirn durchbohrt, ein plötzlicher, intensiver Stich, der ihn zusammenzucken ließ. Doch bevor er reagieren konnte, durchfuhren ihn weitere scharfe Schmerzen, einer nach dem anderen, als würden Nadeln in seinen Schädel bohren. Der Schmerz war unerträglich, und er konnte den Schrei, der aus seiner Kehle riss, nicht zurückhalten.
Der Gesang änderte sich. Die Stimme, die zuvor ruhig und fern gewesen war, klang jetzt dunkler und härter. Klaus‘ Gedanken rasten, und in einem Rausch begannen Bilder vor seinen Augen zu flackern.
Er sah ein Schlachtfeld, übersät mit Leichen. Blut bedeckte den Boden, und die Luft war schwer vom Geruch des Todes. Er wusste nicht, wo er war, aber es kam ihm seltsam vertraut vor, als hätte er es schon einmal gesehen. Der Schmerz in seinem Kopf wurde schlimmer, aber er konnte seinen Blick nicht von dem Gemetzel abwenden.
Der Gesang wurde lauter und hallte in seinem Schädel wider. „Durch die Flüsse der Zeit wird das Blut fließen, unaufhaltsam, unerbittlich.“
Eine weitere Szene blitzte auf. Ein brennendes Dorf, Flammen verschlangen alles in Sichtweite. Menschen rannten schreiend umher, aber es gab kein Entkommen. Klaus spürte ihre Angst, ihre Hoffnungslosigkeit. Er konnte fast die Hitze der Flammen auf seiner Haut spüren, den Rauch, der seine Lungen würgte.
Sein Herz pochte in seiner Brust, als die Bilder jetzt schneller wurden. Ein dunkler Wald, voller Schatten. Gestalten bewegten sich zwischen den Bäumen, ihre Augen glühten vor Bosheit. Sie jagten, und diejenigen, die sie fanden, wurden zerfleischt, ihre Schreie hallten durch die Nacht. Klaus fühlte sich, als wäre er dort, versteckt zwischen den Bäumen, und versuchte, dem gleichen Schicksal zu entkommen.
Die Stimme setzte ihren Gesang fort, unerbittlich.
„Aus den Schatten der Vergangenheit wird die Zukunft entstehen, erbaut auf den Trümmern des Untergangs.“
Klaus‘ Blick verschwamm und ein anderes Bild nahm seine Stelle ein. Eine Stadt in Trümmern, Gebäude stürzten ein, Straßen waren mit Schutt übersät. Der Himmel war dunkel, voller Rauch und Asche. Menschen wanderten ziellos umher, ihre Augen waren leer, ihre Gesichter hungernd und ausgezehrt. Klaus verspürte ein tiefes Gefühl des Verlusts, als wäre ihm etwas Kostbares genommen worden.
Der Schmerz in seinem Kopf wurde stärker, aber er konnte die Bilder nicht abhalten. Er sah eine Gestalt, die allein auf einem Berggipfel stand und über ein Schlachtfeld blickte. Die Gestalt war von Leichen umgeben, deren Augen weit aufgerissen waren. Klaus wurde von einem starken Déjà-vu-Gefühl überkommen. Er kannte diesen Ort, diesen Moment, aber er konnte ihn nicht einordnen. Es war wie ein Albtraum, den er schon einmal geträumt hatte.
„Die Neun werden sich erheben“, sang die Stimme, „aber nicht ohne Opfer. Blut wird der Preis sein, und Leiden der Weg.“
Ein weiterer Blitz. Ein alter, zerfallener Tempel, dessen Wände mit seltsamen Symbolen bedeckt waren. Im Inneren standen neun Gestalten im Kreis, ihre Gesichter im Schatten verborgen. Klaus fühlte sich zu ihnen hingezogen, als wären sie irgendwie mit ihm verbunden. Aber je näher er kam, desto stärker wurden die Schmerzen in seinem Kopf.
Er spürte das Gewicht unzähliger verlorener Leben, die Trauer über tausend verlorene Schlachten. Er spürte die Verzweiflung derer, die alles gegeben hatten, nur um alles zerstört zu sehen. Die Bilder kamen immer schneller, bis sie nur noch ein verschwommener Fleck aus Blut, Feuer und Tod waren.
Klaus war überwältigt. Er wollte, dass es aufhörte, aber er war gefangen und musste alles mit ansehen.
Die Stimme sang weiter, jedes Wort drang tiefer in seinen Geist ein.
Und dann, gerade als er dachte, er könne es nicht mehr ertragen, hörten die Bilder auf. Klaus fühlte sich, als hätte er in wenigen Augenblicken tausend Leben gelebt. Das Déjà-vu-Gefühl war immer noch da, stärker denn je, aber er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass dies erst der Anfang war.
„Sie werden die Neun Vorbilder genannt werden, diejenigen, die sich der Zeit und dem Schicksal widersetzen. Sie werden zusammenkommen und die Ruinen der Vergangenheit neu gestalten und die Mauern des Schicksals errichten. Sie werden ihren eigenen Weg bahnen, das Schicksal überstrahlen und den Himmel herausfordern. Sie werden als die Neun Vorbilder des Schicksals bekannt sein.“
Kaum war die Stimme verstummt, begannen die neun Sterne zu zittern, zerbrachen und schrumpften rapide. Aus dem Nichts tauchten neun Ringe vor Klaus auf. Der erste Ring war klein, aber jeder weitere wurde größer, je höher er stieg. Die zerbrochenen Teile der neun Sterne verschmolzen mit diesen Ringen.
Der erste Stern teilte sich in zwei Teile und verschmolz mit dem kleinsten Ring. Der zweite Stern teilte sich in drei Teile und schloss sich dem nächsten Ring an. Der dritte Stern teilte sich in fünf Teile, der vierte in sieben und so weiter – der fünfte in neun, der sechste in elf, der siebte in dreizehn, der achte in fünfzehn und der neunte in siebzehn Teile.
Die Ringe ordneten sich neu an, bildeten ein Muster in der Luft und flogen dann direkt auf Klaus zu.
Instinktiv versuchte er, seine Hände zu heben, um sich zu verteidigen, aber es war, als wäre sein Körper erstarrt und weigerte sich, sich zu bewegen. Panik überkam ihn, aber dann hallte eine Stimme aus seinem Innersten in seinem Kopf wider.
„Du bist geboren, aber noch nicht erwacht. Oh, Paragon der Neunten, dein Schicksal erwartet dich. Deine Reise beginnt mit der Neun-Sterne-Paragon-Kunst.“
Bevor Klaus reagieren konnte, flogen die Lichter aus den Ringen auf ihn zu und verschmolzen direkt mit seiner Stirn. Seine Augen sprangen auf und die Dunkelheit um ihn herum verschwand. Er war wieder im Tattoo-Studio und lag auf dem Stuhl.
In diesem Moment beendete Ziggy, der Tattoo-Künstler, die letzte Markierung und vollendete das Motiv. Klaus spürte einen Ruck, eine Verbindung zwischen dem Licht in seinem Kopf und der frischen Tinte auf seiner Haut.