„Ich mache mir nichts vor…!“, keuchte er, wobei seine Worte immer lauter und intensiver wurden. „Rhea… Ich habe an deiner Seite gekämpft, ich habe gesehen, wozu du fähig bist. Du bist mehr als das, was sie aus dir machen wollten. Mehr als ihr Schatten. Mehr als Meister Veda’s Ersatz. Du bist mehr als… alles, was sie sagen.“
Rhea blieb still, ihren Blick starr nach vorne gerichtet, unbeeindruckt von seinen Worten. Aber Aurelius konnte einen leisen Riss in ihrer Entschlossenheit spüren.
Er musste noch mehr Druck machen.
„Ich sehe dich, Rhea! Nicht irgendeine Imitation, nicht die Erinnerung an jemand anderen! Ich sehe das Mädchen, das mir zur Seite stand, als ich am Boden war. Das Mädchen, das nie aufgegeben hat, egal wie schwer es wurde. Das Mädchen, das – das mich wieder an mich selbst glauben ließ.
Das Mädchen, das immer anderen geholfen hat, das schüchtern war, wenn man ihr ein Kompliment machte.
Das Mädchen, das nicht mal ein Ei kochen konnte, aber unglaubliche Tränke brauen konnte. Das Mädchen …“
Wie auch immer, Aurelius fuhr eine Weile mit seinem Talk no jutsu fort, während ihm die Worte nur so aus dem Mund sprudelten und seine Erinnerungen vor seinem inneren Auge abliefen.
Seine Brust hob und senkte sich, und seine Stimme drohte zu brechen. „Du denkst, du bist ein Schatten, der Schatten von jemand anderem, aber für mich … für mich warst du immer mehr als das.“
„Du bist meine Freundin, eine enge Freundin.“
Endlich drehte Rhea sich zu ihm um. Ihre Augen, voller Erschöpfung und Unglauben, suchten seine.
„Aurelius …“, flüsterte sie, und ihre Stimme zitterte zum ersten Mal.
Doch bevor er weiterreden konnte, seufzte sie und die Last der Welt drückte erneut auf sie. „Es ist egal, was du denkst.“
Aurelius stockte der Atem.
„Alles … ist bereits in Stein gemeißelt“, fuhr Rhea leise fort, während ihr Blick in die Ferne wanderte und ihre Augen hart wurden. „Unser Schicksal. Deins … meins … das von Evangeline … Es ist zu spät, um noch etwas zu ändern.“
„Nein, Rhea …“, protestierte Aurelius und schüttelte trotz der Fesseln heftig den Kopf. „Es ist nie zu spät. Hast du das nicht immer gesagt? Wir haben noch eine Wahl! Du hast eine Wahl.“
Sie schüttelte langsam den Kopf, als wäre die Hoffnung, an der er sich festklammerte, ein grausamer Scherz. „Vielleicht für dich, Aurelius. Aber für mich? Ich war nie für etwas anderes bestimmt. Das weiß ich schon seit langer Zeit.“ Ihr Blick wurde weich und erfüllte sich mit einer fast tragischen Akzeptanz. „Ich bin nicht die, für die du mich hältst.“
Aurelius‘ Herz pochte in seiner Brust. „Du bist genau die, für die ich dich halte.
Du bist Rhea. Du bist meine Freundin. Und ich werde dich nicht verlieren … nicht wegen einer verdrehten Vorstellung vom Schicksal.“
Rhea schloss die Augen, ihr Gesichtsausdruck war gequält. „Ich weiß, was du versuchst. Aber das hier … das steht schon lange fest, bevor wir uns überhaupt getroffen haben.“ Ihre Stimme wurde kälter, als sie hinzufügte: „Und es gibt nichts mehr zu ändern. Nichts.“
„Das ist nicht wahr!“, rief Aurelius, seine Stimme brach vor Emotionen. „Das steht nicht in Stein gemeißelt. Du bist keine Marionette, die vom Schicksal kontrolliert wird. Du hast Entscheidungen getroffen, Rhea. Du hast für alles gekämpft – wir haben zusammen gekämpft. Das ist real!“
Rhea starrte ihn an, etwas flackerte in ihrem Blick – Zweifel? Hoffnung? Aurelius war sich nicht sicher, aber er fuhr fort.
„Du bist nicht allein“, sagte Aurelius leise und mit sanfter Stimme. „Ich bin hier. Aurelia ist auch da. Ich war immer da. Und wenn du denkst, ich benutze dich nur, um eine Lücke zu füllen, dann irrst du dich. Ich brauche dich – nicht als Ersatz für jemand anderen, sondern weil du Rhea bist.
