Die Welt schien still zu stehen, als Adrian verzweifelt versuchte, dem Tod zu entkommen. Seine Muskeln schrien vor Schmerz, aber er wusste, dass es nicht reichen würde –
Ein weißer Schein.
In einem Moment starrte er noch in die tödliche Absicht des Arkot, im nächsten wurde sein Körper zur Seite gerissen, als würde er von unsichtbaren Fäden gezogen. Die Wucht des Aufpralls schoss ihm durch die Seite, aber das war nichts im Vergleich zu dem, was als Nächstes passierte.
Weiße Klauen schossen von unten hervor, in einem makellosen Bogen von tödlicher Präzision.
Azura – Lloyds gezähmte Bestie – bewegte sich wie ein lebender Blitz, ihr Schlag war so schnell, dass sie Nachbilder in der Luft hinterließ. Die Arkot-Bestie sah sie nicht kommen.
Die Klauen trafen mit donnerndem Aufprall auf Fleisch, und Abbys tödlicher Sprung verwandelte sich in einen unkontrollierten Flug. Die dunkle Bestie schoss wie eine Kugel aus einer Pistole nach hinten und riss eine Furche in den Boden des Reiches.
Adrian schlug hart auf dem Boden auf und rollte sich ab, um den Aufprall abzufangen. Schmerz schoss durch seine Rippen, aber er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Selbst als er zusammenzuckte, spürte er eine vertraute Präsenz in seinem Geist:
Wir schließen uns euch an.
Sein Kopf schnellte zu Kalin, sein Herz raste –
Etwas brach aus den Schatten unter Evangeline hervor. Adrians geschärfte Sinne konnten die Bewegung nicht einmal verfolgen – nur einen Blitz vertrauter Kraft, dann einen Aufprall.
Lloyd materialisierte sich, als wäre er aus der Dunkelheit selbst geboren, und sein Schlag traf mit vernichtender Kraft. Kalins Augen weiteten sich vor echter Überraschung, als Evangeline zurücktaumelte.
Dunkle Flammen explodierten nach außen und stießen Lloyd zurück, aber Kalins Sieg war nur von kurzer Dauer. Eine weitere Präsenz tauchte aus den Schatten hinter dem besessenen Körper auf – diese strahlte reines Licht statt Dunkelheit aus.
Aurelius, dessen Schwert wie ein gefangener Stern loderte, brach aus der Leere hervor, die Lloyd geschaffen hatte. Die Klinge zischte durch die Luft, ihre Schneide versprach Reinigung.
„Was …“, begann Kalin zu knurren, aber das Wort verstummte, als Aurelius‘ Schwert durch den Raum schnitt, in dem Evangeline noch einen Herzschlag zuvor gestanden hatte. Selbst als die besessene Gestalt auszuweichen versuchte, traf das Licht der Klinge Evangeline am Rücken und vergoss das erste Blut in einem Kampf, der sich wie Stunden anfühlte.
„Kekeke!“
Kalin’s Lachen erfüllte die Nacht – aber diesmal hatte es einen Unterton, der zuvor nicht da gewesen war.
„Kah!“
Eine dunkle Aura brach aus Evangeline’s Körper hervor, während Kalin’s Lachen durch das Reich hallte. Die Energie pulsierte wie ein Lebewesen, jede Welle dunkler als die vorherige.
Aurelius wurde von der Wucht zurückgeschleudert, schaffte es aber, sich in der Luft zu drehen und in der Hocke zu landen, sein Schwert immer noch trotzig glänzend.
„Okay“, sagte Kalins Stimme kalt und amüsiert durch Evangelines Lippen. „Ich habe genug.“
Die dunkle Aura, die Evangeline umgab, pulsierte plötzlich und breitete sich dann aus. Sie bewegte sich wie ein lebender Schatten und raste schneller über die Oberfläche des Reiches, als irgendjemand reagieren konnte. Die Dunkelheit verschlang alles in ihrem Weg, zerstörte es aber nicht, sondern … veränderte es.
Adrians Herz zog sich zusammen, als ihm ein ungutes Gefühl den Rücken hinunterkroch. Neben ihm hörte er Elara scharf einatmen und sah, wie Ceil eine defensivere Haltung einnahm. Selbst Lloyds übliche Selbstsicherheit schien zu schwanken.
„Was macht er da?“ Adrians taktischer Verstand arbeitete auf Hochtouren, um den Zweck dieser Darbietung zu verstehen.