Weil du wichtig bist.“
Ihre Lippen öffneten sich, aber es kam kein Ton heraus. Ihr Blick wurde weicher, sie war hin- und hergerissen.
Für einen Moment schien es, als hätten seine Worte sie erreicht.
Doch dann kehrte ihre Entschlossenheit zurück, wie ein Schatten, der sich nähert. Rhea wandte sich ab, ihr Gesichtsausdruck wurde wieder hart. „Es ist egal, Aurelius“, sagte sie mit emotionsloser Stimme.
„Du kannst mich nicht überzeugen …“
Aurelius‘ Herz sank, als er die Mauern sah, die sie um sich herum aufgebaut hatte und die jetzt undurchdringlich schienen. Er wollte sie durchbrechen, um sie aus dieser Dunkelheit zu retten, aber sie entglitt ihm immer mehr.
„Rhea…“, flüsterte er mit vor Verzweiflung zitternder Stimme.
Aber sie drehte sich nicht um. Stattdessen stand sie da und starrte auf die leblose Gestalt auf dem sargähnlichen Ding, während ihr Geist sich bereits in die Schatten zurückzog, die sie gefangen genommen hatten.
Aurelius‘ Körper spannte sich an und kämpfte erneut gegen die Fesseln, aber die Seile hielten fest. Er konnte nur hilflos zusehen, wie die Frau, die er liebte, die Frau, an deren Seite er so lange gekämpft hatte, vor seinen Augen zu einer Fremden wurde.
Und in diesem Moment wurde ihm etwas Schreckliches klar:
Er verlor sie.
Nicht an den Tod, sondern an etwas viel Schlimmeres.
An die Dunkelheit in ihrer eigenen Seele.
Für einen flüchtigen Moment sackten ihre Schultern zusammen, und sie flüsterte kaum hörbar: „Es war … schön … mit dir.“
Aurelius‘ Herz setzte einen Schlag aus, als er ihre Worte hörte, aber der kalte, distanzierte Ton in ihrer Stimme gab ihm das Gefühl, als wäre sie bereits fort.
Dann richtete sie sich mit einer fast mechanischen Bewegung auf, und die kalte Maske der Gleichgültigkeit glitt zurück über ihre Gesichtszüge. Ihr distanzierter Blick huschte zur Tür. „Sie kommt zurück.“
Diese verdächtige Frau.
Aurelius verspürte eine Welle der Angst und Hilflosigkeit, während er gegen seine Fesseln ankämpfte. Er wusste nicht, was die Rückkehr dieser Frau bedeuten würde, aber irgendetwas sagte ihm, dass es für keinen von beiden gut ausgehen würde.
Plötzlich öffnete sich die Tür mit einem leisen Knarren.
Aurelius‘ Puls schlug schneller. Instinktiv schaute er zur Tür, erwartete, die schemenhafte Gestalt von Evangeline hereintreten zu sehen – aber niemand kam. Die Tür blieb einen Spalt offen, aber dahinter war niemand zu sehen.
Rhea erstarrte, ihre Augen verengten sich, während sie den Raum absuchte, ihre Sinne waren plötzlich geschärft. Ihre Hand bewegte sich schnell zu ihrem Ring, wo sie ein kleines Fläschchen hervorholte.
Ohne einen Moment zu zögern, warf sie sie auf den Boden, wo das Glas mit einem scharfen Knall zerbrach.
Im Nu füllte sich der Raum mit dichtem, weißem Rauch.
Aurelius‘ Sicht war komplett von der Wolke verdeckt, und er hustete, während sein Körper sich anspannte, um zu begreifen, was gerade passierte.
„Rhea!“, rief er, seine Stimme gedämpft durch den Knebel und den Nebel, der ihn umhüllte. Panik überkam ihn, als er sich anstrengte, etwas zu sehen, etwas zu hören – irgendetwas.
Doch dann hallte ein plötzlicher dumpfer Schlag durch den Rauch, gefolgt von dem unverkennbaren Geräusch eines Körpers, der auf den Boden aufschlug.
Aurelius‘ Herz setzte einen Schlag aus. „Rhea?!“, schrie er mit heiserer, durch den Knebel gedämpfter Stimme. Er zerrte an den Seilen um seine Handgelenke und Beine, aber sie hielten fest.
Der Rauch begann sich zu lichten.
Er blinzelte und konnte gerade so viel erkennen, dass er Umrisse in der Nebelwand erkennen konnte.
Und dann, als der Nebel sich vollständig aufgelöst hatte, erstarrte Aurelius.