Die Energiesignatur war anders als alles, was er bisher erlebt hatte – nicht nur Dunkelheit, sondern etwas, das die Realität selbst zu verzerren schien.
Die Zeit begann sich zu verlangsamen.
Adrian blinzelte, als seine Umgebung immer instabiler wurde. Die Welt um ihn herum begann zu verschwimmen und wechselte in einem Übelkeit erregenden Tanz zwischen kristallklarer Schärfe und völliger Verzerrung. Schnell, dann langsam, dann wieder schnell – als könne die Realität selbst nicht entscheiden, mit welcher Geschwindigkeit sie sich bewegen sollte.
Dann … Dunkelheit.
Im nächsten Moment lag Adrian mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Die Hälfte seines Gesichts drückte gegen den Boden – irgendwie brannte es gleichzeitig heiß und eiskalt. Seine Sicht verschwamm und wollte sich nicht fokussieren. Die übliche Kakophonie der Schlacht war einer absoluten, erstickenden Stille gewichen. Nicht einmal sein eigener Herzschlag schien ein Geräusch zu machen.
„Die anderen …“, kam der Gedanke träge, als er seinen Kopf zu drehen zwang. „Wo sind …“
Die Bewegung kam ihm vor wie eine Ewigkeit, seine Muskeln reagierten, als hätten sie vergessen, wie sie funktionieren. Endlich klärte sich sein Blick genug, um über seine unmittelbare Umgebung hinaussehen zu können.
Sein Herz setzte einen Schlag aus.
Leichen lagen wie zerbrochene Puppen über das gesamte Gelände verstreut. Ceil lag mit dem Gesicht nach oben, ihre sonst so wachen Augen starrten ausdruckslos ins Leere. Cedric war über seine eigene Waffe gefallen, das Licht in seinen Händen für immer erloschen.
Elara lag zusammengesunken neben dem leblosen Körper von Azuris, ihre Hand streckte sich immer noch nach ihrem geliebten Tier.
Sogar Lloyd und Seraphelis – zwei der anwesenden Kämpfer der Erwachten – lagen regungslos da, ihre letzten Gesichtsausdrücke in Überraschung erstarrt. Aurelius‘ Lichtschwert war zu gewöhnlichem Stahl verblasst.
„Nein …“, versuchte Adrian zu sprechen, aber es kam kein Ton heraus. „Das kann nicht sein …“
Adrians verschwommene Sicht weitete sich langsam über seine unmittelbare Umgebung hinaus und das wahre Ausmaß der Verwüstung wurde sichtbar. Wo einst die majestätische Valerian-Halle gestanden hatte, war jetzt nur noch ein riesiger Krater der Dunkelheit – eine Leere, die selbst die Schatten zu verschlingen schien. Der heilige Boden, der über Jahrhunderte hinweg Zeuge unzähliger Schlachten und Zeremonien gewesen war, war in wenigen Augenblicken ausgelöscht worden.
Überall lagen Leichen. Nicht nur seine Gefährten, sondern Dutzende, nein, Hunderte von anderen. Schüler, Lehrer, Wachen … alle lagen verstreut in der dunklen Grube wie weggeworfene Marionetten. Einige waren bei der Flucht gefallen, andere in Kampfhaltung, ihre letzten Momente in ewiger Trotzhaltung erstarrt.
Die Luft war schwer von den Überresten zerbrochener Barrieren und gebrochener Zaubersprüche, den letzten verzweifelten Versuchen, sich gegen das Unvermeidliche zu schützen.
In der Mitte dieser apokalyptischen Szene schwebte Evangelines besessene Gestalt, aber etwas veränderte sich. Ihr Körper begann, seine Kohäsion zu verlieren, beginnend an den Fingerspitzen. Dunkle Partikel lösten sich wie Blütenblätter in einem Sturm und schienen jedes noch in der Umgebung vorhandene Licht zu absorbieren. Der Vorgang war in seiner Schrecklichkeit unheimlich schön – ihre Gestalt löste sich in eine Galaxie aus Albtraumfragmenten auf.
Die Auflösung setzte sich langsam und bedächtig fort. Zuerst zerfloss ihr Haar, dunkle Strähnen vermischten sich mit der wirbelnden Partikelmasse. Dann begannen ihre Gliedmaßen zu verblassen und zerfielen wie altes Pergament, das von Flammen berührt worden war. Währenddessen blieb das schwarze Auge zurück, beobachtete, wartete und schien sich zu amüsieren.
Alle starben, außer derjenigen, die alles ausgelöst hatte.